Wird Indonesien Chinas ‚Ruhrgebiet‘?

China, Geopolitik und der Globale Süden

Uwe Hoering, 20. Juli 2023

Vor drei Jahren stoppte die Regierung von Präsident Joko „Jokowi“ Widodo die Ausfuhr von unverarbeitetem Nickelerz, im vergangenen Juni traf der Bann dann Bauxit. Beide Rohstoffe werden unter anderem für die Herstellung von Batterien für Elektro-Fahrzeuge eingesetzt. Auf der Liste stehen auch Kupfer, Zinn, Gold und Seltene Erden. Indonesien ist der weltweit größte Produzent von Nickelerz. Durch das Exportverbot sollen Investoren gezwungen werden, in die Weiterverarbeitung in Indonesien zu investieren und so die Wirtschaft und die Staatseinnahmen, den Transfer von Technologien und von Qualifikationen anzuschieben und die bisherige Abhängigkeit vom Rohstoffmarkt zu verringern. Diese Politik zielt zudem darauf ab, Indonesien zu einem zentralen Akteur beim regionalen und globalen Kampf um die Umsetzung der Elektromobilität zu machen. Die bisherigen Importeure, darunter China und Europa, reagieren auf diesen Vorstoß allerdings ganz unterschiedlich.

Regelbasierte internationale Ordnung

So ist die EU-Kommission darob ‘not amused’: Nachdem Gepräche das Exportverbot nicht verhindern konnten, zog sie 2021 vor die Welthandelsorganisation WTO, die Ende November 2022 vollumfänglich ihre Klage bestätigte: Indonesien verstoße gegen Regeln des General Agreement on Trade and Tariffs (GATT), ein Handelabkommen, das 1994 nach acht Jahren heftiger Kontroversen (‘Uruguay-Runde’) beschlossen worden war. Da die Regierung in Jakarta dennoch nicht einlenkte, droht die EU jetzt mit internationalen Zwangsmaßnahmen wie Strafzölle oder Handelsbeschränkungen (EU Enforcement Regulation), die im Herbst in Kraft treten könnten. Sie schätzt die direkten Kosten der indonesischen Exportbeschränkungen von Nickelerz für die europäische Wirtschaft auf rund 350 Millionen Euro, die indirekten Auswirkungen könnten vier mal höher sein. Auch der Internationale Währungsfonds übt Druck aus und „rät“ Indonesien, die Vor- und Nachteile des Exportsverbots abzuwägen und es zurückzunehmen.

„Die Zeiten haben sich geändert und die WTO wird längst nicht mehr unwidersprochen als Schiedsrichterin in der globalen Wirtschaftsregulierung akzeptiert.“

Formal gehen die angedrohten Zwangsmaßnahmen konform mit den Verfahren im Rahmen der Welthandelsorganisation. Doch die Zeiten haben sich geändert und die WTO, die ihre Regeln in Zeiten formuliert hat, als die Länder des Globalen Südens nach der Schuldenkrise in einer äußerst schwachen Verhandlungsposition waren, wird längst nicht mehr unwidersprochen als Schiedsrichterin in der globalen Wirtschaftsregulierung akzeptiert. Stattdessen ist mit China ein Akteur entstanden, der die Rahmenbedingungen für die globalen Regeln erheblich mitbestimmen will und kann.

Die EU klagt, China handelt

Während die EU-Kommission jammert und klagt, haben chinesische Konzerne Milliarden in die Entwicklung von Indonesiens Nickel-Industrie gesteckt. Nach Angaben der South China Morning Post floss im dritten Quartal 2022 der größte Teil der chinesischen Investitionen in die Verarbeitung von Nickel, 1,56 Milliarden US-Dollar. Neben chinesischen Investoren wie der Tsingshan-Gruppe, die seit 20 Jahren in Indonesien aktiv ist, wollen laut China Daily auch andere ausländische Unternehmen wie der britische Rohstoffkonzern Glencore in Indonesiens Bergbau und Batterie-Produktion investieren. Für Indonesien, das bislang den weitaus größten Teil seiner Nickelerz-Produktion nach China exportiert, bietet sich damit eine Perspektive der Exportsubstitution und der Wertschöpfung im eigenen Land, auch wenn dabei ausländische, vor allem chinesische Konzerne mit einem Anteil von 99 Prozent an der Verarbeitung, führend bleiben. Noch sei dabei allerdings viel Wunschdenken im Spiel, meint The Economist.

Indonesien ist inzwischen das drittwichtigste Belt&Road-Land für China, nach Kambodscha und Pakistan. Die Kooperationen umfassen unter anderem große Wirtschaftszonen wie den Morowali Industrial Park in einer Region mit den vermutlich größten Nickelvorkommen der Welt. Von den angeblich 70.000 Arbeitsplätzen, die allein in diesem Industriepark entstanden sein sollen, ist schätzungsweise ein Fünftel mit chinesischen Arbeitskräften besetzt. Chinesische Konzerne bauen in führender Rolle an der neuen indonesischen Hauptstadt Nusantara auf Borneo, an Staudämmen und Kraftwerken. Ein Belt&Road-Aushängeschild, die Schnellbahnstrecke zwischen Jakarta und Bandung, soll nach heftigen Skandalen, Verzögerung und Verteuerung nun endlich den Betrieb aufnehmen. Nicht zuletzt ist Indonesien mit Chinas Hilfe zum zweitgrößten Produzenten von Edelstahl geworden und inzwischen in der Lage, mit China zu konkurrieren. Ironie der Entwicklung: Beijing überlegt deshalb jetzt ebenfalls, gegen den selbst gepäppelten Rivalen mit Importzöllen anzugehen.

Imageprobleme

Natürlich ist Chinas Unterstützung bei den Bemühungen Indonesiens, zum modernen Produktionsstandort aufzusteigen, nicht uneigennützig: Chinas Aluminiumindustrie beispielsweise hat Betriebe nach Indonesien verlagert, weil die Regierung in Beijing die umweltschädliche und energieintensive Produktion gedeckelt hat. Bergbauunternehmen nutzen die reichen Bodenschätze und  die niedrigen Umwelt- und Sozialstandards des Landes.

„Indonesien bezahlt für das erhoffte Wirtschaftswunder mit gravierenden Umweltproblemen, wie einst das deutsche Ruhrgebiet.“

So bezahlt Indonesien für das erhoffte Wirtschaftswunder mit gravierenden Umweltproblemen, wie einst das deutsche Ruhrgebiet. Die notwendige Energie für die neuen Produktionsstätten etwa kommt vorerst häufig noch von Kohle, geplante Gigastaudämmen drohen, viel Natur zu zerstören und Menschen von ihrem Land und aus ihren Dörfern zu vertreiben, Abwässer und Abgase verpesten die Umwelt. Die beschleunigte Ausbeutung von Bodenschätzen und die zunehmende Entstehung einer industriellen Arbeiterklasse führen zudem verstärkt zu Widerstand und Konflikten. Schlagzeilen machen immer wieder Arbeitskämpfe, die sich an schlechten Arbeitsbedingungen, Unfällen oder dem Verbot, gewerkschaftliche Organisationen zu gründen, entzünden. Ein Beispiel ist der Streik in einem Verarbeitungsbetrieb des chinesischen Unternehmens Gunbuster Nickel Industry (GNI) in der Industriezone Morovali, das zum Stahlkonzern Jiangsu Delong Nickel Industry Co gehört. Dabei kam es auch zu blutigen Meinungsverschiedenheiten zwischen indonesischen und chinesischen Arbeitern. Gewerkschafter und Umweltorganisationen klagen unisono, dass die Regierung ähnlich wie in der Palmölindustrie (siehe Newsletter 2/2023) die Probleme weitgehend ignorieren würde, um Investoren nicht abzuschrecken und ihre eigenen ehrgeizigen Ziele, zur globalen Elektromobilitäts-Zentrale aufzusteigen, nicht zu gefährden. Mit dem sogenannten Omnibus-Gesetz hat die Regierung trotz Bedenken des Verfassungsgerichts die staatliche Verfügungsgewalt über natürliche Ressourcen ausgeweitet und die Spielräume für Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen eingeschränkt.

Neue Weltwirtschaftsordnung 2.0

Egal, wer in diesem Streit die umstrittenen ‘Regeln der internationalen Ordnung’ auf seiner Seite hat – angesichts des wachsenden Selbstbewusstseins von vielen Ländern im Globalen Süden und konflikterfahrener Opposition gesellschaftlicher Bewegungen ist es realitätsfremd, wenn die EU die Muskeln spielen lässt und versucht, Indonesien unter Berufung auf überholte Regeln der westlich dominierten Weltordnung auf die Rolle eines Rohstofflieferanten festzunageln. Längst sind auch andere Länder wie Mosambik, DR Congo, Simbabwe ebenso wie lateinamerikanische Lithiumproduzenten wie Chile auf den Trichter gekommen, dass die Rohstoffe, über die sie verfügen, gepaart mit der wirtschaftlichen Macht Chinas den alten Traum einer ‘Neuen Weltwirtschaftsordnung’ wieder beflügeln könnten. Im Unterschied zu den 1970er Jahren, als diese Vision scheiterte, steht heute mit Beijing ein potenter Partner zur Verfügung steht, um eine Blockade durch die Industrieländer zu verhindern.

Die überstrapazisierte Formel ‘regelbasierte Ordnung’ zur Rechtfertigung der eigenen Interessen stößt inzwischen auch in anderen Bereichen auf Ablehnung und Gegenreaktionen, wie die Weigerung vieler Länder des Globalen Südens zeigt, sich an westlichen wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen zu beteiligen (siehe Newsletter 4/2023). Beijing hingegen kann sich als Partner bei der Vision profilieren, dem Globalen Süden endlich seine lange ersehnte gleichberechtigte wirtschaftliche und politische Position in der sogenannten ‘Weltordnung’ zu sichern. Gemeinsam streben sie Reformen multilateraler Institutionen wie der WTO, des Internationalen Währungsfonds oder der Weltbank an, die in der Vergangenheit eine notorische Rolle dabei gespielt haben, die Länder des Südens an ihrem postkolonialen Platz in der Weltordnung zu halten.

„Beijing kann sich als Partner bei der Vision profilieren, dem Globalen Süden endlich seine gleichberechtigte wirtschaftliche und politische Position in der sogenannten ‘Weltordnung’ zu sichern.“

Gleichzeitig muss Beijing allerdings aufpassen, dass es seine ‘Hand’ nicht überreizt und seine auch von eigenen Interessen getriebene Unterstützung für die Bestrebungen, ‘Moving up the value chains’, als Big Brother-Attitüde wahrgenommen wird. Konflikte wie die Auseinandersetzungen bei GNI und die Dominanz chinesischer Unternehmen können rasch nicht nur in Indonesien latente anti-chinesische Stimmungen wieder anheizen. Dass vor wenigen Jahren der in Südostasien immer noch gewichtige damalige Premierminister Malaysias, Mahathir Mohamad, vor einem „chinesischen Neokolonialismus“ warnte,  fügte dem chinesischen Narrativ von postkolonialer Gemeinsamkeit, Süd-Süd-Kooperation und „Win-win“-Situation bereits einen erheblichen Image-Schaden zu. Besonders in Südostasien ist Beijing dabei, durch seine Auslagerung von Investitionen und Umweltschäden Sympathien zu verspielen und Regierungen sicherheitspolitisch an die Seite der USA und deren Verbündete in Asien wie Südkorea und Japan zu treiben.

Diese Antagonisierung könnte sich im Zuge der weiteren Expansion des chinesischen Staatskapitalismus auf der Suche nach Ressourcen und neuen Akkumulations-Standorten durchaus verstärken. Ob die westlichen Industriestaaten ihrerseits davon allerdings profitieren werden, ist höchst zweifelhaft. Dafür müssten sie schon ihre Vorstellung, die Regeln der Weltordnung bestimmen zu können, revidieren. Und vor allem tief in die Tasche greifen.

Siehe dazu: Rachmi Hertani, Between a mineral and a hard place. Indonesia’s export ban onraw materials. Published by Transnational Institute (TNI)), 15 June 2023

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