Krieg um kritische Mineralien?

China, Geopolitik und der Globale Süden

Uwe Hoering, 19. Dezember 2023

Im Sommer 2021 unterzeichneten die Ukraine und die EU-Kommission eine ‚Strategische Partnerschaft für Rohstoffe und Batterien’. Thierry Breton, Binnenmarktkommissar mit erweiterter Zuständigkeit für Verteidigung und Raumfahrt, pries das „große Potential kritischer Rohstoffe in der Ukraine“, um „strategische Abhängigkeiten zu verringern“. Das Land verfügt unter anderem über Lagerstätten von hochwertigem Lithium, Titan, Kupfer, Mangan, Seltene Erden und Graphit und könnte damit zu einem „Schlüsselakteur“ beim globalen Übergang in eine grüne Technologie werden. Es gibt daher Kommentare, die den russischen Angriff auf die Ukraine als den „ersten Lithium-Krieg“ bezeichnen. Denn ein Nebeneffekt der russischen Invasion könnte sein, Europas Pläne für eine gesicherte Versorgung mit strategischen, kritischen Rohstoffen zu durchkreuzen. Derartige Überlegungen zeigen, welche potentielle Sprengkraft die Konkurrenz um kritische Rohstoffe für einen Grünen Kapitalismus hat.

„This partnership will contribute to diversifying
the EU supply of raw materials and
addressing some of the strategic dependencies“

Thierry Breton, EU Commissioner

Die vorgebliche Rettung vor der Klimakatastrophe treibt nicht nur den Extraktivismus, den Abbau natürlicher Ressourcen mit schwerwiegenden sozialen und ökologischen Verwerfungen voran. Sie setzt auch eine Spirale von Protektionismus und Milliarden-Subventionen, häufig auf Kosten sozialer Bereiche, in Gang. Zudem führen Rohstoff-strategische Allianzen zu Blockbildung und einer ineffizienten Fragmentierung in konkurrierende Produktions- und Versorgungsketten. Sie ist häufig verschränkt mit geopolitischer Blockbildung, vor allem mit der Konfrontation mit China, die bereits mit zunehmend harten Bandagen geführt wird. Könnte der Ukraine-Krieg also tatsächlich die Schrift an der Wand für eine militärische Eskalation um kritische Ressourcen sein?

Noch bemühen sich westliche Industrieländer ebenso wie Konkurrent China darum, die Versorgung vorrangig mit wirtschaftlichen und politischen Mitteln zu sichern. Dazu gehören industriepolitische Maßnahmen zur Förderung der Industrie, die Erschließung eigener Produktionsstätten, diplomatische Reisetätigkeit und strategische Rohstoff-Allianzen, Recycling und  technologische Innovationen, um die Abhängigkeit vom Import kritischer Mineralien zu verringern. Gegenwärtig importieren die USA und die Europäische Union bis zu 100 Prozent der für die ‚grüne Transformation’ benötigten kritischen Mineralien. Es wird geschätzt, dass die Nachfrage weiter exponentiell steigen wird. Die Spinne im Netz ist dabei China, das bei vielen Rohstoffen die Verarbeitung, Veredelung und Herstellung wichtiger Komponenten wie Batterien kontrolliert, und damit als eine Bedrohung der „Nationalen Sicherheit“ betrachtet wird. Gleichzeitig verhängen Rohstofflieferanten wie Indonesien, Chile und Simbabwe Exportbeschränkungen und versuchen, die Verarbeitung und Wertschöpfung im Land zu steigern und ihre Position gegenüber den Endabnehmer zu stärken. So hat Indonesien, wichtigster Nickelproduzent der Welt, Ambitionen, nicht zuletzt mit chinesischem Kapital zu einem Produktionsschwerpunkt für E-Mobilität zu werden.

Beim Kampf geht es nicht nur um einzelne Mineralien wie Lithium, bei denen sich möglicherweise leicht Alternativen finden lassen, sondern um mindestens drei Dutzend weitere Rohstoffe. Und es geht längst nicht mehr nur um ein Greenwashing des Kapitalismus und die Erschließung neuer Renditemöglichkeiten durch weitere Modernisierung. Es geht auch um Aufrüstung, die auf Titan und andere Rohstoffe angewiesen ist. Und da die meisten dieser begehrten Stoffe im Globalen Süden liegen, sind die Möglichkeiten begrenzt, durch Erschließung von Produktionsstätten in ‚sicheren Herkunftsländern’ wie Sachsen, Finnland, den USA, Australien und Kanada unabhängiger zu werden. Bis zu einem gewissen Grad können technischer Fortschritt und Recycling helfen, aber ob das angesichts der prognostizierten Größenordnungen ausreichen wird, um Wachstum, Wohlstand und Renditen zu sichern, ist mehr als fraglich. Der Druck ist daher groß, die Versorgung durch zunehmenden Einfluss auf Regierungen und innenpolitische Entwicklungen in den Ländern des Globalen Südens zu sichern, sei es durch Zuckerbrot oder durch Peitsche, durch Versprechungen wie Europas Global Gateway oder durch Sanktionsdrohungen, wenn sie mit der falschen Seite kooperieren sollten.

„Industrial policy targeted at onshoring or building supply chains with allies is unlikely to reshape the
industrial geography of critical minerals any time soon.“

Mari Pangestu, former World Bank Director

Die frühere Weltbank-Direktorin für Entwicklungspolitische Zusammenarbeit und Kooperation, Mari Pangestu, hält die gegenwärtigen Versuche, durch Exportrestriktionen, industriepolitische Fördermaßnahmen und konkurrierende Blockbildung die Versorgung zu sichern, für die „falsche Antwort“, sowohl für die Industrieländer wie für die Rohstoffländer. Es sei unwahrscheinlich, damit „to reshape the industrial geography of critical minerals any time soon.“ Angesichts ihres professionellen Werdegangs bei der Weltbank ist ihre Alternative wenig überraschend – freier Handel und enge wirtschaftliche Kooperation: „Keeping trade open and predictable is as vital to resource-rich countries as it is to resource-poor countries“, glaubt sie, und würde dazu beitragen, die Versorgung zu steigern und zu diversifizieren. Ob das für die Rohstoffländer wirklich zum Vorteil geraten würde, kann man angesichts der negativen Erfahrungen in der Vergangenheit und der asymmetrischen Machtverhältnisse allerdings bezweifeln.

Die verbale Vorbereitung einer Eskalation wirtschaftlichen Konkurrenz in eine militärische Konfrontation ist bereits in vollem Gange. Wie das Manager-Magazin sprechen zahllose Medien angesichts des „aggressiven Vorgehens“ von „Chinas globalem Lithium-Feldzug“, als wären nicht die westlichen kapitalistischen Länder ähnlich scharf auf die kritischen Rohstoffe und Beijing die einzige Regierung auf dem Kriegspfad. Die Funktionalisierung wirtschaftlicher Argumente und Maßnahmen für die ‚Nationale Sicherheit’ wird auf allen Seiten hochgetrieben. Und wie einst bei den Kriegen um Erdöl ließe sich gegebenenfalls leicht ein Anlass finden. Es wäre wahrlich nicht der erste Krieg, der um Ressourcen geführt würde, auch wenn das gerne hinter hochfliegenden Floskeln von Verteidigung von Freiheit, Menschenrechten und Demokratie versteckt wird. Die Vermutung einer Hidden Agenda steht daher nicht nur beim Ukraine-Krieg im Raum. Sie stellt sich auch bei einigen der jüngsten Militärputsche in Afrika, etwa 2021 im westafrikanischen Guinea, wo China kurz zuvor als Teil eines Konsortiums mit Firmen aus Frankreich und Singapur in die Erschließung der Eisenerz-Mine Simandou einstieg.

Noch schöner als die Empfehlung der einstigen Weltbank-Direktor Pangestu, den Konflikt auf friedlichem Weg durch eine marktwirtschaftliche Lösung zu entschärfen, wäre allerdings eine andere, grundsätzliche Alternative: Dem Wahn abzuschwören, mit grünem Kapitalismus und exponentiell steigender Ausbeutung der Natur auf einen Streich weiteres Wirtschaftswachstum, breiten Wohlstand und die Welt zu retten.

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