Belt&Road entwächst den Kinderschuhen

China, Geopolitik und der Globale Süden

Uwe Hoering, 23. Februar 2024

Wie in den vergangenen Jahren vermeldet der jüngste China BRI Investment Report in seinen ‚Key findings’ auch für das zehnte Lebensjahr von Belt&Road überwiegend gute Nachrichten. Sie werden untermauert mit eindrucksvollem Zahlenwerk und Schaubildern, die überwiegend auf den Daten des Handelsministeriums (MOFCOM) basieren, die im November für den Zeitraum von Januar bis Oktober 2023 veröffentlicht wurden. Demnach stieg das Engagement im Energiesektor, ein guter Teil davon erneuerbare Energien, ebenso wie Finanzvolumen und Investitionen, letztere dominiert durch den privaten Sektor. Der Anteil von Investitionen, die vor allem in Bereiche wie Technologien, Metallverarbeitung und Bergbau flossen, erreichte einen Rekordstand. Afrika wurde nach einem Rückgang in den vergangenen Jahren zum größten Empfänger. Und Chinas wirtschaftliches Auslandsengagement wuchs gegenläufig zum Trend sinkender globaler ausländischer Direktinvestitionen (FDI) in Entwicklungsländern. Allerdings sind diese Wachstumstrends, die das publizistische Schaufenster chinesischer Expansion verkündet, weit entfernt von den Zeiten vor Corona, als Beijing mit der Gießkanne über die Lande zog.

Entpuppung von Belt&Road

Diese Erfolgsmeldungen lenken ein Stück weit davon ab, dass Belt&Road als eins der Elemente von Chinas globaler wirtschaftlicher Expansion und politischer Gewichtszunahme an Bedeutung verliert, aber weiterhin als modifizierter Teil eines neuen Stadiums geoökonomischer Konkurrenz im kapitalistischen Weltsystem fungiert. Um diese Entwicklung differenzierter zu interpretieren, muss man allerdings auf andere Quellen zugreifen.

Zum einen hat die Regierung in Beijing zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um finanzielle und politische Risiken, die von Belt&Road ausgehen, zu verringern. Dazu gehören massive Ausgabenkürzungen, Schritte, um Schuldnerländer zu entlasten und die Zahl fehlgeschlagener Projekte zu verringern, sowie öffentlicher Kritik entgegenzuwirken. Ein Bericht von AidData sieht eine Bereitschaft, „aus Fehlern zu lernen“, zu einem versierten internationalen Krisenmanager zu werden und die Finanzierung von Infrastrukturprojekten „zukunftssicher“ zu machen. Dazu gehören auch Versuche, mit sogenannten Public Private Partnerships die Finanzierungsbasis zu verbreitern und die Risiken zu streuen, ein Ansatz, der seit Jahrzehnten immer wieder von westlichen Finanzinstitutionen wie der Weltbank und Wirtschaftspolitikern verfolgt wird – mit geringem Erfolg und hohen Kosten für öffentliche Finanzen.

Doch die Verschiebungen im globalen Auftreten des chinesischen Staatskapitalismus reichen sehr viel weiter als solche internen Modifikationen an Belt&Road. Nachdem China unter anderem durch Belt&Road die Grundlagen dafür gelegt hat, greift es jetzt verstärkt auch in primären und sekundären Wirtschaftsbereichen die westliche Vormachtstellung an, ebenso wie im Finanzbereich, wo es versucht, eigene Finanzinstitutionen und den Renminbi als Handelswährung zu etablieren.

Denn trotz aller Erfolge beim Ausbau weltweiter Transportverbindungen, die vielfach auf China ausgerichtet sind, und dem Aufstieg zum Handelsriesen ist Chinas Wirtschaft global weitaus weniger integriert als die von Japan oder den USA.

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass selbst in den südostasiatischen Nachbarländern Chinas, die gerne als Beute chinesischer Expansion betrachtet werden, chinesische Direktinvestitionen anscheinend immer noch weitaus niedriger sind als die Europas oder der USA.

Neue Infrastruktur“

„Dramatische Verschiebungen“ würden sich inzwischen beispielsweise bei den Investitionen in Lateinamerika und der Karibik zeigen, meint Margaret Myers, Direktorin des Asien- und Lateinamerika-Programms beim Inter-American Dialogue: Zwar sinkt die Zahl der angekündigten Projekte, unter denen sich kaum noch große Infrastrukturprojekte befinden. Dafür verschieben sich chinesische Direktinvestitionen in eine Reihe von Wirtschaftssektoren, die als „Neue Infrastruktur“ bezeichnet werden. Das umfasst Wirtschaftsbereiche wie beispielsweise Telekommunikation, Finanzdienstleistungen und Energiewende, die wiederum für Chinas eigene wirtschaftliche Wachstumsstrategie zentrale Bedeutung haben.

“We are at a moment of really profound recalibration of China’s overseas activity and approach and that includes the BRI which has always been somewhat fluid but it’s changing in ways that it hasn’t in the past“

Margaret Myers, Inter-American Dialogue, February 22, 2024

Der Fokus verschiebt sich zudem zunehmend auf Länder des Globalen Südens, weil sich sowohl westliche Industrieländer als auch China bemühen, ihre gegenseitigen wirtschaftlichen Beziehungen als Absicherung gegen wirkliche oder unterstellte Sicherheitsrisiken umzubauen. Die Länder des Globalen Südens werden als Rohstofflieferanten, Exportmärkte und Investitionsstandorte und damit als Ziele für Investitionen und Technologie aus China immer wichtiger. Damit treten chinesische Unternehmen aber auch in direkte Konkurrenz mit dortigen einheimischen Unternehmen und könnten dadurch deren Entwicklung beeinträchtigen. Was diese wachsende Dominanz chinesischen Kapitals für die Bestrebungen dieser Ländern nach einer eigenständigen, tragfähigen Industrialisierung bedeutet, als deren Partner sich Beijing gerne geriert, wäre weitere Recherchen wert.

„Key features of China’s global engagement are challenging the existing economic order, mitigating risks with liberal market economies and engaging with emerging and developing countries.“

Max J. Zenglein und Jacob Gunter, Merics, November 2023

Globalisierung mit chinesischen Merkmalen in der Pubertät

Wie schon bei der ersten Phase von Belt&Road wirft diese Entwicklung zudem die Frage auf, inwieweit bei der auf Expansion gebürsteten staatskapitalistischen Wirtschaft Chinas wirtschaftliche Notwendigkeiten oder geopolitisches Kalkül im Vordergrund stehen: So verkündet Felix Chang vom Foreign Policy Research Institute: „The BRI’s ever-shifting aims suggest that the initiative’s ultimate goal may have become more political than economic“, die Autoren einer Merics-Studie glauben zu wissen, dass durch „aligning economic actors with China’s strategic goals“ die Unterordnung der globalen Expansion unter den Primat der Politik und eine expansionistische, gar imperiale Politik weiter voranschreiten. Dafür sprechen dann Hafenprojekte, die als potentielle Marinestützpunkte geoutet werden, Infrastrukturprojekte, die die Produktionsketten geopolitischer Konkurrenten bedrohen, und günstige Kredite und Prestigeprojekte, durch die geopolitische Freunde gewonnen werden sollen.

Wie bislang schon lassen sich beide Triebkräfte natürlich nicht trennen und befördern sich gegenseitig. Doch das pragmatische Vorgehen chinesischer Unternehmen im Ausland spricht nach wie vor dafür, dass die Motive der neuen Phase globaler Expansion mit chinesischen Merkmalen primär wirtschaftspolitischer Art sind und dem Wachstumszwang kapitalistischer Akkumulation beziehungsweise nationaler Krisenbewältigungsversuche entspringen. In vielen Fällen sind chinesische Konzern dabei längst nicht mehr auf direkte staatliche Anweisung zur globalen Integration (‚Going global’) angewiesen, auch wenn die Unterstützung nach wie vor hilfreich ist, sondern folgen in den meisten Fällen Konzernstrategischen Überlegungen, wobei sie sich gar nicht so sehr vom Vorgehen ihrer westlichen Konkurrenz unterscheiden. Das schließt nicht aus, dass ihre Entscheidungen indirekt durch die geopolitische Konfrontation und die damit einhergehenden Versuche von ‚De-Risking‘ und ‚Decoupling‘ geprägt werden und damit auch Auswirkungen auf den geopolitischen Machtkampf haben. Denn selbstredend ist die wirtschaftliche Stärke in der globalen Konkurrenz ein wesentlicher Faktor für die hegemonialen Kräfteverhältnisse.

Wenn man Beijings Expansionsstrategie als ‚Coming of age‘-Geschichte betrachtet, hat ‚Global China’ inzwischen das Stadium der Pubertät erreicht. Und das ist bekanntlich häufig geprägt durch krasse Reaktionen und heftige Ablehnung bestehender Ordnungen.

Christoph Nedopil Wang, China Belt and Road Initiative (BRI) Investment Report 2023, Griffith Asia Institute and Green Finance and Development Center, February 2024

Felix F. Chang, China’s Belt and Road Initiative: Politics over Economics. Foreign Policy Research Institute, Asia Program, September 2023

Kjeld van Wieringen, Tim Zajontz, From Loan-Financed to Privatised Infrastructure? Tracing China’s Turn Towards Public-Private Partnerships in Africa. Journal of Current Chinese Affairs 2023, Vol 52(3), 434-463

Stewart Paterson, China’s BRI 2.0: The road to national rejuvenation? Hinrich Foundation, January 2024

Max J. Zenglein, The world’s factory strikes back. Hinrich Foundation / Merics, February 2024. Download pdf

Margaret Myers, Ángel Melguizo, and Yifang Wang, “New Infrastructure”: Emerging Trends in Chinese Foreign Direct Investment in Latin America and the Caribbean, January 19, 2024

Max J. Zenglein and Jacob Gunter, The party knows best: Aligning economic actors with China’s strategic goals. Merics, October 2023. Chapter 6: China contends for the central position in the global economy

Parks, B. C., et al, Belt and Road Reboot: Beijing’s Bid to De-Risk Its Global Infrastructure Initiative. AidData at William & Mary. November 2023 (report, pdf)

Schreibe einen Kommentar