Schwarzer Peter-Spiel in der Schuldenkrise

China, Geopolitik und der Globale Süden

Uwe Hoering, 19. Juni 2023

Die Vorstellung, dass die Milliardenkredite aus China für Belt&Road wesentlich für die gegenwärtige neue dramatische Schuldenkrise verantwortlich seien, hält sich hartnäckig. Doch in den Zeiten der Niedrigzinspolitik haben sich Regierungen überall billig Geld geholt und hoch verschuldet. Mit Pandemie, sprunghaften Zinserhöhungen und steigenden Energiepreisen sitzen nun vor allem viele Länder des Globalen Südens wieder in der Schuldenfalle und sind ihren Gläubigern im Norden, Westen und Osten ausgeliefert.

Beijings Engagement bei den Versuchen, die Schuldenkrise zu lösen, sei „sehr willkommen“, versicherte Kristalina Georgieva bei ihrem Besuch Ende März 2023 in China. Die Anerkennung durch die Direktorin des Internationalen Währungsfonds löste in Beijing Freude aus. Denn eigentlich wird China in westlicher Öffentlichkeit und Politik eher als Schulden-Pusher, der die Empfänger abhängig machen will, beschrieben. Beijing sei „ein Hindernis für notwendige Aktionen“, klagte US-Finanzministerin Janet Yellen. Die Rollenverteilung heißt ‚Good Cop, Bad Cop’. Wobei China als der verstockte Bösewicht gilt, ohne dessen Mitwirkung jedoch die Lösung des Falls nicht möglich ist.

In der Tat ist China zu einem wichtigen Gläubiger aufgestiegen, nicht zuletzt mit Belt&Road, wodurch viele Länder ‚schnelles Geld’ für Infrastruktur und Investitionen erhielten. Das Finanzierungsvolumen schwankt je nach Quelle zwischen 400 und 800 Milliarden US-Dollar, wobei die Grenzen zwischen offiziellen, staatlichen ‚Entwicklungsgeldern’ und privaten kommerziellen Ausleihen vielfach verschwimmt. Insbesondere für viele einkommensschwache Länder, die nicht so leicht an kommerzielle Kredite kommen, ist Beijing mittlerweile der wichtigste bilaterale Gläubiger. Die dadurch gestiegene Verschuldung ist ein beliebtes Mittel, um Belt&Road beispielsweise als „dreckige Seidenstraße“ und „Schuldenkrieg“ zu diskreditieren.

Doch längst ist es nicht mehr möglich, China als alleinigen Urheber der Überschuldung anzuklagen: Pandemie, sinkender Handel, die Zinserhöhung der US-Zentralbank, die wenig Rücksicht auf die weltwirtschaftlichen Auswirkungen nimmt, und die steigenden Energiepreise haben die glücklichen Zeiten, als sich Regierungen dank der Niedrigzinspolitik auch anderswo billig Geld holen und hoch verschulden konnten, abrupt beendet. Schätzungen veranschlagen beispielsweise Chinas Anteil an Afrikas Auslandsschulden auf rund 13 Prozent, den Anteil multilateraler Geber wie Weltbank und IWF auf 32 Prozent – den größten Anteil aber halten private Finanzinstitutionen mit rund 40 Prozent. Seither streiten sich die Gläubiger um die Verantwortung für Lösungen. Auch hierbei weisen Weltbank, IWF und westliche Regierungen immer wieder mit dem Finger auf Beijing: Als angeblich größter Gläubiger müsse es ‚Führung’ zeigen, mutig vorangehen und ‚seiner Verantwortung nachkommen’.

…. und sie bewegt sich doch!

Ein derartiges  Schwarzer Peter-Spiel funktioniert aber angesichts der eskalierenden Krise, bei der alle Gläubiger in einem Boot sitzen, immer weniger. Eine erste, eher noch symbolische Geste war die Initiative der G20 wichtiger Industrie- und Schwellenländer vom März 2020, angesichts der Verwerfungen durch Corona über 70 einkommensschwachen Ländern rasche Erleichterung für ihre akut fälligen Schuldenzahlungen einzuräumen. Diese Debt Service Suspension Initiative (DSSI), eine zeitlich befristete und im Umfang begrenzte Geste, verschaffte bestenfalls eine kurze Atempause. Chinas überproportionaler Beitrag dazu, den eine Studie der China Africa Research Initiative hervorhebt, war der Auslöser für die einladenden Worte von IWF-Chefin Georgieva, verbunden mit der Hoffnung auf ein größeres Engagement bei der substantiellen Entschärfung der Schuldenkrise.

Auch jenseits der G20-Initiative ist Beijing nicht untätig geblieben: bilateral wurden Schuldenrückzahlungen gestreckt und Schulden erlassen – über deren Ausmaß streiten sich die Experten allerdings. In Kleingruppen mit westlichen Gläubigern wie Frankreich und dem IWF wurden für eine Reihe von Ländern wie Sambia, Sri Lanka und Pakistan Umschuldungen und frisches Geld ausgehandelt. Und geradezu flehentlich bittet Zhou Xiaochua, einst Gouverneur der People’s Bank of China und, „one of China’s most prominent advocates for debt-relief efforts in developing nations“, so die South China Morning Post, um mehr Mitsprache für China bei den internationalen Verhandlungen über eine Entschärfung der Schuldenkrise.

Wer sich zuerst bewegt, verliert

Das aber wird schwierig, verlangt es doch den bislang dominierenden internationalen Gläubigern neue Spielregeln ab. Denn Beijing ist nicht Mitglied im ‚Pariser Club’, dem Gläubiger-Kartell westlicher Geberländer, das als ein Instrument gilt, das nicht unbedingt die Interessen der Schuldner im Blick hat. Stattdessen achten sie eifersüchtig darauf, dass bei Umschuldungen und Schuldenerleichterungen nicht die anderen Club-Mitglieder davon profitieren, etwa indem sie ihrerseits ihre Aussichten auf Rückzahlung für die eigenen Kredite verbessern. Auch IWF und Weltbank haben in der Vergangenheit die Überschuldung in der großen Schuldenkrise in den 1980er Jahren weidlich ausgenutzt, um neoliberale Politiken und ‚Strukturanpassungsmaßnahmen’ zu erpressen. Und nach wie vor sind die Schulden für alle Gläubiger im Norden, Westen oder Osten ein Hebel, um wirtschaftliche Interessen, etwa an Rohstoffen, oder geopolitische Geländegewinne durchzusetzen, den man nicht so einfach aus der Hand geben möchte.

Neu ist allerdings, dass die Überschuldung für Beijing selbst zum Problem wird. Der Appell von Ex-Banker Zhou kommt daher nicht überraschend. Die inländische Verschuldung in China droht, aus dem Ruder zu laufen. Gleichzeitig trugen die risikofreudige, durch staatliche Banken und Institutionen gedeckte großzügige Kreditvergabe und die zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten vieler Länder zu faulen Milliarden-Krediten und wirtschaftlichen Schieflagen von Gläubigern bei. Die Gefahr von massiven Kreditausfällen übersteigt inzwischen Beijings Bereitschaft, für wirtschaftliche und politische Gewinne höhere Risiken als westliche Geber in Kauf zu nehmen. Bereits vor der Pandemie wurde damit begonnen, die Kreditvergabe drastisch zu drosseln. Und es gibt vorsichtige Selbstkritik: „The financing of the Belt and Road Initiative should be better and more effective than before, through design research and analysis, and it should also be more convincing internationally“, so Zhou.

Daher stehen in der Schuldenfrage die Zeichen möglicherweise eher auf Annäherung, erstens aus handfesten finanzpolitischen Eigeninteressen, aber auch, weil sich sowohl die westlichen Industrieländer als auch China darum bemühen, bei den Ländern des Globalen Südens zu punkten. Ein Signal dafür ist ein ‚Runder Tisch’ der staatlichen Gläubiger einschließlich Chinas, den Weltbank und IWF Anfang Februar 2023 eingerichtet haben. Grundsätzlich allerdings bleibt das Problem, dass ohne eine Beteiligung der privaten, kommerziellen Finanzwirtschaft der Industrieländer als der weitaus größten Gläubigergruppe an einem notwendigen kräftigen Schuldenschnitt die Krise weiter eskalieren wird. Ob die westlichen Gläubiger zu einer solchen umfassenden Lösung allerdings bereit sind, ist fraglich. Genüsslich stichelt Zhou denn auch: Während der globalen Finanzkrise seien zur Bankenrettung Milliarden locker gemacht worden – aber wie groß sei wohl die Bereitschaft, für die Länder des Globalen Südens jetzt vergleichbare Mittel bereitzustellen?

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