Deutsche China-Strategie: „Wasch mir den Pelz, …“

China, Geopolitik und der Globale Süden

Uwe Hoering, 16. Juli, 2023

Am 13. Juli hat die Bundesregierung den Entwurf ihrer China-Strategie vorgestellt. Ohne in die Details der zwischen den verschiedenen Ministerien ausgewogenen flockigen Formulierungen zu gehen, die jetzt von Medien und Politik in Endlosschleife wiederholt werden, hier nur zwei, drei spontane Anmerkungen dazu. 

In einem Leitspruch des Papiers mit dem Titelbild eines Go-Spiels gibt es einen Hinweis auf das grundlegende Dilemma. Da heißt es: Beim chinesischen Strategiespiel Weiqi (围棋) – in Europa auch bekannt unter dem Namen Go – gehe es, „anders als bei Schach nicht um das Mattsetzen des Gegners, sondern um das Erlangen vorteilhafter Positionen und die Verteidigung sogenannter „Freiheiten“. Schön formuliert dieser Satz das Spannungsverhältnis zwischen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen  Interessen, das sich auch mit dem Sprichwort fassen lässt: ‚Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass‘.

Risikominderung statt Abkopplung

Über den beiden kontroversen Anliegen für die deutsche Politik hängt das Damoklesschwert der hegemonialen Konfrontation zwischen China und den USA. Und wie in den USA gibt es in dieser Frontstellung auch in Deutschland Falken, die dem ‚Mattsetzen’ des Gegners Priorität einräumen, bis hin zu wirtschaftlichen und militärischen Zwangsmitteln, und den ‚Tauben’, die die Vorteile einer Kooperation weiterhin nutzen und die Gans, die die goldenen Eier legt, nicht schlachten wollen.

Die ideale Vermittlungsformel für das Dilemma scheint die Semantik einer Unterscheidung zwischen ‚De-risking’’ und ‚De-coupling’ zu sein, auf die die deutsche und europäische Politik so stolz sind, obwohl die Grauzonen dazwischen natürlich beträchtlich sind. Die ‚Risiken’ sind zum einen die wirtschaftliche Abhängigkeit von China, die sich bei Gallium und Germanium gerade wieder zeigt. Als Risiken gelten aber auch die Einfallstore für chinesische ‚Trojanische Pferde’, Unternehmen, die kritische Infrastruktur lahmlegen oder vertrauliche Daten sammeln könnten.

Die Auswirkungen einer wie auch immer bezeichneten Strategie sind allerdings für die deutsche Wirtschaft in beiden Fällen weitreichend. Und wie die kapitalistischen Unternehmen nun mal aufgestellt sind, sehen sie in allen staatlichen Eingriffen in ihre Unternehmensstrategie – oder in die ‚freie Marktwirtschaft’ – eine Möglichkeit, sich ihr Wohlverhalten im Sicherheitsinteresse abkaufen zu lassen. Die Geschäftsführerin des Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat da schon entsprechende Signale gesetzt und gefordert, dass der ‚Standort Deutschland’ wieder attraktiver gemacht werden müsse. Die Politik macht sich also von den Anforderungen der Wirtschaft abhängig. Und am Ende werden wohl wie üblich für die ‚Risikominderung’ und ‚Standortsicherung’ der Steuerzahler bzw. die Steuerzahlerin aufkommen.

„Alternativen“ zu China

Entscheidender dafür, ob die Strategie überhaupt aufgehen wird, ist eine andere Frage, die im Papier nur knapp drei Seiten umfasst: Die „aktive Pflege der deutschen außen- und außenwirtschaftspolitischen Beziehungen ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Strategie“. Dabei geht es um „globale Partnerschaften“, auch mit Ländern, die nicht unbedingt ‚unsere Werte’ teilen, aber zumindest eine „regelbasierte internationale Ordnung verteidigen wollen“, wie Außenministerin Baerbock verkündete. Dazu gehören bekanntlich dann auch Vietnam oder Saudi-Arabien und Katar.

Anmerkung: In einem Beitrag für die NZZ macht Boas Lieberherr vom Center for
Security Studies der ETH Zürich darauf aufmerksam, dass über diese ‚Regeln’ international
„wenig Einigkeit herrscht“. Viele Länder des Globalen Südens stehen aufgrund leidvoller Erfahrungen einer von westlichen Industrieländern bestimmten Ordnung ablehnend gegenüber und sehen eine Chance, eine neue, gleichberechtigtere Ordnung zu erreichen, etwa
durch die Reform multilateraler Institutionen.

Im Verhältnis zu den Staaten des Globalen Südens liegt die eigentliche Achillesferse der Strategie, sind doch die Ressourcenlieferanten für einen ‚grünen Kapitalismus’ in einer komfortablen Position, um die Konkurrenz der westlichen kapitalistischen Länder und des chinesischen Staatskapitalismus zu nutzen. Ihnen sollen jetzt „Alternativen“ zu ihrer immer stärkeren Zuwendung zu China geboten werden.

Anmerkung: Es geht dabei längst nur noch am Rande um Klimaschutz und die Energiewende,
sondern um knallharte Konkurrenz um Produktionsketten, Marktanteile und
Verwertungsbedingungen für die nächste Wachstumsphase des Kapitalismus. Ob Klima und andere Umweltbereiche dabei profitieren werden, ist eher zweitranging und auch zweifelhaft.

„China hat vor allem dort einen Vorteil, wo wir unseren Partnern zu wenig anbieten, zu wenig präsent sind oder für unsere Angebote nicht ausreichend werben.“

Der hellsichtige Einsicht im Strategie-Papier, dass „wir unseren Partnern zu wenig anbieten, zu wenig präsent sind und für unsere Angebote nicht ausreichen werben“, folgen aber wieder nur Floskeln. Um den Rückstand gegenüber Konzernen aus anderen Ländern, insbesondere aus China, wettzumachen, reichen die bestehenden Angebote wie Europas Global Gateway oder die Partnerschaft für Infrastruktur und Investitionen der G7 (PGII) nicht aus. Diese Initiativen, die Milliarden für die Länder des Globalen Südens versprechen, sind davon abhängig, dass voranging private westliche Unternehmen motiviert werden, in den Ländern des globalen Südens in Bergbau und Verarbeitungsindustrien zu investieren – und diese wirtschaftlichen Risiken lassen sie sich versilbern. Auch das würde also wieder den/die Steuerzahler*innen viel Geld kosten, falls diese Mittel angesichts anderer Haushaltsbelastungen in den Industrieländern überhaupt mobilisierbar sind.

Anmerkung: Verglichen damit sind die finanziellen Kosten für eine „zeitweise militärische Präsenz“ in der Region Asien-Pazifik wie durch die Fregatte ‚Bayern‘ im Sommer 2021, durch die „Deutschland den Einsatz für die Wahrung der regelbasierten internationalen Ordnung unterstreicht“, Peanuts, die Gefahr dagegen, in den Konflikt auch militärisch hineingezogen zu werden, deutlich größer.

China und andere asiatische Länder sind seit Jahrhunderten Meister im Go-Spiel. Die Wahl von Titelbild und Leitspruch für die China-Strategie ist daher entweder eine kühne Herausforderung, die durch das Papier selbst noch nicht eingelöst wird. Oder sie ist das versteckte Eingeständnis, dass die entscheidenden Steine längst gesetzt sind.

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