USA-China: Freunde verzweifelt gesucht

China, Geopolitik und der Globale Süden

Uwe Hoering, 30. September 2022

Das Prinzip ‚Winner takes all’ würde in der Konkurrenz zwischen China und den USA nach verbreiteter Meinung vermutlich bedeuten: der Sieger übernimmt die Weltherrschaft, entweder ‚autoritär’ oder ‚frei’. Aber die Situation ist noch längst nicht so weit, und der Kampf zwischen den beiden Kontrahenten tobt munter weiter.

Indo-Pacific Economic Framework

Ein neuer Schachzug der US-Regierung, dem chinesischen Gegner auf dem globalen Go-Spielfeld alle, zumindest möglichst viele Steine wegzunehmen, ist das Indo-Pacific Economic Framework, IPEF. Im Mai von US-Präsident Joe Biden lanciert und verpackt in die starke Botschaft, wirtschaftliche Vorteile für „Familien, Arbeiter und Unternehmen in den USA und der indo-pazifischen Region“ zu bringen, hat in der zweiten Septemberwoche in Los Angeles das dritte Treffen stattgefunden. Seit der verstärkten Hinwendung der USA nach Asien (‚Pivot to Asia’) unter der Obama-Regierung ist das ein weiterer Versuch, Chinas Aufstieg einzudämmen und den Konkurrenten in seinem regionalen Umfeld zu isolieren. Solche ökonomischen Bündnisse und Versprechungen bilden ein Gegenstück zur militärisch-politischen Pazifikstrategie Washingtons.

Mitglieder sind neben den USA weitere Industrieländer aus der Region wie Japan, Süd-Korea, Australien und Neuseeland, aber auch Indien und mehr als ein halbes Dutzend Länder rund um das Südchinesische Meer, von denen einige wie Vietnam und die Philippinen territoriale Konflikte mit Beijing haben. Rein rechnerisch scheint IPEF sowohl hinsichtlich der Bevölkerung als auch des Bruttoinlandsprodukts die im November 2020 beschlossene Regional Comprehensive Economic Partnership, RCEP, zu überflügeln, die bislang als gewichtigste Handelszone der Welt galt. Bei der Mitgliedschaft gibt es zwischen beiden eine weitgehende Überschneidung – doch bei jeder Gruppe fehlt jeweils ein Schwergewicht: China wurde nicht zum IPEF eingeladen, die USA sind nicht bei RCEP dabei. Die Kontrahenten versuchen offensichtlich mit weitgehend dem selben Personal ihre Wirtschaftsräume und Allianzen abzustecken und zu konsolidieren.

Advantage China

Wie ähnliche Initiativen der USA (B3W) und Europas (Global Gateway) bietet IPEF allerdings wenig Konkretes. Von seinen vier Säulen sind mindestens zwei sehr wacklig, um darauf dauerhafte wirtschaftliche Kooperationen aufzubauen: Der angekündigte ‚faire Handel’ würde wohl nicht den Abbau von US-Tarifen und anderen Marktzugangshindernissen bringen, den die anderen Länder sich wünschen. Indien hat sich denn auch bereits aus diesem Segment verabschiedet. Der ‚Kampf gegen Korruption’ wiederum wird in vielen Ländern als innere Angelegenheit betrachtet, in die man sich ungern reinregulieren lässt. Die dritte Säule, Sicherheit von Versorgungsketten, unterliegt vielfältigen und schwankenden Interessen und Unwägbarkeiten. So bleibt als die am wenigsten umstrittene Säule nur Umwelt und ’grüne’ Technologie, doch in diesem Bereich gehören die USA bislang nicht gerade zu den Ländern, die hier attraktive, glaubwürdige Angebote machen können – im Gegensatz zu China.

Während die USA beispielsweise durch den Ausstieg unter Donald Trump aus der Transpazifischen Partnerschaft TPP in den vergangenen Jahren in der Region wirtschaftlich weiter an Boden verloren haben, hat China seine Position kontinuierlich stärken können, unter anderem mit Belt&Road sowie der Einigung auf RCEP als wirtschaftspolitischem Coup, der in den westlichen Industrieländern Schockwellen auslöste. Außerdem gibt es mit der Comprehensive and Progressive Trans Pacific Partnerschaft, CPTPP, eine weitere transpazifische Partnerschaft. An dieser Nachfolge-Organisation zu TPP, die neben Kanada, Mexiko und Chile auch wieder zahlreiche Mitglieder der beiden anderen Bündnisse umfasst, sind allerdings bislang weder die USA noch China beteiligt.

Man sieht: die meisten Länder legen ihre Eier in mehrere Körbe. Aber wie ein Blog auf der Kommentarseite des Institute for Security and Development Policy (ISDP) anmerkt: „Most Indo-Pacific countries are not going to sacrifice their trade and economic interests for superpower geopolitics“. Gegenüber IPEF, das bislang über das Stadium eines Talk Shops mit vagen Versprechungen nicht hinaus gekommen ist, bietet RCEP als verbindliches Abkommen für die mit China hochgradig wirtschaftlich integrierten Länder erheblich mehr Vorteile. Daran wird sich angesichts der Abneigung in den USA gegenüber multilateralen Wirtschaftsabkommen wohl auf Jahre hinaus auch wenig ändern.

Diese vielfältige Vernetzung hat Konsequenzen: Wenn jedes Land mit allen anderen immer engere wirtschaftliche Beziehungen knüpft, wird die Frage einer Entkopplung immer weniger praktikabel: die ‚Globalisierung‘ marschiert, zumindest in geoökonomischen Großräumen. Zweitens verliert Europa in diesen dynamischen Bäumchen-wechsel-dich-Spielen in Asien immer weiter an Boden.

Sie zeigt zudem, wie schwer es den hegemonialen Streithähnen fällt, Länder des Globalen Südens komplett an sich zu binden. Sie nutzen die Spielräume, dealen mal mit der einen, mal mit der anderen Seite – wirtschaftlich eher mit China, sicherheitspolitisch eher mit den USA – und warten erst einmal ab. Daran hat anscheinend auch der Versuch, der Ukraine-Krieg zu nutzen, um sie von China wegzulocken, wenig geändert.

Swing State Indien?

Eine Schlüsselfrage: Wie positionieren sich Schwergewichte wie Brasilien, Südafrika und vor allem Indien, nach China das bevölkerungsreichste Land, die fünftgrößte Volkswirtschaft und unter anderem im Fünfländer-Club BRICS mit Russland und China alliiert? Trotz starker wirtschaftlicher Verflechtungen, beispielsweise durch einen trotz Corona-Krise wachsenden bilateralen Handel, sind die Beziehungen mit China durch vielfältige Konflikte angespannt, nicht zuletzt wegen Beijings massiver wirtschaftlicher und militärischer Unterstützung für Pakistan, und durch die Grenzstreitigkeiten im Himalaya, die wie vor zwei Jahren immer wieder zu militärischen Zusammenstößen führten.

So dominiert seit dem Clash im Himalaya im April 2020 auf politischer Bühne zwischen den beiden Regionalmächten frostige Stimmung. Chinesische Unternehmen in Indien wie Xiaomi und Vivo werden mit Verfahren wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche überzogen. Bei der jüngst stattgefundenen UN-Generalversammlung gab es keine bilateralen Begegnungen zwischen den jeweiligen Außenministern, bei offiziellen Treffen wie der Shanghai Cooperation Organisation, SCO, und BRICS würdigten sich Indiens Präsident Narendra Modi und Chinas Xi Jinping keines Blicks – „no smiles, no handshake“, wie die SCMP berichtet. Medien sprechen von einer anhaltenden „Spaltung“.

Doch es gibt auch Anzeichen für Annäherungsversuche. Indiens Außenminister S. Jaishankar traf seinen chinesischen Amtskollegen Wang Yi am Rande eines Ministertreffens der BRICS-Delegationen in New York und äußerte den Wunsch, die Beziehung mit China wieder zu normalisieren. Und als Zeichen des guten Willens und der Entspannungsbereitschaft halten die Truppen in umstrittenen Grenzregionen im Himalaya wieder mehr Abstand.

Zudem bestehen mit BRICS und der Shanghai Cooperation Organisation gemeinsame Bündnisse. Auch wenn diese Allianzen gegenwärtig aufgrund unterschiedlicher Interessen und Meinungsverschiedenheiten eher auf kleiner Flamme vor sich hin köcheln, könnten sie eine Grundlage für eine weitaus engere Abstimmung und Kooperation oder wie die SCO gar zu einem „euro-asiatischen Gegenmodell zur EU“ werden. Immer wieder werden Pläne zirkuliert, die Bündnisse um Länder in Afrika und in arabischen Regionen zu erweitern, wie jüngst bereits mit dem Iran als neuem Mitglied der SCO.

Indiens bisherige grundsätzliche Haltung einer strategischen Eigenständigkeit gerät inzwischen zunehmend zwischen die Fronten, weil die USA und andere westliche Länder verstärkt versuchen, die Regierung Modi auf ihre Seite zu ziehen. Diplomatische Kontakte werden intensiviert, ebenso wie eine militärische Zusammenarbeit im sogenannten Quad, einem sicherheitsstrategischen Viererbündnis mit Australien, Japan und den USA, oder mit gemeinsamen Militärübungen im Indischen Ozean. Im Gegenzug nahm Indien gemeinsam mit China aber auch am einwöchigen Kriegsspiel Vostok 2022 teil, das von Russland in der ersten Septemberwoche im Fernen Osten und im Japanischen Meer ausgerichtet wurde.

Was die Meinung in westlichen Ländern betrifft, ist China momentan eindeutig der ‚Bad guy’. Bei den Wetten auf den Gewinner in der Konkurrenz hat es dagegen im Globalen Süden anscheinend noch die Nase vorn. Und die USA und ihre westlichen Verbündeten müssen weitaus mehr ‚Butter bei die Fische’ tun, mit denen sie Verbündete fangen wollen.

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