G-20 und das Tauziehen um den Globalen Süden

China, Geopolitik und der Globale Süden

Uwe Hoering, 20. September 2023

Der G-20-Gipfel in Indiens Hauptstadt New Delhi war eine gute Gelegenheit für den Versuch des geopolitischen Westens, den guten Globalen Süden gegen den bösen Globalen Süden auszuspielen. Wie auch bei anderen multinationalen Foren bestimmten vor allem die Schachzüge von China, den USA und des Globalen Südens die Nachrichten: Drohen hier ‚anti-westliche Allianzen’?

Der G-20-Gipfel von Industrie- und Schwellenländern in Indiens Hauptstadt New Delhi war eine gute Gelegenheit für den Versuch des geopolitischen Westens, den guten Globalen Süden gegen den bösen Globalen Süden auszuspielen. Die Guten sind die Regierungen, die auf „unserer“ oder zumindest nicht auf Beijings Seite stehen, die Bösen werden angeführt von China und Russland. Dass bei dieser Eingemeindung dann schon mal die „Wertegemeinschaft“ leger ausgelegt wird, ist bekannt. Von dieser Flexibilität profitiert auch die indische Regierung unter Präsident Narendra Modi, die vom Westen als Partnerin umworben wird, obwohl sie kräftig daran arbeitet, das Land auf einen hinduistisch-autoritären Kurs zu bringen. Gleichzeitig kam Modi der G-20-Vorsitz und damit das Gipfeltreffen gerade Recht, um sich als Führer des Globalen Südens zu profilieren und dem Westen anzudienen, auch wenn der Globus im Gipfel-Logo nur die halbe Welt zeigt.

Es war denn auch die Konkurrenz zwischen China und Indien, die einen Gutteil der öffentlichen Aufmerksamkeit bekam, nicht etwa die eskalierende Verschuldungskrise, für deren Bewältigung die G-20 nach der Finanzmarktkrise 2008 eigentlich Handlungsfähigkeit versprochen hatte, oder Maßnahmen angesichts der Klimakrise, die gegenüber früheren Ankündigungen weiter verwässert wurden. Daneben waren eigentlich nur noch zwei Fragen wichtig: Ob es eine gemeinsame Abschlusserklärung der „Party“ gab, wie die indische Ökonomin Jayati Ghosh das Treffen bezeichnete, und darin die Stellung zum Ukraine-Krieg. Diese Erklärung gab es dann, aber sie war „banal, sinnfrei und bedeutungslos“, so Ghosh, und die erhofften Passagen zum Ukraine-Krieg fielen gegenüber dem Bali-Gipfel der G-20 vor einem Jahr erheblich neutraler aus, was eigentlich nur die grundlegend unterschiedlichen Positionen der Industrieländer und der Schwellenländer spiegelt. Die Aufnahme der Afrikanischen Union als Vertretung von über 50 afrikanischen Ländern war zwar eine nette Geste. Um zu einem „Champion für den Globalen Süden“ zu werden, wie Darren Walker, Präsident der US-amerikanischen Ford Foundation hoffte, seien jedoch „new ideas and more inclusive leadership“ notwendig.

„(The G-20’s) wealthy Western members have often exercised the greatest influence while leaving the developing world’s priorities off the table – making it one of many examples in which the West has dominated global affairs at the expense of the rest of the world“.

Darren Walker, Präsident der US-amerikanischen Ford Foundation

Wie in New Delhi bestimmen auch bei anderen multinationalen Foren vor allem die Schachzüge von China, den USA und des Globalen Südens die Weltsicht, das Interesse und infolgedessen die Nachrichten: Drohen hier ‚anti-westliche Allianzen’? Im August diesen Jahres hatte der Fünfer-Club BRICS mit der Erweiterung um sechs Mitglieder seinen eigenen Anspruch auf Organisierung des Globalen Südens unterstrichen. Darunter sind ‚böse’ Länder wie der Iran und eher ‚gute’ wie Argentinien. Das Chinas Xi Jinping und Russlands Putin, zwei der fünf BRICS-Mitglieder, jetzt beim G-20 in Indien fehlten, wird als eine demonstrative Distanzierung gelesen. Denn eigentlich war eine Neuauflage des direkten Gesprächs der Präsidenten von China und der USA wie vor einem Jahr beim G-20-Treffen im indonesischen Bali erhofft worden. Umgekehrt fehlte US-Präsident Joe Biden beim ASEAN-Treffen im indonesischen Jakarta Anfang September. Das Bündnis von zehn südostasiatischen Staaten ist politisch, wirtschaftlich, im Konflikt um das Südchinesische Meer und im Tauziehen zwischen China und den USA ein gewichtiger Akteur. Im Gegenzug strichen Präsident Xi Jinping und Chinas Außenminister Wang Yi ihre Auftritte bei der UN-Generalversammlung Mitte September, eigentlich ein Parkett, auf dem der Globale Süden zuhause ist und umworben werden kann.

Gerätselt wird nun, ob das jetzt schon die Blockbildung von Guten und Bösen in der Welt oder gar das Ende einer neuen, multipolaren Weltordnung ist, bevor sie richtig begonnen hat, und sich stattdessen ein neuer Kalter Krieg zusammenbraut? Die nächste Gelegenheit, bei denen sowohl Xi Jinping als auch Joe Biden teilnehmen und eventuell sogar symbolträchtig ins Gespräch kommen könnten, ist das Asien-Pazifik-Forum (Asia Pacific Economic Cooperation, APEC) im November in San Francisco – aber eine Zusage von Xi Jinping steht noch aus. Auch beim Klimagipfel in Dubai (COP-28) Anfang Dezember könnten die beiden durch eine Teilnahme signalisieren, dass ihnen die Kooperation etwa beim Klimaschutz ein Anliegen ist. Dann klärt sich für die Gipfel-Auguren möglicherweise, ob Beijing den hochrangigen Gesprächsfaden abreißen lässt, ob Xi Jinping krankgeschrieben ist oder ob er wegen vielfältiger interner Probleme in China lieber auf Auslandsreisen verzichtet.

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