China, Geopolitik und der Globale Süden
Uwe Hoering, 6. Januar 2024
Die letzten Wochen des Jahres 2023 brachten eine Reihe von Nachrichten, die Belt&Road mal wieder auf dem Totenbett sahen: Italien verkündete am 6. Dezember, eine vor fünf Jahren geschlossene Absichtserklärung über die Zusammenarbeit mit China nicht zu verlängern. Damit geht das einzige BRI-Mitglied der G7-Länder von der Fahne. Und das Interesse der übrigen europäischen Länder ist ebenfalls gesunken, abgesehen von Ungarn oder Serbien. Zudem erhielt der geopolitische Coup des Jahres, die Erweiterung des Fünfer-Bündnisses BRICS um weitere wichtige Länder des Globalen Südens, einen Dämpfer: Zum Jahresende teilte die neue argentinische Regierung mit, nicht wie angeboten dem Club am 1. Januar 2024 beizutreten. Die geringe Beteiligung ausländischer Spitzenvertreter beim 3. Belt and Road Forum for International Cooperation Mitte Oktober in Beijing hatte bereits signalisiert, dass Chinas Anziehungskraft auch in anderen Ländern zu schwinden scheint.
„Chinas Anziehungskraft scheint zu schwinden.“
Ergänzend dazu eine kleine Auswahl weiterer Schlagzeilen über Rückschläge: Die Regierung von Nepal ist unzufrieden mit den Wirkungen von Belt&Road, die Philippinen kündigen Vereinbarungen für drei Eisenbahnprojekte, das BRI-Leuchtturmprojekt mit Pakistan, der Wirtschaftskorridor CPEC, steckt in der wirtschaftlichen und politischen Krise fest, was sich darin manifestierte, dass Beijing neue Finanzierungszusagen abgelehnt haben soll. Und das chinesische Unternehmen CMOC, ein führender Kobalt- und ein Kupferproduzent, zieht sich aus dem australischen Kupfer- und Goldbergbau-Unternehmen Northparkes Mines (NPM) zurück. Die Mehrheitsbeteiligung daran galt einst als Sprungbrett für zahlreiche weitere Projekte chinesischer Unternehmen.
Solche Nachrichten suggerieren, China sei auf dem Rückzug und die Blockbildung würde Stück für Stück und unausweichlich vorangetrieben. Doch die Entwicklung ist sehr viel komplexer.
Sitting on the fence
Hinter der Klage aus Rom, die Kooperation hätte nicht genügend Vorteile für Italien gebracht, steckt auch der Druck der USA und anderer Länder der westlichen geopolitischen Allianz, auf die gemeinsame Konfliktlinie gegenüber China zurückzukehren. Der Rückzug ist allerdings eher symbolisch, ebenso wie die frühere Kooperationsankündigung selbst. Für die tatsächlichen wirtschaftlichen Beziehungen dürfte er kaum größere direkte Auswirkungen haben. Als diplomatische Gesichtswahrung wollen beide Seiten die strategische Partnerschaft, die seit mehr als zehn Jahren besteht, neu beleben, heißt es. Und auch die europäische Spitzenpolitik signalisierte mit dem Besuch von Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Anfang Dezember 2023 in Beijing den Wunsch nach weiterer Kooperation.
Argentiniens neuer Präsident Javier Milei hatte mit Kritik an drohender Abhängigkeit von China Wahlkampf gemacht und musste jetzt Taten folgen lassen. Schon vorher allerdings gab es Hakeleien: Durch die neue Regierung drohte Beijing beim Deal um die Lieferung von Kampfjets gegenüber den USA ins Hintertreffen zu geraten. Offensichtlich ‚not amused’ über den Kurs Mileis‘, kündigte Beijing einen Kreditrahmen von umgerechnet 6,5 Milliarden US-Dollar auf, ein Warnsignal angesichts Argentiniens drohender internationaler Zahlungsunfähigkeit und geringer Kreditwürdigkeit. So steht Milei vor der Wahl zwischen demonstrativem Abrücken von China und harten ökonomischen Interessen an einer weiteren Beziehung. Patricio Giusto vom Sino-Argentine Observatory in Buenos Aires, meint jedenfalls: “The interdependence we have with China is irreplaceable.“
„“The interdependence we have with China is irreplaceable.“
Patricio Giusto vom Sino-Argentine Observatory in Buenos Aires
Auch die anderen Schlagzeilen zeigen, dass die geopolitischen Frontlinien in Bewegung sind. Nepal laviert zwischen seinen mächtigen Nachbarn im Norden und im Süden und versucht, von beiden möglichst viel herauszuschlagen. In Chinas Verhältnis mit den Philippinen baut sich gerade ein neues Konfliktszenario auf, indem Manila die militärische und politische Annäherung an die USA vorantreibt und mit Beijing im Südchinesischen Meer auf Konfrontationskurs liegt. Der Regierung werden Ambitionen nachgesagt, sich als Junior-Regionalmacht in Südostasien und Pazifik etablieren zu wollen. Und auch hierbei hilft die Flexibilität in der geopolitischen Positionierung, etwa durch die US-amerikanische Militärhilfe.
Ziemlich beste Freunde
Mit Australien herrscht hingegen trotz der soliden Einbindung in die militärische Bündnispolitik der USA nach der Phase eines kontrollierten Wirtschaftskriegs gerade politisches Tauwetter, das auf engen wirtschaftlichen Beziehungen beruht, besonders im Rohstoffsektor. Der Verkauf der CMOC-Mehrheitsbeteiligung an der australischen Bergbauunternehmen NPM lässt sich als Teil einer chinesischen ‚De-Risking’-Strategie bei kritischen Rohstoffen lesen. Unternehmenssprecher räumen ein, dass „geopolitische Faktoren die Aussichten für eine langfristige Geschäftsausweitung in Australien beeinträchtigen“. Und China hat längst Ersatz gefunden, um seine Abhängigkeit von westlichen Allianzen zu reduzieren, für Kupfer beispielsweise in der DR Congo durch die CMOC-Beteiligung am Bergbaukonzern TFM.
In Pakistan bereiten der stabilitätsaffinen Regierung in Beijing nicht nur die tiefe politische und wirtschaftliche Krise Sorgen, sondern auch die zahlreichen Angriffe auf chinesische Unternehmen und Staatsbürger. Ein völliger Rückzug aus Pakistan ist aufgrund der zentralen Bedeutung des Landes, nicht nur für Belt&Road, unwahrscheinlich. Die Entscheidung, den Geldhahn zuzudrehen, unterstreicht aber einmal mehr, dass in Beijing die Zeichen auf der Bereinigung der Bilanzen von riskanten Schulden stehen, selbst gegenüber ziemlich besten Freunden, und die Ergebnisse der laufenden internationalen Rettungsmaßnahmen durch den IWF abgewartet werden.
„Der Drache hält die Dinge am Laufen„
So sind auf allen Seiten politische Loyalitäten und Allianzen im Fluss. Beijing arrondiert seine Auslandsbeziehungen. Nach einer ersten Phase als Big Spender gibt es sich jetzt eher als strenger Haushälter. Dass dabei neben politischen auch wirtschaftliche Überlegungen weiterhin eine zentrale Rolle spielen, zeigt die Verschiebung der Prioritäten von Belt&Road zu Digitalisierung, Rohstoffen, grünen Technologien und der Auslagerung von Verarbeitungsindustrien. Damit bleibt China aber auch weiterhin die erste Adresse für viele Länder des Globalen Südens.
„Drachen beginnen große Dinge und
Gesellschaft für deutsch-chinesische Freundschaft
halten sie auch am laufen.“
Zweitens zeigen die Nachrichten, dass der Globale Süden selbstbewusster wird. Er kann zwischen den Konfliktparteien wählen, sie gegeneinander ausspielen, seine eigene gewachsene Stärke in die Waagschale werfen. China und der geopolitische Westen werden damit gleichzeitig verstärkt zu Konkurrenten um deren Märkte, Rohstoffe und Gunst. Die Länder des Globalen Süden könnten damit aber auch zu einem möglichen Bindeglied zwischen ihnen werden, wie die Ansätze einer Zusammenarbeit westlicher und chinesischer Konzerne, in der Schuldenkrise oder bei Stabilisierungsbemühungen in Konfliktregionen zeigen.
Belt&Road ist jedenfalls noch längst nicht tot. Und auch die Vorzeichen stehen günstig: Am 10. Februar beginnt nach dem chinesischen Tierzeichen-Kalender das Jahr des Drachens. Drachen, so heißt es unter anderem, „beginnen große Dinge und halten sie auch am laufen“. Allerdings sei ihnen auch „die Aussicht, Macht zu verlieren, ein unerträglicher Gedanke“.