Newsletter 27/Januar 2024

24. Januar 2024

Inhalt: Flexible Loyalitäten und Allianzen +++ Krieg um kritische Mineralien? +++ Liebesgrüße von ‚Fat Man’ und ‚Little Boy’ +++ Weiterer Rückschlag für BRICS? +++ Ups and downs: Chinas Auslandsinvestitionen: Die Risiken steigen +++ Belt&Road in Südostasien +++ Chinesische Konzerne in Indonesien +++ Lesehinweise: Die Beziehungen zwischen China und Afrika in 2024 +++ Wie Südostasien einen neuen Kalten Krieg abwenden könnte +++ Welche internationale Ordnung? +++ Update Blogroll: China Global South Project +++ Zitat: Das Jahr des Drachen

Das Jahr des Drachen

Leider kann man das alte Jahr nicht zerknüllt hinter sich lassen, und das neue Jahr ist wahrlich kein unbeschriebenes Blatt. Trotzdem kann man hoffen und wünschen, dass es genügend Raum für positive Eintragungen geben wird.

Uwe Hoering, 6. Januar 2024

Anfang Dezember vergangenen Jahres kündigte Italien die Mitgliedschaft in Belt&Road auf. Zum Jahresende teilte die neue argentinische Regierung mit, dem Fünfer-Bündnis BRICS nun doch nicht beizutreten. Die Regierung von Nepal ist unzufrieden mit den Wirkungen von Belt&Road, die Philippinen kündigen Vereinbarungen für drei Eisenbahnprojekte und Beijing lehnt neue Finanzierungszusagen für das BRI-Leuchtturmprojekt mit Pakistan, den Wirtschaftskorridor CPEC, ab. Solche Nachrichten suggerieren, China sei auf dem Rückzug. Doch die Entwicklung ist sehr viel komplexer. Zum Beitrag

Uwe Hoering, 19. Dezember 2024

Manchen Kommentatoren gilt der russische Angriff auf die Ukraine als der „erste Lithium-Krieg“. Denn ein Nebeneffekt der russischen Invasion könnte sein, Europas Pläne für eine gesicherte Versorgung mit strategischen, kritischen Rohstoffen zu durchkreuzen, über die die Ukraine reichlich verfügt. Derartige Überlegungen zeigen, welche potentielle Sprengkraft die Konkurrenz um kritische Rohstoffe für einen Grünen Kapitalismus hat. Zum Beitrag

Tinian, eine kleine US-Insel im Pazifik, dürfte heutzutage kaum jemandem bekannt sein. Doch sie hat historisch große symbolische Bedeutung: Von hier starteten Anfang August 1945 die B29-Bomber, die die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abwarfen. Seither liegt der einstige Militärflugplatz in einem Dornröschenschlaf. Jetzt hat das US-Militär begonnen, ihn instand zu setzen, wie das Portal Stars and Stripes berichtet. Im Rahmen des Abkommens über verstärkte militärische Zusammenarbeit (Enhanced Defense Cooperation Agreement, EDCA) mit den Philippinen werden zudem weitere Stützpunkte aus dem Zweiten Weltkrieg im Pazifik modernisiert. Und obwohl Tinian 3.000 Kilometer von der chinesischen Südostküste entfernt liegt, sendet die Erinnerung an ‚Fat Man’ und ‚Little Boy’, wie die Bomben kameradschaftlich bezeichnet wurden, eine deutliche Botschaft an Beijing.

Nachdem die neue argentinische Regierung unter Präsident Javier Milei das Angebot ausschlug, dem Fünfer-Club am 1. Januar 2024 beizutreten, droht ein weiterer Rückschlag: Wie Saudi Arabiens Handelsminister Majid Al-Kasabi beim Weltwirtschaftsforum Mitte Januar in Davos erklärte, schiebt die saudische Regierung ihre Entscheidung noch hinaus. Ein möglicher Grund dafür: Der Balanceakt der Regierung zwischen ihrem wichtigsten Waffendealer, den USA, und dem neuen engen wirtschaftlichen Kooperationspartner China. Selbst wenn das Zögern nicht zu einem völligen Rückzug führt, ist es für Beijing peinlich. Linderung verschafft die Erklärung der Vereinigten Arabischen Emirate, dass sie ihre Mitgliedschaft antreten.

Update 2. Februar: Südafrikas Außenminister Naledi Pandor hat am Mittwoch, dem 31. Januar, bestätigt, dass Saudi Arabien offiziell BRICS beigetreten sei, gemeinsam mit Äthiopien, Ägypten, Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Ups and Downs along Belt and Road

Hinter der aktuellen geopolitischen Konfrontation treten die Entwicklungen entlang der Seidenstraßen, die ein zentraler Bestandteil der chinesischen Außenwirtschaft und internationalen Politik sind, in den Hintergrund. Der Blick darauf hilft gleichzeitig bei der Einschätzung, wo China mit seiner Positionierung als hegemonialer Konkurrent steht. Deshalb gibt es im Newsletter regelmäßig Hinweise auf besonders aufschlussreiche, kontroverse oder gewichtige Vorhaben. Einen guten Überblick über zahlreiche BRI-Projekte gibt die Datenbank ‚People’s Map of Global China’.

The ‚Belt and Road Reboot‘ report, published November 2023, draws upon AidData’s Chinese Development Finance dataset, and covers the period 2000–2021. The dataset captures 20,985 projects across 165 low- and middle-income countries, financed with grants and loans worth $1.34 trillion over a 22-year period. Here some of the  key takeaways:

1. Contrary to the conventional wisdom, Beijing’s annual international development finance commitments have not plummeted to nearly zero. It remains the world’s single largest official source of international development finance.

2. Washington is beginning to close the spending gap with Beijing, due in large part to the U.S. International Development Finance Corporation (DFC)’s financing of private sector projects.

3. However, in the long-run, it is not clear that the U.S. and its allies have the financial firepower to compete dollar-for-dollar with Beijing.

4. Repayment risk: Beijing is navigating an unfamiliar and uncomfortable role—as the world’s largest official debt collector. At the same time, project performance risk exposure skyrocketed.

5. Beijing has launched a far-reaching effort to de-risk the BRI by refocusing its time, money, and attention on distressed borrowers, troubled projects, and sources of public backlash in the Global South. It is learning from its mistakes and becoming an increasingly adept international crisis manager.

Parks, B. C., et al, Belt and Road Reboot: Beijing’s Bid to De-Risk Its Global Infrastructure Initiative. Williamsburg, VA: AidData at William & Mary. 2023 (full report, pdf)

Scholars from eight Southeast Asian countries provide their takes on the impact of China’s Belt and Road Initiative (BRI) in their countries for the past decade. They choose from among five levels of impact: very positive, positive, neutral, negative, or very negative.

Pongphisoot Busbarat, et al, How Has China’s Belt and Road Initiative Impacted Southeast Asian Countries? Carnegie Endowment for International Peace, December 5, 2023

Bei einem Arbeitsunfall in einem indonesischen Tochterunternehmen des chinesischen Schwerindustrie-Giganten Tsingshan am 14. Dezember starben 21 indonesische und chinesische Arbeiter. Es ist bereits der dritte Unfall im vergangenen Jahr in der Nickelverarbeitung im Morowali Industrial Park. Tsingshan ist ein Wegbereiter der Industrialisierung Indonesiens in den vergangenen zehn Jahren. Bereits im Januar 2023 hatten bei einem Streik Auseinandersetzungen zwischen indonesischen und chinesischen Arbeitern ein Schlaglicht auf die Probleme mit chinesischen Unternehmen und der ehrgeizigen Industrialisierungs-Strategie geworfen. Das indonesische Mining Advocay Network (JATAM) befürchtet aufgrund der laschen Umwelt- und Arbeitsschutzgesetze und des internationalen Wettkampfs um die Verarbeitung kritischer Rohstoffe für die E-Mobilität, an dem auch deutsche Unternehmen wie Volkswagen und BASF beteiligt sind, weitere Verstöße gegen Umwelt- und Sozialstandards. Der indonesische Journalist Permata Adinda, der regelmäßig über die Arbeitsbedingungen in der Schwerindustrie berichtet, hält die bekannt gewordenen Unfälle nur für „die Spitze eines Eisbergs“.

Lesehinweise

China’s engagement in Africa is at a critical inflection point where many of the various stakeholders in this important relationship are re-evaluating what they want from the other. China Global South Project on January 11, 2024 organised a podium with six prominent experts from Africa, Asia, Europe, and the United States to provide their forecasts for how this vital geopolitical relationship is going to evolve in 2024.

China Global South Project, China-Africa Relations in 2024: Insights From Six Experts. January 11, 2024. Podcast und Transkription

Der Klappentext klingt sehr optimistisch: „This book argues that Southeast Asia is emerging as an open, autonomous region, where small and middle powers can maintain their sovereignty and shape the regional order.“ Ein derartiges neues Selbstverständnis sei dringend nötig: „Southeast Asia is rapidly becoming a competitive space for geopolitical rivalries. The growth in China-U.S. strategic competition is creating deep anxiety among Southeast Asia leaders, China’s rising power is felt across every corner of Southeast Asia, and many leaders are worried about the long-term implications of rising Chinese influence in the region. The United States‘ increasingly assertive approach towards China is welcomed by some governments, but the growth in tensions is creating deep anxiety about a possible new Cold War. How can the region prevent a repeat of the divisions and bitter rivalries of the previous Cold War?“

Die Antwort, oder besser die Hoffnung des Autors: „Despite new superpower pressures, the region is moving towards a multi-polar order, with greater agency for Southeast Asian countries. The key to Southeast Asia’s future may be other external powers – particularly Japan, Australia, India, and Europe – who can provide ASEAN governments with more diverse partnerships, enabling them to avoid the bipolar blocs of superpower rivalries.“

„In addition to an analysis of numerous recent examples of Southeast Asian nations preserving non-alignment in the face of great power pressure, Parks examines the roles of Japan, Australia, India and Europe in the asymmetric multipolar order. According to Parks’s model, Japan is best positioned to act as a regional pole given factors such as economic attraction, development cooperation, and soft power attraction,“ und therefor as a potential counterweight against China.

Ob diese Länder allerdings diese Rolle übernehmen wollen und würden, ist völlig offen. Ausgeblendet bleiben dabei auch die internen, sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in den Ländern der Region. Sie erschweren eine einheitliche Position sowohl gegenüber den Kontrahanten USA und China und deren direkten und indirekten Einflüssen, als auch gegenüber den potentiellen Partnern bei der Sicherung von Souveränität und Gestaltung einer neuen regionalen Ordnung.

Thomas Parks, Southeast Asia’s Multipolar Future. Averting a New Cold War. Bloomsbury Academic, July 203

The Lowy Institute, an Australian think tank with a global outlook, asked a select group of experts about Beijing’s goals for the international order, the changes it seeks and what compromises China might agree to, especially with the United States.

„China’s growing economic and military power has prompted urgent questions about its approach to the rules-based international order, which can be loosely defined as a shared commitment to conduct international affairs in accordance with laws, principles and practices embodied in institutions such as the United Nations, regional security arrangements, trade agreements and multilateral financial institutions. On the one hand, China could be expected to have a stake in maintaining the existing order which, after all, has provided the stability necessary for the country’s rise. On the other hand, it cannot be assumed that China supports all elements of the current order, which Beijing claims it had no hand in creating.“

“Above all, China’s leaders seek legitimacy and acceptance of an authoritarian political system that provides security, stability, and development.”

John Culver, Former CIA Analyst and Intelligence Officer

China and the Rules‑Based Order. Seven experts debate China’s approach to the rules‑based international order. Lowy Institute, o.J.

Boas Lieberherr, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich, weist in einem kurzen, informativen Beitrag darauf hin, dass beim Verständnis der sogenannten Regelbasierten Ordnung (RBO) erhebliche Unterschiede nicht nur zwischen China und der geopolitisch westlichen Allianz bestehen, sondern auch innerhalb dieser Allianz selbst:

„Advocacy for a rules-based order has come to define the foreign policy of various countries, as a joint commitment by states to conduct their activities in accordance with an existing set of rules, closely linked to a set of ‘Western values’. What this concept entails, however, remains vague, and significant differences in respective understandings persist. From the perspective of its proponents, part of the term’s utility may lie in its ambiguity. The question is whether the new terminology can contribute to a common understanding of the essential rules, norms, and institutions that should govern international relations.“

The use of the concept of Rules Based Order in the official discourse popped up shortly after the financial crisis of 2008 simultaneously with the growing aspirations of China to play a more substantial role in the existing international order and the ‚Pivot to Asia’ by the United States and the Obama-Administration. It is closely linked to the establishment of a ’security order‘ through military alliances in the Asia Pacific region. One of the central elements, Freedom of Navigation, includes freedom for warships for the USA, which India, for example, rejects. Other pillars are a Western capitalist economic order and the universality of human rights.

„In stark contrast to this, ‚international law’ consists of legally binding rules that are based on and require the consent of each individual state“, explains Lieberherr. „Significantly, definitions of RBO often lack the reference to the UN-Charta. Another central question ist: Who defines the rules?“ There it would be questionable, „whether it can contribute to a common understanding of the essential rules, norms and institutions that should govern international relations.“

It is also obvious that Russia and China are opposing the concept, which is being used against them as a „political term“ (Lieberherr), associated with a US-led unipolar world order. Instead, they insist on an „international order underpinned by international law“. China „favours a multipolar world order centred on sovereignty and non-interference and dominated by its interpretation of human rights.“

Boas Lieberherr, The “Rules-Based Order”: Conflicting Understandings. CSS Analyses in Security Policy. No. 317, February 2023

Zum Thema ‚Welche internationale Ordnung?‘ passt auch der Sammelband ‚Neue Weltwirtschaftsordnung’, der an den Versuch in den 1970er Jahren erinnert, ein Gegengewicht zur Dominanz der westlichen kapitalistischen Industrieländer zu schaffen. Mit dem Beschluss der Vereinten Nationen zur Schaffung einer New International Economic Order (NIEO) 1974 sollte die global ungleiche Wohlstands- und Armutsverteilung durch eine neue, gerechtere Weltwirtschaftsordnung überwunden werden.

„Die NIEO mobilisierte international und transnational große Solidarität, sowohl zwischen Staaten als auch zwischen gesellschaftlichen Strömungen. Die neuen Nationen im Süden, die teilweise gerade erst ihre politische Unabhängigkeit erreicht hatten, nutzten den historischen Moment, um ihre Vision einer politisch verhandelten gerechten Weltwirtschaftsordnung zu institutionalisieren und die politische Unabhängigkeit mit einer größeren wirtschaftlichen und unabhängigeren Entwicklungsperspektive zu untermauern. In der Resolution 3201 der Generalversammlung der Vereinten Nationen von 1974 verpflichteten sich die UN-Mitgliedsstaaten zu grundlegenden kooperativen Reformen, die – wären sie umgesetzt worden – den Lauf der damals gerade neu entdeckten Globalisierung entscheidend verändert und eine materielle Dekolonisierung bedeutet hätten.“

Dieser von viel Hoffnungen und Enthusiasmus getragene Vorstoß ist zwar aus sehr unterschiedlichen Gründen weitgehend gescheitert, beziehungsweise abgewürgt worden. Mit neoliberalen Strukturanpassungsprogrammen wurden stattdessen die alten Abhängigkeitsverhältnisse fortgeschrieben. Aber die Situation ist heute möglicherweise durch das wachsende Gewicht der Länder des Globalen Südens, insbesondere durch den Aufstieg China, eine andere, und der Blick zurück könnte Anregungen und Ideen liefern, um eine neue, gerechtere und gleichberechtigtere internationale Ordnung auszuhandeln.

In diesem Band wird daher diskutiert, inwiefern die NIEO auch heute noch als Blaupause für eine grundlegende Transformation der Weltwirtschaftsordnung dienen kann, nicht als eine Neuauflage, sondern als Rohmaterial, um darüber nachzudenken, welche Elemente zu einer gerechten Weltwirtschaftsordnung gehören würden. „Kurz gesagt versuchen wir, die zentralen Elemente einer aktualisierten NIEO zu identifizieren. Wir argumentieren, dass diese nicht einfach nur einige neue Elemente enthalten muss, sondern dass eine gerechte Weltwirtschaftsordnung heutzutage zwei Dimensionen zugleich adressieren muss: erstens die globale Armutsschere und zweitens die vielfältig damit verknüpfte ökologische Krise. Daher braucht es eine NIEO im Quadrat, eine NIEO ‚hoch 2‘. Wenn wir wirtschaftliche und politische Prozesse und Strukturen sezieren, geht es uns um einen Internationalismus der Agency, der globale Strukturen, die Nord und Süd miteinander verbinden, so transformiert, dass Freiheit, Gleichheit und menschengerechte Entwicklung im Globalen Süden möglich werden.“

Alex Veit, Daniel Fuchs (Hg.), Eine gerechte Weltwirtschaftsordnung? Die »New International Economic Order« und die Zukunft der Süd-Nord-Beziehungen. Transcript Verlag, November 2023 (Download pdf)

Siehe dazu auch das Interview von Merle Groneweg, Tauziehen für eine bessere Ordnung, ak 700 vom 16. Januar 2024

Blogroll Update

Die Seite ‚Blogroll’ bietet Hinweise auf Websites, Newsletter und andere regelmäßige Informationsquellen.

The China-Global South Project (CGSP) is a multimedia organization founded in 2010 dedicated to exploring every aspect of China’s engagement with Africa. CGSP produces a mix of editorial content that combines original material with carefully curated third-party information. The current CGSP production output includes: The China in Africa weekly audio podcast, trending stories, news, analysis on and discussions about key issues shaping China’s engagement throughout the Global South.

Zitat: Das Jahr des Drachen

„Drachen sind die geborenen Herrscher. So weit sie es sehen, ist ihre Macht unanfechtbar. Drachen sind Idealisten, Perfektionisten, die geborenen Denker; perfekt und unflexibel. Drachen sind auch aggressiv und bestimmt; Ein Ziel bis zum Ende zu verfolgen ist ihnen zweite Natur. Die Aussicht, Macht zu verlieren, ist ihnen ein unerträglicher Gedanke.“

Gesellschaft für deutsch-chinesische Freundschaft

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