Just another BRICS in the Wall

China, Geopolitik und der Globale Süden

Uwe Hoering, 25. August 2023

„Ein Gespenst geht um in der Welt – das Gespenst des Globalen Südens. Alle Mächte des alten Westens haben sich zu einer heiligen Konkurrenz um dies Gespenst verbündet.“

Zugegeben – ein Vergleich des Globalen Südens mit dem „Gespenst des Kommunismus“, das Karl Marx und Friedrich Engels in ihrem Manifest von 1848 beschwören, scheint arg weit hergeholt. Doch viele Kommentare im Vorfeld des BRICS-Gipfels vom 22. bis 24. August im südafrikanischen Johannesburg transportierten eine ähnlich düstere Vorahnung wie damals zur Mitte des 19. Jahrhunderts: Die Furcht vor dem Aufstieg einer diffusen Macht, deren Konturen und dementsprechend deren Bedrohung für die herrschenden Mächte sehr unklar sind – und die möglicherweise Vorbote einer veränderten Weltordnung ist.

Klatsche für ‚den Westen’

China und Russland, die üblichen Verdächtigen, hätten sich in Johannesburg mit ihrem Ziel, BRICS als anti-westliche Allianz zu stärken, durchgesetzt, so die westliche Sicht. Die Aufnahme des Iran ist in der Tat eine deutliche Provokation der USA. Überraschend ist daher durchaus, dass sich Indien, Südafrika und Brasilien, deren Chefs aus westlicher Weltsicht weniger durchgeknallt sind als Wladimir Putin und Xi Jinping, der Einladung an Argentinien, Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten angeschlossen haben, wenn auch nach einiger Gegenwehr. Wurden doch bislang (unrealistische) Hoffnungen auf eine stärkere Annäherung von Indien und Brasilien an den Westen gehegt. Stattdessen könnte BRICS, jahrzehntelang eher belächelt als ernst genommen, zu einem neuen Gravitationszentrum werden.

Die westlichen Versuche, mit der Beschwörung einer „Wertegemeinschaft“ und halbherzigen wirtschaftlichen Angeboten ein Gegengewicht zu schaffen,
ziehen nicht so richtig.“

Die westlichen Auguren stehen jetzt vor dem Rätsel, warum sich wichtige Länder des Globalen Südens nach ihrer Ansicht völlig unvernünftig verhalten. Denn noch sehr viel mehr Länder haben angeblich Beitrittsinteresse bekundet, darunter weitere potentielle Partner des Westens wie Indonesien, sogar dem NATO-Mitglied Türkei wird Interesse angedichtet. Offensichtlich wurde die weltpolitische Veränderung, die durch Chinas Aufstieg erfolgt ist, massiv unterschätzt und hier verschiebt sich gerade etwas sehr grundsätzlich. Die westlichen Versuche, mit der Beschwörung einer „Wertegemeinschaft“ und halbherzigen wirtschaftlichen Angeboten ein Gegengewicht zu schaffen, ziehen nicht so richtig.

Wirtschaftlich bietet China den Ländern des Globalen Südens Kredite, Infrastruktur, Handelswege und Pfründe, um Macht und Herrschaft zu sichern. Und es bietet Anerkennung von Souveränität, von wachsender Bedeutung. Möglicherweise trägt es damit sogar zu einer Identität als ‚Globaler Süden’ bei, deren frühere zahlreiche Versuche seit dem Ende der Kolonialzeit, sich aus der Abhängigkeit zu befreien und einen eigenen, selbstbestimmten Entwicklungsweg zu gehen, immer wieder zerschlagen wurden. Offensichtlich wurden die Unzufriedenheit mit den nur oberflächlich verarbeiteten Nachwirkungen der Kolonialzeit, die neue selbstbewusste postkoloniale Attitüde in vielen Ländern, unterschätzt, selbst wenn es sich verbreitet um Attitüde handelt. Die Impfstoffpolitik während der Corona-Pandemie hat diese Stimmung sicher noch einmal bekräftigt.

Natürlich repräsentieren weder die BRICS-Staaten noch die erweiterte Gruppierung den ‚Globalen Süden’. Verbreitet die Kritik, dass sie sich in ihren jeweiligen Regionen und wirtschaftlichen Ambitionen nicht wesentlich anders verhalten als westliche Industrieländer. Und ob die übrigen kleineren, wirtschaftlich schwächeren Länder davon profitieren werden, ist daher nicht gesichert.

Elf Freunde sollt ihr sein

Im Konflikt mit dem Westen dagegen hat die Teambildung Potential: In den fünf bisherigen Mitgliedsländern leben bereits 40 Prozent der Weltbevölkerung, sie stellen ein Drittel der Wirtschaftsleistung, einen wachsenden Anteil an Industrieproduktion, Welthandel und militärischer Aufrüstung – wenn auch nicht zuletzt dank Indien und China. Mit Ländern wie Saudi Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Iran gewinnt es nun gewichtige Energieproduzenten hinzu. Weitere wichtige Rohstoffproduzenten, darunter Länder, die vom Westen umworben werden, stehen an der Seitenlinie. Man darf darauf gespannt sein, welche Kriterien für die nächste Auswahlrunde aufgestellt werden.

„Diese Bündnisse sind noch nicht die neue Blockkonfrontation oder ein Durchbruch für eine neue, multipolare Weltordnung.“

Doch zur Beruhigung: Auch wenn sich mit der Shanghai Cooperation Organisation SCO, ein weiteres, vor allem auf Zentralasien und den Nahen Osten ausgerichtetes militärisch-wirtschaftliches Gravitationszentrum entwickelt – diese Bündnisse sind noch nicht die neue Blockkonfrontation oder ein Durchbruch für eine neue, multipolare Weltordnung.

Politisch sind viele von ihnen als autoritäre Regime diskreditiert, sind wirtschaftlich angeschlagen, leiden unter Sanktionen wie Russland und Iran, die Abhängigkeit von Beziehungen zu westlichen Industrieländern ist nach wie vor groß. Zudem bringt die Erweiterung neben den alten Dissonanzen, etwa zwischen China und Indien, neue wie zwischen Iran und Saudi Arabien mit sich. BRICSplus ist dementsprechend inkonsistent, schwach, von Widersprüchen und internen Konflikten zerrissen. Und es ist ein Elitenprojekt, ausgeklüngelt von Regierungen, die ihre Interessen sichern wollen, ohne Beteiligung breiter Bevölkerungen, geschweige denn getragen von der Begeisterung sozialer oder gesellschaftlicher Bewegungen, obwohl diese immer stärker werden.

Deshalb wird der ‚Globale Süden’ kaum in der Lage sein, „seine Anschauungsweise, Zwecke, Tendenzen vor der ganzen Welt offen“ darzulegen, so wie es Marx und Engels mit dem Manifest beabsichtigten. Und es kann bezweifelt werden, dass die Abschlusserklärung des Bündnisses, das sich gerne als Stimme und Interessenvertretung des Globalen Südens versteht, ähnliche Bewegungen in aller Welt mobilisieren wird wie das Kommunistische Manifest. Aber BRICSplus ist ein weiterer Ziegelstein in den Mauern, an denen von unterschiedlichen Seiten kräftig gebaut wird.

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