Militarisierung: Abenteuerfahrt in den Pazifik

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Uwe Hoering, März 2021

Im kommenden Sommer wird die Fregatte Bayern in See stechen und mehrere Monate im Indischen Ozean und dem Pazifik kreuzen. Daran wäre nichts Besonders, wenn es nicht eine heikle Mission wäre. „Die Bundesmarine soll helfen, Chinas Expansionsdrang zu bändigen“, titelte das Handelsblatt. Etwas zurückhaltender twitterte das Verteidigungsministerium am 5. März, die Entsendung des Kriegsschiffes sei lediglich ein „Zeichen“, dort Flagge zu zeigen, wo Deutschlands „Werte und Interessen betroffen sind“. Die Bayern soll den im September vergangenen Jahres von der Bundesregierung beschlossenen „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ und den Worten der Noch-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer Nachdruck verleihen, dass die Bundesregierung „ihr sicherheitspolitisches Engagement im Indo-Pazifik ausweiten wird“.

Flagge zeigen, wo Deutschlands „Werte und Interessen betroffen sind“

Allerdings ist es schwer vorstellbar, dass sich das Reich der Mitte von einer 25 Jahre alten Fregatte beeindrucken lässt. Aber die Bayern ist nicht allein. Auch britische, französische und niederländische Kriegsschiffe verstärken ihre Präsenz im Indo-Pazifik im Namen der „Freiheit der Schifffahrt“. Die mächtige Pazifik-Flotte der USA ist dafür schon seit Längerem im Einsatz.

Durch den Indischen Ozean, die Gewässer Südostasiens und den Westpazifik verlaufen die wichtigsten Handelsrouten zwischen Asien, dem Mittleren Osten, Afrika und Europa. Ernsthafte Bobachter bezweifeln allerdings, dass die Freiheit der Schifffahrt durch China gegenwärtig tatsächlich bedroht ist – als mächtigste Handelsnation hat sie selbst das größte Interesse daran.

Nur Flagge zeigen?

Es wird eine Kreuzfahrt in eines der brisantesten Krisengebiete der Welt. Im Konflikt um die Kontrolle über die südostasiatischen Gewässer zwischen China, Vietnam, Malaysia, Indonesien, Philippinen und Japan, zumeist als Südchinesisches Meer bezeichnet, kommt es immer häufiger zu Scharmützeln zwischen den Küstenwachen der Anrainerstaaten. Den Anstoß dafür hat die chinesische Regierung 2009 geliefert, als sie eine Landkarte mit der sogenannten ‚Nine-dash line’ vorlegte, eine recht freihändige Demarkationslinie, mit der sie territoriale Ansprüche auf 90 Prozent der Gewässer untermauert. Dort werden auch erhebliche Rohstoffe vermutet. Gleichzeitig lässt sie durch den Ausbau von Felsriffen und Sandbänken zu Militäranlagen Fakten geschaffen. Die Entscheidung des internationalen Schiedsgerichts in Den Haag im Sommer 2016, dass ihre Position gegen UN-Seerecht verstößt, wies die Regierung in Peking brüsk zurück.

Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer verglich Pekings Ansprüche bereits mit dem Vorgehen Russlands in der Ukraine: „Einige Ereignisse im Indopazifik sollten wir genauso bewerten“.

Die Armada, an der die Bayern jetzt beteiligt ist, soll unter Führung der USA europäische Interessen an einer „regelbasierten Ordnung“ und der Gültigkeit „gemeinsamer Werte“ unterstreichen –  und China in die Schranken weisen. Ministerin Kramp-Karrenbauer verglich Pekings Ansprüche im Mai vergangenen Jahres bereits mit dem Vorgehen Russlands in der Ukraine: „Einige Ereignisse im Indopazifik sollten wir genauso bewerten“, wird sie unter anderem vom Handelsblatt zitiert – was immerhin den Widerspruch vom Koalitionspartner SPD hervorrief. Die Fahrt der Bayern ist denn auch mehr als eine symbolische Geste, nicht nur ein „Zeichen“, sondern eine – wenn auch zahnlose – Beteiligung an einer Eindämmungsstrategie, wie das Handelsblatt zu Recht titelt.

Pivot to Asia

Längst ist die Konfrontation im Südchinesischen Meer einer der Schauplätze des Systemkonflikts, ähnlich wie die Corona-Pandemie oder die Digitalisierung. Seit der Finanzkrise 2008, aus der die USA geschwächt, China gestärkt hervorgingen, reagiert die US-Regierung auf Chinas geopolitisches Selbstbewusstsein zunehmend konfrontativ, was unter der Außenministerin Hilary Clinton euphemistisch als „Hinwendung nach Asien“ („Pivot to Asia“) bezeichnet wurde.

Dazu gehört eine beschleunigte Aufrüstung, die von Peking mit ebenfalls steigenden Militärausgaben beantwortet wird. Im Unterschied zu China haben die USA und die einstigen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien ein dichtes Netz von Militärbasen in der Region. US-amerikanische Rüstungsfirmen setzen bereits auf ein Wettrüsten, das dann auch deutsche Rüstungsexporte beflügeln könnte.

US-amerikanische Rüstungsfirmen setzen auf ein Wettrüsten, das dann auch deutsche Rüstungsexporte beflügeln könnte.

Dazu gehörten auch die Bestrebungen, gegen China gerichtete Allianzen zu stärken und neue zu schmieden, die allerdings unter Präsident Trump Rückschläge erlitten. Unter anderem versuchen die USA, Japan, Australien und Indien, in einem Viererbündnis eine gemeinsame indo-pazifische Front aufzubauen. Anschluss an diese ‚Quad’ sucht Präsident Macron mit seiner Umarmung von Indiens fundamentalistisch-autoritärem Premierminister Narendra Modi, um Frankreich als indo-pazifische Macht zu profilieren. Und ab Sommer diesen Jahres sind Deutschland mit Bayern und andere NATO-Staaten dann wieder bei einem weiteren Einsatz ‚Out of area’ dabei. Auch am Hindukusch sollte „Deutschlands Sicherheit“ verteidigt werden.

Allerdings ist es für Berlin eine Gradwanderung: Die militärische Demonstration steht im Widerspruch zu Wunsch und Bemühungen der Bundesregierung, mit dem Wirtschaftspartner China die Geschäfte weiter auszubauen. Sie kann die Beziehungen weiter komplizieren und zu unkalkulierbaren Verstrickungen in Konflikte führen. Die Verhältnisse in der Region sind alles andere als übersichtlich, die Allianzen im Fluss, die Akteure „Fremenies“, mal Freund, mal Feind.

Show up oder Show down

Während sich Anrainerstaaten wie Vietnam und die Philippinen und die südostasiatische Regionalorganisation ASEAN eher darum bemühen, die Kontroversen im Südchinesischen Meer mit der Regierung in Peking zu verhandeln, wird der Konflikt durch die Internationalisierung und Militarisierung zu einem scharfen Zünder. Denn seit Anfang Januar hat die chinesische Küstenwache Vollmacht, auf ausländische Schiffe zu schießen. Man kann nur hoffen, dass der Fregatten-Kommandeur vernünftig genug ist, nicht durch die Meerenge zwischen Festlandchina und der als abtrünnige Provinz betrachteten Republik Taiwan zu fahren, und damit wie die französische Fregatte Vendémiaire vor zwei Jahren einen diplomatischen Eklat auszulösen, oder sich an gezielten Provokationen der US-Marine zu beteiligen.

Zur Erinnerung: Vorwand für das direkte Eingreifen der USA im Vietnamkrieg war der sogenannte „Zwischenfall im Golf von Tonkin“ im August 1964, bei dem angeblich vietnamesische Boote US-amerikanische Schiffe beschossen.

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