China, Geopolitik und der Globale Süden
Uwe Hoering, 4. August 2023
Es gibt gute Gründe zu vermuten, dass die massiven chinesischen Investitionen in Ausbau und Modernisierung von Häfen rund um den Globus nicht nur durch rein wirtschaftliche Motive vorangetrieben werden. Auch andere große Infrastrukturprojekte wie Bahnlinien und Straßen können jenseits von Handel oder lukrativen Geschäften militärisch missbraucht werden. Doch die Beweise, dass Beijing an einem weltumspannenden Netz von Marinestützpunkten basteln würde, sind bislang dürftig. Und dass die beteiligten Akteure derartige Absichten dementieren, ist verständlich. Eine aktuelle Studie über Chinas „Globale Ambitionen“ will nun Fakten präsentieren.
Folgt die rote Fahne dem Handel?
In vielen Fällen werden die Projekte in Länder verwirklicht, die ansonsten wenig Aussichten haben, moderne Hafenanlagen zu bekommen, um an einem globalisierten Welthandel teilzunehmen. Häufig handelt es sich dabei allerdings um Prestigeprojekte korrupter Regierungen, ausgerichtet an kommerziellen Interessen chinesischer Bau- und Logistikkonzerne. Anstatt Zugpferde für Wirtschaftswachstum, Handel und Beschäftigung zu werden, wie Entwicklungsplaner hoffen, bleiben viele ‚weiße Elefanten’, teure, aber unsinnige Ideen, an denen der globale Schiffsverkehr vorbeigeht. Inwieweit Militärs an ihrer Planung beteiligt waren oder sind, ist naturgemäß wenig bekannt.
Mangels harter Fakten schießen Gerüchte und Spekulationen um so mehr ins Kraut. Chinas zweite Militärbasis im Ausland sei „most likely“ der Hafen Hambantota in Sri Lanka“, verkündete beispielsweise The China Project. Von dort aus, so die Befürchtungen, könnten dann Schiffe der chinesischen Volksbefreiungsarmee PLA die wichtige Passage durch den Indischen Ozean kontrollieren oder gar unterbrechen. Dass die PLA-Armada inzwischen wieder, wie im 15. Jahrhundert, zahlenmäßig die größte der Welt sei, mag stimmen. Experten sind sich jedoch weitgehend einig, dass sie hinsichtlich (offensiver) Schlagkraft der US-Navy trotz Aufrüstung noch immer weit unterlegen ist. Doch auf einen eindeutigen Beweis für ihre Absichten, etwa eine permanente Stationierung von Soldaten und Kriegsschiffen, möchten Militärstrategen natürlich nicht warten.
Chinesische Armada (15. Jahrhundert)
(Zheng He’s fleet“ by Immagini 2&3D. Creative Commons BY-NC-SA 2.0)
Und der Sieger ist …. Hambantota
Einen Ansatz, die Lücke zwischen Befürchtungen und bruchstückhaften Fakten und Informationen zu schließen, versucht jetzt eine Studie des AidData-Forschungsprojekts am College of William&Mary in Virginia. Anhand einer Reihe von Indizien soll ein Nachweis geführt werden, wo die größte Wahrscheinlichkeit für die nächsten chinesischen Marinebasen besteht.
Dafür wurden 78 internationale Häfen in 46 Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen untersucht, die zwischen 2000 und 2021 von chinesischen Unternehmen gebaut oder erweitert wurden. Eine Grundlage dafür ist die Datensammlung China’s Official Seaport Finance Dataset, 2000-2021, die Informationen über 123 Hafenprojekte auswertet, die offiziell von China mit knapp 30 Milliarden US-Dollar finanziert wurden. Angenommen wird, dass China seine nächsten Go-Steine dort setzen wird, wo es bereits durch frühere Investitionen und Handel Einfluss hat, ähnlich wie bei seinem ersten Auslandsstützpunkt in Djibouti, dessen Handelshafen Doraleh bis 2018 zum Teil von China Merchants Holdings betrieben wurde. Ausgewählt wurden die Länder, wo chinesische Unternehmen die größten Investitionen in Häfen und Hafeninfrastruktur getätigt haben. Diese Häfen wurden dann nach Kriterien wie strategischer Lage, Tiefgang für große Schiffe, politische Stabilität des Landes und dessen Tendenz, in der UN-Generalversammlung mit China zu stimmen, gerankt.
Das Ergebnis: „Hambantota is our top candidate for a future base“ (35). Weitere sieben Aspiranten, „where China might establish naval bases in the next two to five years“ (2), sind dann Häfen in Äquatorial-Guinea, Pakistan, Kamerun, Kambodscha, Mosambik, Vanuatu und Mauretanien, die meisten eh schon auf der Liste der ‚üblichen Verdächtigen’ wie Hambantota, Gwadar und Ream. Doch selbst wenn sie wie der demnächst fertiggestellte Hafen Ream in Kambodscha als Marinestützpunkt gebaut werden, ist noch längst nicht sicher, ob sie damit auch als Standort für Chinas Flotte in Frage kommen würden. Für eine Stationierung sind Infrastruktur wie entsprechende Kaianlagen, die leicht per Satellit erkundet werden können, Versorgungseinrichtungen und Wassertiefe keine ausreichenden Standortfaktoren. Ebenso wenig Kriterien wie ‚politische Stabilität’ oder Abstimmungsverhalten in den Vereinten Nationen, die bekanntlich starken Schwankungen unterliegen.
„Eine chinesische Basis in Hambantota würde Sri Lankas Beziehungen zum großen Nachbarn Indien schwer belasten.“
Stattdessen spielen innen- und (geo)-politische Rahmenbedingungen eine viel wichtigere Rolle, eine Ausweitung chinesischer Standorte zu begrenzen. Denn die potentiellen Standortländer müssen bei einer derart grundlegenden geopolitischen Positionierung auch auf ihre Beziehungen zu anderen regionalen Mächten Rücksicht nehmen. Eine chinesische Basis in Hambantota beispielsweise würde Sri Lankas Beziehungen zum großen Nachbarn Indien schwer belasten und gefährden. Eine derartig einseitige und eindeutige Parteinahme für eine Seite im sich zuspitzenden Wettrüsten würde „restrict (the) latitude, freedom of action, and opportunities in terms of trade, aid, and diplomacy“ der Länder (3). Eine Zustimmung werden sie also gründlich abwägen. Dementsprechend räumt die Studie ein: „The Chinese control over its maritime assets remains uncertain“. Und sollte sich dennoch in den kommenden Jahren die eine oder andere Prognose der Studie bestätigen, ist China noch weit entfernt vom dichten Netzwerk der französischen, britischen und US-amerikanischen Marinebasen und Militärstützpunkte in der Region.
Admiral Zheng He lässt grüßen
Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass Beijing im Streben nach weltpolitischer Bedeutung an die Tradition von Flottenadmiral Zheng He anknüpfen möchte. Dessen seinerzeit größte und modernste Armada machte Anfang des 15. Jahrhunderts nicht nur Freundschaftsbesuche in Südostasien, in Südasien, woran in Sri Lanka heute noch eine Steintafel erinnert, und bis hinüber nach Afrika und Arabien. Es wurden auch Piraten bekämpft, Konflikte mit harter Hand beendet und der politische und wirtschaftliche Einflussbereich des ‚Reichs der Mitte’ ausgeweitet und gesichert. Möglicherweise wäre daraus ein dauerhaftes Kolonialreich geworden, wenn der Kaiserhof nicht beschlossen hätte, die Exkursionen zu beenden und die Flotte stillzulegen. Diese historische Entscheidung könnte der heutigen Führung in Beijing allerdings eine Lehre sein, denn dieser Rückzug sicherte den westlichen Kolonialmächten die Seehoheit und damit den Aufbau ihrer Kolonialreiche, wovon auch China letztendlich nicht verschont blieb. Im nationalistischen PR-Narrativ Beijings über die Segnungen von Belt&Road dient Admiral Zheng He, der “did not occupy a single piece of land”, inzwischen als ein Symbol für Chinas sanften, wohlmeinenden und friedlichen Aufstieg.
„These pioneers won their place in history not as conquerors with warships, guns or swords. Rather, they are remembered as friendly emissaries“.
Xi Jinping über Admiral Zheng He during his opening speech to the Belt and Road Forum in 2017
Methodisch fragwürdig
Der Ausgangspunkt der Studie, die nicht hinterfragte Hypothese, dass China nach weiteren ausländischen Militärstützpunkten strebt, ist eine Behauptung, die in einem militarisierten geopolitischen Diskurs gezielt geschürt und von Medien begierig aufgenommen wird. Die Daten und Kriterien, mit denen die Studie sie zu untermauern sucht, sind allerdings ziemlich eng, willkürlich und fragwürdig. Die bislang einzige faktenfeste Basis in Djibouti am Roten Meer, die offiziell als Standort für chinesische UN-Truppen in Afrika und die Bekämpfung der Piraterie dient und Seit’ an Seit’ mit französischen und US-amerikanischen Militärbasen koexistiert, taugt schlecht als Muster. Weder Kriterien wie die Hafen-Infrastruktur noch vage Einschätzungen wie ‚politische Stabilität’ oder Abstimmungsverhalten in den Vereinten Nationen sind solide genug, um darauf weitreichende Aussagen aufzubauen. Dennoch sind derartige Studien natürlich Wasser auf die Mühlen derjenigen, die es immer schon zu wissen glaubten, und tragen dazu bei, das Feindbild China weiter zu reproduzieren.
Die Studie ist sich dieser Schwäche immerhin bewusst, vermeidet sie doch den Eindruck von Gewissheit und spricht vorsichtig nur vom „Top-Kandidaten Hambantota“, von „potentiellen Basen“, von ‚Vermutungen’. Und sie warnt davor, voreilige Schlüsse für eine weitere Drehung der Eskalationsschraube zu ziehen:„Western coalitions should not overreact to news or rumors of China establishing a base here or there. A headlong rush by a Western country or alliance to establish new bases overseas as a means of counterbalancing might provide exactly the justification or cover China needs to site a naval base of its own“(3).
Abgesehen von methodischen und politischen Einwänden handelt es sich dennoch um eine interessante, anregende Studie mit einer Fülle von Informationen, die angereichert wird durch Kurzporträts der acht dingfest gemachten verdächtigen Hafenprojekte. Als ein Beitrag zu einer Klärung der Frage, ob und welche Häfen Chinas PLA-Armada demnächst besetzen könnte, taugt sie allerdings nicht: Selbst bei ihrer Hitliste der acht Kandidaten bleibt sie weitgehend im Bereich der üblichen Spekulationen. Mit dem gleichen Verfahren könnten auch die Bahnstrecken und Fernstraßen zwischen China und Europa als Planung eines Angriffskriegs interpretiert werden.
Alex Wooley, Sheng Zhang, Rory Fedorochko, Sarina Patterson, Harboring Global Ambitions: China’s Ports Footprint and Implications for Future Overseas Naval Bases. AidData at William&Mary. July 25, 2023
AidData 2023, Chinese-financed Port Infrastructure. China’s Official Seaport Finance Dataset, 2000-2021. July 25, 2023