Newsletter 26/November 2023

26. November 2023

Inhalt: Gastbeitrag: De-Globalisierung von oben? +++ Sri Lanka: Spiel über die Bande gegen China +++ Krieg um kritische Rohstoffe? +++ Unterrichtsmaterialien zu historischen und modernen Seidenstraßen +++ Ups and Downs: Beijing auf der Rutschbahn in Myanmar +++ Philippinen steigen aus BRI-Projekten aus +++ Lesehinweis: How the BRI Changed China +++ Blogroll Update: Belt and Road „gut erzählen“ +++ Der globale Fußabdruck von BRI +++ Zitat: Whom to Trust?

Samuel Decker, 20. November 2023

Was bedeuten die beginnende De-Globalisierung von oben und die neue Blockkonfrontation für die gesellschaftliche Linke? Allgemein scheinen Fragen der internationalen Geopolitik gegenüber sozial- oder klimapolitischen Fragen nicht hoch im Kurs zu sein. Doch wie die militärische Auseinandersetzung zwischen dem Westen und Russland in der Ukraine und die mit ihm einhergehenden Verschiebungen des gesellschaftlichen Klimas und des politischen Koordinatensystems bereits erahnen lassen, wird der ökonomische und militärische Konflikt mit China alle anderen Fragestellungen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten überlagern. Zum Beitrag

Anfang November kündigte die U.S. Development Finance Corporation (DFC) Kredite in Höhe  von mehr als einer halben Milliarde US-Dollar für den Ausbau des Tiefseehafens von Colombo, der Hauptstadt Sri Lankas, durch ein Konsortium unter Führung der indischen Adani-Gruppe an. Durch das Projekt soll Colombo zu einem „Logistikzentrum von Weltrang an der Kreuzung wichtiger Schifffahrtsrouten und aufstrebender Märkte werden“. Die DFC wurde vor fünf Jahren als ein weiteres Finanzierungs- und Investitionsangebot der USA gestartet, um Alternativen zu Belt and Road zu bieten (siehe auch B3W und die G7-Partnerschaft für Globalen Infrastrukturausbau). Die Ankündigung wird denn auch weithin als direkte Reaktion auf die chinesischen Milliarden-Investitionen im Rahmen der Maritimen Seidenstraße (Maritime Silk Road) gesehen. In dem neu aufgeschütteten, riesigen Hafengelände von Colombo betreibt bereits die China Merchants Port Holdings einen Terminal.

Sri Lanka liegt günstig auf der wichtigen Schifffahrtsroute zwischen Asien, Afrika und Europa. Sowohl Indien als auch China versuchen in ihrer subhegemonialen Konkurrenz um ihre Positionierung im Indischen Ozean seit Langem, den Inselstaat, der von seinen bisherigen Regierungen in eine tiefe Wirtschaftskrise manövriert wurde und gerade knapp am Staatsbankrott vorbeigeschrammt ist, für sich zu gewinnen. In Anspielung auf den verbreiteten Vorwurf, dass China die beteiligten Länder in eine ‚Schuldenfalle’ manövrieren würde, um dadurch den eigenen wirtschaftlichen und politischen Einfluss auszuweiten, erklärte DFC-Präsident Scott Nathan, das Vorhaben würde Sri Lankas öffentliche Schuldenlast nicht weiter erhöhen, weil die Gelder – natürlich völlig selbstlos –  nicht an die Regierung in Colombo, sondern an den indischen Konzern gehen.

Es bleibt abzuwarten, wieweit diese indisch-amerikanische Public Private Partnership tatsächlich zum Nutzen des Landes sein wird. Allerdings ist der indische Partner, die Adani-Gruppe, tief verstrickt in Vorwürfe finanzieller Manipulationen a la Trump, wie im Januar enthüllt wurde. Die Nachrichten schickten den Wert der Unternehmensaktien in den Keller und halbierten den persönlichen Anteil des Firmenchefs Gautam Adani auf nur noch 61 Milliarden US-Dollar. Der Konzern versucht sich jetzt mit umweltfreundlichen Energieträgern, unter anderem in Kooperation mit dem französischen Energieriesen Total, als ‚grüner Kapitalist’ rein zu waschen.

Bislang sichert die enge Freundschaft von Firmenchef Adani mit Indiens Premierminister Narendra Modi dem Konzern das Überleben. Der hindunationalistische Premierminister Modi, der Indien in eine präfaschistische Gesellschaft umbaut, ist seinerseits gerade dabei, die langjährige Bündnisfreiheit Indiens aufzugeben und sich zumindest militärisch auf die Seite der US-dominierten westlichen Allianz zu schlagen, beispielsweise mit dem Militärbündnis Quad gemeinsam mit den USA, Australien und Japan. Man könnte also auch sagen: Bei dem Hafen-Geschäft handelt es sich um den Deal von drei Vabanque-Spielern, der indischen Regierung, der Regierung von Sri Lanka und Gautam Adani, die sich polititisch und wirtschaftlich an die USA verkaufen.

Es vergeht kaum ein Nachrichten-Tag, an dem nicht der Bundeskanzler, der Wirtschaftsminister, die Außenministerin oder die Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit gezeigt werden, wie sie Projekte oder Kooperationen für umweltfreundliche Energien auf den Weg bringen. Denn nicht nur hierbei hat China meist die Nase vorn: Der Vorsprung bei e-Mobilität macht der deutschen Autoindustrie zu schaffen. Und auch bei der Erzeugung von sogenannten grünen Energieträgern ist das ‚Land der Mitte’ Spitze.

Dazu passt die Meldung von Panda Paw Dragon Claw, dass in diesem Jahr Wind- und Solarenergieprojekte den größten Anteil an Chinas Energieinvestitionen im Ausland haben. Eine Flut von Verträgen und Absichtserklärungen, darunter zwei der größten in Laos und Kasachstan, lässt darauf schließen, dass in diesem Jahr erneuerbare Energien die Energieinvestitionen im Rahmen von Belt and Road dominieren werden. Auch wenn der Gesamtwert der unterzeichneten Verträge im Vergleich zu den Boomjahren der BRI geringer ausfällt, zeigt dies doch eine deutliche Verschiebung in der Zusammenarbeit im Energiesektor, die viele Jahre lang von traditionellen Energiequellen wie Kohle und Wasserkraft dominiert wurde.

Auch bei vielen kritischen Rohstoffen wie Lithium, Graphit oder Kobalt haben sich chinesische Konzerne bekanntlich die Pole-Position, wenn nicht eine Monopolposition gesichert. Insbesondere im Globalen Süden schallt es dem westlichen Kapital häufig vom chinesischen Igel entgegen: „Ick bün all hier“. Noch wird der wirtschaftliche Aufholwettbewerb, dessen Ausgang auch das hegemoniale Kräftemessen mit entscheiden wird, vorwiegend durch Rohstoff-Strategiepläne, Subventionen für Investitionen und politisches Klinkenputzen bei Rohstoffländern ausgetragen. Und noch besteht die Einschätzung, dass der Konkurrenzkampf nicht wie früher bei der Sicherung der Erdölversorgung in einen Konflikt mit harten Bandagen übergehen wird. „The security of clean energy is easier to manage than the security of oil“, beruhigen die Wirtschaftsberater Brian Deese und Jason Bordoff in Foreign Policy, dass es nicht zu einem Krieg um Rohstoffe kommen müsse, sondern diplomatische und ökonomische Lösungen möglich seien.

Das Bildungsnetzwerk China, das „die Vermittlung von China-Kompetenz an deutschen Schulen ausbauen und den Austausch zwischen jungen Menschen beider Länder intensivieren“ will, hat Unterrichtsmaterialien zum Thema „Antike und moderne Seidenstraßen – Streifzüge durch 2000 Jahre eurasische Kontaktzonen und Beziehungsgeflechte“ erstellt. Sie bieten Handreichungen, Arbeitsblätter und thematische Hintergrundinformationen zu Entstehung, Einordnung und Bewertung von ausgewählten Narrativen und Erklärungsansätzen rund um das chinesische Engagement im Rahmen der Belt and Road Initiative. Dabei werden nicht nur geographische Perspektiven, sondern auch die wirtschaftlichen, kulturellen und diplomatischen Aspekte anhand ausgewählter Fallbeispiele analysiert, kontextualisiert und interpretiert. Die didaktisch aufbereitete Materialsammlung enthält zudem zahlreiche weiterführende Informationen und Literaturhinweise.

Ups and Downs along Belt and Road

Hinter der aktuellen geopolitischen Konfrontation treten die Entwicklungen entlang der Seidenstraßen, die ein zentraler Bestandteil der chinesischen Außenwirtschaft und internationalen Politik sind, in den Hintergrund. Der Blick darauf hilft gleichzeitig bei der Einschätzung, wo China mit seiner Positionierung als hegemonialer Konkurrent steht. Deshalb gibt es im Newsletter regelmäßig Hinweise auf besonders aufschlussreiche, kontroverse oder gewichtige Vorhaben. Einen guten Überblick über zahlreiche BRI-Projekte gibt die Datenbank ‚People’s Map of Global China’

Ein Waffenstillstand zwischen der Militärregierung Myanmars und einer Allianz bewaffneter ethnischer Gruppen ist Berichten zufolge weniger als 24 Stunden nach seiner Vereinbarung bei Gesprächen, die von China vermittelt wurden, zusammengebrochen. Ethnische Aufständische im Westen Myanmars sagen, sie hätten eine wichtige Stadt an einer der Hauptrouten nach Indien von den Streitkräften erobert. Die Kurzlebigkeit illustriert, dass Beijings Einfluss auf die Konfliktparteien trotz enger Beziehungen zu beiden Seiten gering ist.

Jason Tower, The Limits of Beijing’s Support for Myanmar’s Military. United States Institute of Peace, February 24, 2023

Der philippinische Präsident Ferdinand Marcos Jr. bricht mit der Politik seines Vorgängers Rodrigo Duterte und baut die Kooperation mit Japan und den USA als Gegengewicht zu China aus. Aktuelles Symbol dafür war die Grundsteinlegung für eine neue U-Bahnstation in der Hauptstadt Manila, finanziert von Japan. Gleichzeitig erlaubt er den USA einen weiteren Ausbau ihrer Militärpräsenz in Sichtweite von Taiwan und blieb demonstrativ dem Seidenstraßen-Forum in Beijing fern. Beobachter rätseln nun, ob das alles bereits Zeichen an der Wand seien, dass die BRI-Strategie zumindest bei der neuen Regierung in Manila gescheitert ist, durch Infrastrukturausbau den wirtschaftlichen, politischen und gar den militärischen Einfluss Chinas auszuweiten.

Unverkennbar orientiert sich die Regierung auf der Suche nach einer Alternative zu Chinas Einfluss nach Westen und zu anderen regionalen Partnern. Neben Japan hätten auch Südkorea und Indien angeboten, Eisenbahnprojekte auf den Philippinen im Wert von fast fünf Milliarden US-Dollar zu finanzieren, wie Manilas Verkehrsminister Jaime Bautista laut einem Reuters-Bericht mitteilte. Das würde exakt dem Umfang bislang geplanter chinesischer Infrastrukturprojekte entsprechen, die von seiten der Regierung aufgekündigt wurden. Zudem könne die Regierung auch einen Teil dieser Vorhaben selbst stemmen oder Investitionen aus dem Privatsektor einwerben. Angeblich stehen auch Unternehmen aus Spanien, den USA  und  der Türkei bereit, die Lücke zu füllen. Die Regierung in Manila kann also die Konkurrenz gegeneinander ausspielen. Die Anbieter haben allerdings, abgesehen von Japan, das in Südostasien der wichtigste Investor in Infrastrukturpojekte ist, wenig Expertise in derartigen Großprojekten.

Unklar ist, ob die Aufkündigung chinesischer Vorhaben eine Reaktion auf die aktuelle Konfrontation zwischen China und den Philippinen im Südchinesischen beziehungsweise Philippinischen Meer ist. Die Zeitung South China Morning Post, die einer eher Beijing-freundlichen Darstellung von Chinas globalen ökonomischen  und politischen Interventionen zugeneigt, sieht als Gründe dafür eher Finanzierungsvorbehalte auf Seiten der chinesischen Geldgeber, deren Interesse an einer Umsetzung der Projekte bereits vorher gesunken sei. Deutlich ist, dass beide Seiten ihre BRI-Projekte absprecken, Länder wie die Philippinen aus Furcht vor Verschuldung und Rückzahlungsverpflichtungen, Beijing aus Sorgen wegen Unwirtschaftlichkeit einiger Vorhaben und Zahlungsschwierigkeiten von Schuldnerländern. Dahinter steckt ein gesunder Realismus auf beiden Seiten: Die Zahlungsfähigkeit von Gläubigern, die angesichts der Verschuldung vieler Länder des Globalen Südens bei öffentlichen, multilateralen und privaten Kreditgebern in den vergangenen Jahren teils ein dramatisches Ausmaß angenommen hat.

Gleichzeitig signalisiert die philippinische Regierung mit ihrem selbstbewußteren Auftreten gegenüber Beijing ihren Anspruch auf eine Rolle als regionale Macht. Rückenstärkung bekommt sie aus Washington durch militärische Aufrüstung, durch ihre Bedeutung als Standort für US-amerkanische Stützpunkte und die demonstrative Bekräftigung des Beistandsabkommens mit den USA. Diese Renaissance in den Beziehungen zwischen Manila und Washington sei aber keine grundlegende strategische Neuorientierung, sondern eine Demonstration von Souveränität und eine Rückversicherung gegenüber China, so Patrick M. Cronon, Sicherheitsexperte am US-amerikanischen Hudson Institute. Dass Marcos Jr. nicht darauf aus ist, den Konflikt mit Beijing zu eskalieren, wird auch durch Bemühungen unterstrichen, die festgefahrenen Gespräche mit den anderen Anrainerstaaten des gemeinsamen Meeres über die gegensätzlichen Ansprüche wieder in Fahrt zu bringen.

Lesehinweis

The latest issue of Global China Pulse includes a forum on the BRI, featuring several interesting articles covering various aspects of the initiative – from an overview of the first decade to the (in)visible BRI, from the environment and discursive change to the impact on local communities to changes in urban geographies. In particular, Hong Zhang’s “How the BRI changed China”, which examines the role of provincial and municipal entities in the initiative, is inspiring.

Zhang „argues that the BRI has led China’s inland regions to become embedded in international trade and investment networks, creating a new ‘constituency’ in favour of open international exchanges. The article also discusses how competition among local governments will test the central state’s capacity to regulate and coordinate localities. While not strictly development-related, these points are important as they may shape China’s political economy, and with it, the future of the BRI.“ This raises an aspect of a very fundamental and hitherto hardly explored question: Does BRI actually achieve the objectives of China’s own national development, i.e. to what extent does it contribute to solving economic problems, ensuring growth and prosperity, political legitimacy and stability? The Dual Circulation Strategy presented in 2021 is an approach taken by Chinese economic policy to address precisely these connections between ‚inside‘ and ‚outside‘. A number of changes towards BRI 3.0 over the past ten years can also possibly be traced back to negative repercussions on politics and the economy in China itself. Taking this further could mean that problems in the implementation of Belt and Road, off-track developments or resistance to impacts in the countries involved could possibly even be the impetus for changes or adaptation processes in China itself?

A Decade of the Belt and Road Initiative. Edited by Jessica DiCarlo. In: Global China Pulse, Volume 2 / Issue 1 / 2023, 115ff

Blogroll Update

Die Seite ‚Blogroll’ bietet Hinweise auf Websites, Newsletter und andere regelmäßige Informationsquellen.

Die Website Belt and Road Portal wird redaktionell betreut von der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua. Sie vermittelt nicht nur einen Einblick in das regierungsoffizielle Selbstverständnis, sondern auch Informationen, bei denen man allerdings bedenken sollte, dass sie Belt&Road „gut erzählen“ sollen.

Das frühere Overseas Development Institute (ODI), das sich inzwischen zur Beratungsinstitution ODI gewandelt hat, liefert nach eigener Aussage „Einblicke und Analysen zu Chinas geoökonomischer Strategie und Politik“. Im Zentrum dabei stehen der ‚globale Fußabdruck‘ durch die Belt and Road Initiative, ihre Auswirkungen auf Entwicklung durch Handel und Investitionen, Beijings Rolle bei bilateraler und multilateraler Finanzierung und Chinas Modernisierung und geopolitische Ambitionen.

Zitat: Whom to Trust?

“We can trust no one else when it comes to what is best for us. Past history has often proven that.”

Ferdinand Romualdez Marcos Jr., Präsident der Philippinen

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