Pakistan: Bruderzwist

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Uwe Hoering, Februar 2021

China and Pakistan fall out over Belt and Road frameworks“ titelte Nikkei Asia am 19. Januar. Der japanische Wirtschaftsdienst liest aus der Verschiebung des jährlichen bilateralen Gipfeltreffens das „most serious disagreement“ zwischen Peking und Islamabad heraus. Diese Meldung hat vermutlich hoffnungsvolle Erwartungen in New Delhi ausgelöst. Indische Schadenfreude wäre verständlich. Schließlich ist die Verärgerung, ja Besorgnis über die nach Aussage von Staatschef  Xi Jinping „brüderliche“ sino-pakistanische Kooperation im Allgemeinen und das 2013 verkündete Projekt des China Pakistan Economic Corridor im Besonderen kein Geheimnis. CPEC gilt seinerseits als eine der wichtigsten Säulen für Chinas expansive wirtschaftliche Diversifizierung und geopolitische Ambitionen in Südasien.

Hilfe von der Kavallerie – „At all costs“

Dabei hatte es im Sommer vergangenen Jahres noch nach eitel Sonnenschein zwischen Islamabad und Peking ausgesehen, nach „full speed ahead“ für CPEC 2.0. Unterzeichnet wurden Abkommen im Umfang von elf Milliarden US-Dollar, unter anderem für den 4.800 MW-Staudamm Daimer-Bhasha im Himalaya, dessen Bau lange nicht vom Fleck kam, und die annähernd 2000 Kilometer lange Bahnstrecke Main Line-1. Vergessen und vergeben schien die Ankündigung von Premierminister Imran Khan nach seiner Amtsübernahme 2018, die Belt&Road-Planungen wegen Korruption der Vorgängerregierung und aus Furcht vor der “Schuldenfalle“ zu überprüfen. Vorbild für Khans Aufbegehren war Malaysias Premierminister Mahathir Mohamad, der Peking „Neokolonialismus“ vorgeworfen und erfolgreich neue Konditionen für gemeinsame Projekte ausgehandelt hatte.

Denn CPEC ist in Pakistan selbst heftig umstritten. Das innenpolitische Gerangel um die Verteilung der Gelder und die Geheimniskrämerei der Vereinbarungen bekamen spätestens 2017 Aufwind, als Pakistans führende englische Tageszeitung Dawn eine Kopie des CPEC-Masterplans mit Details über die weitreichende chinesische Einflussnahme auf die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt veröffentlichte.

Abgesehen von einigen Infrastrukturprojekten, vor allem im Verkehrs- und Energiesektor, ging die Umsetzung bislang anscheinend nur schleppend voran. So stockt die Einrichtung der Sonderwirtschaftszonen, in denen sich chinesische Unternehmen ansiedeln sollen. Wegen der geringen Fortschritte und der zahlreichen Angriffe militanter Gruppen auf chinesische Projekte wird das Militär, dem zahlreiche Industriebetriebe und große Ländereien gehören, zunehmend in CPEC eingebunden. Ein pensionierter General wurde Vorsitzender der Umsetzungsbehörde CPECA. Im Mai 2020 vergab die Regierung den milliardenschweren Auftrag für den Bau des Diamer-Bhasha-Staudamms an ein Joint Venture eines chinesischen Staats- und eines pakistanischen Armee-Unternehmens. Nach Angabe des Wirtschafts-Nachrichtendienstes Brookings verkündete die Armeeführung: „BRI with CPEC as its flagship is destined to succeed despite all odds and Pak Army shall ensure security of CPEC at all costs“, ein Statement, dass wie eine Warnung an die Regierung klingt.

Schuldenfalle

Außerdem sitzt der Regierung Khan auch der Internationale Währungsfonds im Nacken: Im Sommer 2019 hatte der IWF ein „Rettungspaket“ von sechs Milliarden US-Dollar bewilligt, um die „Rückkehr zu einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum“ zu unterstützen. Auflagen waren Steuererhöhungen, ein rascher, deutlicher Abbau des Schuldenbergs in Höhe von weit über 100 Milliarden US-Dollar und die Offenlegung der CPEC-Finanzierung. IWF-Vertraute in der Staatsbank und als Finanzberater des Premierministers sollen die Umsetzung sicherstellen.

Angesichts dieser harten Auflagen sprach die Zeitschrift The Diplomat von einer „Übernahme durch den IMF“. Es folgten Preiserhöhungen für Benzin und Strom, Abwertung und Inflation – und große Demonstrationen. Dadurch wurde die Khan-Regierung innenpolitisch weiter unter Druck gesetzt.

Zusätzlich setzte der IWF nach den neuen Finanzierungsabkommen mit Peking im Sommer vergangenen Jahres die Daumenschrauben an: Im Spätherbst 2020 wurden Gespräche über die weitere Auszahlung der Rettungs-Gelder ohne neuen Termin verschoben, weil Auflagen wie die Erhöhung von Tarifen und Steuern nicht ausreichend umgesetzt worden seien. Anstatt seine Überschuldung zu verringern, würde Pakistan zudem neue kommerzielle Kredite aufnehmen. Der US-Alliierte Saudi Arabien ritt Pakistan noch tiefer in wirtschaftliche und finanzielle Schwierigkeiten, indem er die Rückzahlung eines Milliarden-Kredits forderte und eine Kreditlinie für Erdölkäufe einfror.

Dahinter könnten, so Vermutungen, geostrategische Interessen der USA stehen, um die pakistanische Regierung für Unterstützung in Afghanistan zu gewinnen – und um China eins auszuwischen. Im Sommer 2018 hatte der damalige US-Außenminister Mike Pompeo gedroht, dass eine Rettungsaktion durch den IWF „should not provide funds to pay off Chinese lenders“.

Pakistan sitzt jedenfalls mal wieder tief  in der Schuldenfalle. Zugeschnappt ist sie aber auch durch eigenes Verschulden aus Korruption, Missmanagement und hohen Rüstungsausgaben.

Zwischen Stamm und Borke

Also suchte die Regierung Khan Hilfe beim „Geldverleiher der letzten Zuflucht“ – Peking. Die Situation schien günstig: China ist mit mindestens 14 Milliarden US-Dollar bereits der größte institutionelle Gläubiger und sieht sich ständig mit dem Vorwurf einer „Schulden-Diplomatie“ konfrontiert. Dazu rechtfertigt der wirtschaftliche Einbruch durch die Corona-Krise eine Entlastung beim Schuldendienst. Und angesichts des Handelskrieges mit den USA und der militärisch aufgeheizten Konfrontation mit Indien kann es sich Peking nicht leisten, einen so wichtigen und bislang verlässlichen Partner in der Region und unter islamischen Staaten im IWF-Regen stehen zu lassen – so möglicherweise das Kalkül. Pakistan wollte daher unter anderem erreichen, dass Peking den Kredit in Höhe von sechs Milliarden US-Dollar für die Main Line 1 zu vergünstigten Zinskonditionen bereitstellt. Und so den IWF zufrieden zu stellen.

Doch die Rechnung ging zumindest vorerst nicht auf, die Verhandlungen sind festgefahren. Mehr noch: Pekings Bereitschaft, teure Infrastrukturprojekte zu finanzieren, ist wegen der häufig damit einhergehenden Probleme und fraglichen Aussichten auf Wirtschaftlichkeit insgesamt gesunken. Das gilt erst recht für nicht-kommerzielle Kredite zum Freundschaftspreis.

Schulden essen Kohle auf?

Möglicherweise haben die Schwierigkeiten, die Pakistan mit seinen Gläubigern in Ost und West hat, aber auch ein Gutes: Bislang war das Land, das dringend einen Ausbau seiner Energieversorgung braucht, ein negatives Beispiel dafür, dass China sich zuhause als Klimaschützer geriert, gleichzeitig aber massiv den Ausbau von Kohlekraft in anderen Ländern fördert. Vor zwei Jahren wurde geschätzt, dass Chinas Banken 36 Milliarden US-Dollar für Kohle-Vorhaben mit einer Kapazität von 102 GW in 23 Ländern bereitstellen, darunter Bangladesch mit sieben GW in Bangladesch und Pakistan mit über acht GW. Umweltschützer und Ökonomen warnen, dass die Länder sich dadurch langfristig hohe CO2-Emissionen und wirtschaftliche Verluste einhandeln, während erneuerbare Energien wegen sinkender Kosten längst konkurrenzfähig sind.

Hoffnung bei den Klimaschützern weltweit weckte daher die Ankündigung eines Moratoriums auf den Ausbau von Kohlekraftwerken durch Premierminister Imran Khan im Dezember vergangenen Jahres. Einige Vorhaben wurden nach Angaben von The Third Pole tatsächlich auf Eis gelegt, darunter drei Kohlekraftwerke mitå zusammen vier GW. Eine Energiewende zeichnet sich allerdings noch nicht ab: Bislang sind nur einige kleinere Windkraftanlagen fertiggestellt oder geplant, die Solarenergie-Anlage Zonergy, die mit 1.000 MW der größte Solarpark der Welt werden sollte, brachte es mit Ach und Krach auf 300 MW. Das ökologische Mäntelchen sind mehrere Wasserkraftwerke mit zusammen sieben GW, darunter der Großstaudamm Diamer-Bhasha in der zwischen Pakistan und Indien umkämpften Kaschmir-Region.

Wishful thinking?

Angesichts des ‚Schwarzen Lochs’, in dem viele Informationen über Belt&Road verschwinden, bleibt natürlich auch in diesem Fall vieles spekulativ: Versucht Pakistan nur, bessere Konditionen heraushandeln, wie es auch anderen BRI-Länder schon gelungen ist, oder besteht ein grundlegender Konflikt über die Fortführung von CPEC, etwa zwischen dem Militär und der zivilen Regierung? Setzt Peking möglicherweise verstärkt als Plan B auf den Iran,  wo es angeblich dreistellige Milliardensummen investieren will? Oder haben die Experten, die Nikkei Asia zitiert, Recht, die trotz aller Probleme und Hindernisse überzeugt sind, dass Peking aus Prestigegründen und geopolitischem Ehrgeiz „wants to make CPEC work at all costs“. Und wo fängt bei der indischen Regierung  in New Delhi und bei westlichen Medien das Wunschdenken an, dass sich Pakistan mit seinem brüderlichen Partner überwerfen könnte, dass CPEC scheitert und Pekings Ambitionen zurecht gestutzt würden, dass die hegemonialen Konflikte sich auf diese Weise lösen und sich zeigt, dass Belt&Road ein Scheinriese ist, der nur aus der Ferne mächtig und groß aussieht?

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