China, Geopolitik und der Globale Süden
Von Uwe Hoering, 30. Juni 2024
Ende Mai erhielt ein Konsortium von Firmen aus der Volkrepublik und Singapur, darunter die staatliche China Communications Construction Company, CCCC, den Zuschlag für den Ausbau des Hafens Anaklia an der georgischen Schwarzmeerküste. Für die Statistiker ist das mindestens der 92. Hafen im Rahmen einer „globalen Hafenstrategie“, bei der chinesische Logistikunternehmen ihre Finger im Spiel haben. Davon wird gefühlt jeder vierte als potentielle Basis für Chinas Marine gehandelt.

Anaklia, nördlich von Batumi, würde damit zunächst lediglich zu einer Verladestation auf einem Nebenzweig des Mittleren Korridors zwischen China und Europa, der vom chinesischen Xinjiang durch Kasachstan, dann über das Kaspische Meer, durch Aserbeidschan und Georgien, und dann entweder über das Schwarze Meer oder durch die Türkei nach Europa führen soll. Die auch als Trans-Caspian International Transport-Route bezeichnete Strecke wird mit Nachdruck vorangetrieben, seit die Nordroute durch Russland durch Ukrainekrieg und Angriffe ukrainischer Drohnen auf Nachschubwege beeinträchtigt ist. Nach einer Weltbank-Studie vom November 2023 könnte sie doppelt so schnell wie die Nordroute sein. Doch ihr Nutzen ist fraglich: Die Logistik ist unter anderem durch die Kombination von Land- und Seetransport kompliziert und ihre Kapazität würde 2030 nur zehn Prozent der Nordroute betragen.
Doch das vorrangige Ziel des Infrastrukturausbaus in Zentralasien ist längst nicht mehr Europa. Länder wie Kasachstan, Aserbeidschan oder Georgien wollen nicht mehr nur Durchfahrtsländer sein. Vor allem aber haben der Ukrainekrieg und die fortschreitende geopolitische Blockbildung den Fokus verschoben.
Wetterfahne Georgien
Bis vor Kurzem setzten viele Politiker in Georgien noch auf einen warmen Wind aus dem Westen. So hatte 2015 ein US-amerikanisches Unternehmen den Auftrag für den Hafen von Anaklia quasi in der Tasche. Doch nach Korruptionsvorwürfen gegen georgische Behörden platzte der Deal. Das war nicht nur ein Zeichen dafür, dass die USA kein ernsthaftes Interesse hatten, im so dringend notwendigen Infrastrukturausbau in den Ländern des Globalen Südens mit Chinas Belt and Road mitzuhalten. Es kann auch als Rückzugssignal gelesen werden, dass sie Zentralasien sich selbst beziehungsweise den europäischen, russischen und chinesischen Dreieckskämpfen überlassen wollen. Seither wird die Achse Russland-China trotz tiefer Unterschiede und Differenzen, beispielsweise gegenüber Europa, immer stärker.
Signalisiert wird das sinkende Interesse am Westen durch das Beharren der gegenwärtigen georgischen Regierung auf dem sogenannten Transparenzgesetz, woraufhin die Verhandlungen über eine EU-Mitgliedschaft prompt durch Brüssel auf Eis gelegt wurden. Dabei hatten bislang nicht nur breite Teile der Bevölkerung, sondern auch frühere Regierungen eine Annäherung an Europa und die westliche Allianz vorangetrieben, nicht zuletzt als Gegengewicht gegen den übermächtigen und übergriffigen Nachbarn Russland.
Zwar macht ein Hafen am Schwarzen Meer mit chinesischer Beteiligung, dessen Umsetzung zudem noch längst nicht in trockenen Tüchern ist, aus Georgien noch keinen Vasallen Chinas. Doch die Beziehungen mit China werden seit Jahren intensiviert. 2017 wurde ein Freihandelsabkommen unterzeichnet, der bilaterale Handel ist stetig gewachsen, chinesische Unternehmen bauten Tunnel, Brücken und Straßen, im vergangenen Jahr wurde eine ‚strategischen Partnerschaft’ vereinbart. Das zeigt nicht nur Europa, sondern auch dem Nachbarn im Norden, dass der Wind momentan immer stärker aus Osten kommt.
„Chinas Verbindung mit Zentralasien“
Anstatt auf den Ausbau der Adern für den europäisch-chinesischen Handel, der von beiden Seiten mit dem Blick auf wirtschaftliche und politische ‚Risikominderung’ auf dem Prüfstand seht, zielt der Infrastrukturausbau auf die engere Vernetzung in Zentralasien – und damit auf eine Region mit wichtigen Rohstoffvorkommen, um die auch Europa wirbt. So wurde jüngst nach einer langen Hängepartie eine Vereinbarung für eine Eisenbahnlinie zwischen China, Kirgisistan und Usbekistan unterzeichnet – nach den Worten von Präsident Xi Jinping „ein strategisches Projekt für Chinas Verbindung mit Zentralasien“. Eine Umsetzung ist zwar sehr aufwändig und teuer, doch gilt sie als ein wichtiger Baustein, um eine Lücke zu schließen und ebenso wie der Ausbau des Mittleren Korridors den Handel zentralasiatischer Länder untereinander voran zu bringen.
Aber auch Russland könnte vom Mittleren Korridor profitieren, wie ein Blick auf die Landkarte zeigt: Von Aktau, dem Umschlaghafen in Kasachstan, ist es nur ein Katzensprung über das Kaspische Meer zum russischen Hafen Astrakhan. Und falls dereinst tatsächlich Schiffe von Anaklia mit Containern aus China ablegen würden, könnten sie sowohl in die Ukraine und nach Rumänien als auch zum russischen Tiefseehafen Noworossijsk an der Ostküste des Schwarzen Meeres fahren.
Zudem kreuzt der Mittlere Korridor den Internationalen Nord-Süd-Transport Corridor INSTC, ebenfalls ein lange gehegter Plan mit schleppender Umsetzung, der Moskau über den Iran mit dem Persischen Golf und Indien verbinden würde. Ein indisches Gegenstück zu CCCC, die India Ports Global Company (IPGL), ist seit Jahren dabei, den iranischen Hafen Chabahar als Umschlagplatz zwischen Indien und Zentralasien zu modernisieren. Obwohl ursprünglich gegen China und dessen China Pakistan Economic Corridor CEPC geplant, würden sich die beiden Linien gut ergänzen und sowohl Russland und Indien, Iran und China eine weitere Diversifizierung ihrer Versorgung und Handelsbeziehungen ermöglichen – und damit die Abhängigkeit von westlichen Sanktionen aller Art verringern. „In ideal circumstances, the completion of the Middle Corridor would facilitate the geoeconomic ambitions of rivals like China, Russia, Iran, and Azerbaijan,“ schätzt die Zeitschrift The Diplomat.
Noch gibt es diese ‚idealen Bedingungen’ nicht. Die meisten Pläne können jederzeit nicht nur am Geld, sondern auch an Konflikten der beteiligten Regierungen untereinander oder Bestrebungen nach ‚strategischer Autonomie’ zwischen den Kontrahenten scheitern. Doch je stärker sich die Konfrontation zwischen den USA und China verhärtet, desto dringlicher wird es, sie umzusetzen. Bekanntlich kann Infrastruktur nicht nur Passagiere und Handelsware, sondern auch Rüstungsgüter transportieren. Sie könnte Nachschub für Russlands Armee liefern, in Anaklia könnten dereinst chinesische Kriegsschiffe ankern. Mit der Shanghai Cooperation Organisation besteht zudem ein bislang lockeres, anfangs sicherheitspolitisches Bündnis, das sich neben China, Russland und mehreren zentralasiatischen Ländern mit Pakistan und Indien längst nach Südasien und mit Iran und Weißrussland auch in Richtung Westen ausweitet. Und für China würde ein riesiges Hinterland aus souveränen Staaten entstehen, falls es tatsächlich zu einem kriegerischen Konflikt im Südchinesischen Meer, der die Seewege beeinträchtigen würde, oder gar mit den USA kommen würde.
Catherine Putz, China-Kyrgyzstan-Uzbekistan Construction to Begin in October, Kyrgyz President Says, in: The Diplomat, May 08, 2024
How the BRI is shaping global trade and what to expect from the initiative in its second decade. China Global Competition Tracker No. 4, December 2023
Lea Thome, Georgia’s Anaklia Port and PRC Infrastructure Strategy. China Brief Volume 24, Issue 13, The Jamestown Foundation, June 21, 2024
Emil Avdaliani, China’s Growing Interests in the Black Sea Region. China Observers in Central and Eastern Europe (CHOICE), June 25, 2024
Seamus Duffy, Why the Middle Corridor Is a Double-Edged Sword, in: The Diplomat Magazin 1 / 2024
Emil Avdaliani, The Expansion of the International North-South Transport Corridor: Geopolitical Updates. Silk Road Briefing, April 04, 2023
The World Bank, The Middle Trade and Transport Corridor: Policies and Investments to Triple Freight Volumes and Halve Travel Time by 2030, November 27, 2023