Newsletter 28/Februar 2024

28. Februar 2024

Inhalt: Neuer Wettlauf um Afrika +++ Belt&Road entwächst den Kinderschuhen +++ Asymmetrische Militarisierung +++ Begrenzte Autonomie: Chinesische NGOs im Ausland +++ Ups and Downs: Zivilgesellschaft in Afrika und Lateinamerika verstärkt den Druck +++ Lesehinweise: Globalising the Chinese working class struggles +++ Dramatische Veränderungen bei Belt&Road +++ Update Blogroll: Chinese in Africa / Africans in China +++ China in Africa +++ Zitat: Konkurrenz und Krieg

Uwe Hoering, 23. Februar 2024

Wie in den vergangenen Jahren vermeldet der jüngste ‚China BRI Investment Report‘ in seinen ‚Key findings’ auch für das zehnte Lebensjahr von Belt&Road überwiegend gute Nachrichten. Diese Erfolgsmeldungen lenken davon ab, dass Belt&Road als eins der Elemente von Chinas globaler wirtschaftlicher Expansion und politischer Gewichtszunahme an Bedeutung verliert, aber weiterhin als modifizierter Teil eines neuen Stadiums geoökonomischer Konkurrenz im kapitalistischen Weltsystem fungiert. Zum Beitrag

Uwe Hoering, 27. Januar 2023

Zum Jahresauftakt gingen die Außenminister Chinas und der USA kurz nacheinander auf Afrika-Tour. US-Regierungskreise bezeichneten das als Zufall, obwohl klar ist, dass der jeweilige chinesische Außenminister nach dem Motto von ‚Dinner for One’ seit drei Jahrzehnten seine erste Auslandsreise im neuen Jahr nach Afrika unternimmt. Die Reisetätigkeit wirft ein Schlaglicht darauf, dass der neue ‚Scramble for Africa’ an Fahrt aufnimmt. Zum Beitrag

„How likely is China to start a war?“ fragt Foreign Policy am 4. Februar, „this may be the single-most important question in international affairs today.“  Die umgekehrte Frage ist ebenso berechtigt, wird aber so gut wie nie gestellt: How likely is the US to start a war? Auch in diesem Fall würden nicht nur ihre Verbündeten, sondern die ganze Welt in diesen Krieg hineingezogen werden. Motive auf Seiten der USA dafür liegen auf der Hand: Verteidigung ihrer hegemonialen Vorherrschaft, legitimiert als die Verteidigung von Freiheit und Demokratie, die Stärkung des militärisch-industriellen Komplexes, der innenpolitische Schulterschluss gegen äußere Feinde. Und die Falken in den USA verfügen gleich über mehrere Hebel, um einen solchen Krieg ihrerseits zu provozieren, die weitaus überzeugender erscheinen als der ‚Tonking-Zwischenfall’ 1964, der zur Ausweitung des Vietnamkrieges genutzt wurde, oder die angebliche Giftgasproduktion im Irak. Der sicherste Weg wäre, die Regierung in Taipeh dazu zu ermutigen, die Unabhängigkeit zu erklären. Der Aufbau eines militärischen Schutzschildes und eine glaubwürdige Beistandszusicherung tragen sicher nicht nur dazu bei, China von einem Angriff abzuschrecken, sondern auch die Hürden für eine Unabhängigkeitserklärung zu verringern.

Keine Frage: China rüstet massiv auf, Thema zuletzt bei der Münchener Sicherheitskonferenz Mitte Februar. Die aggressivere Rhetorik aus Beijing verbunden mit Meldungen, dass High-Tech-Raketen in einer halben Stunde die USA erreichen und mit bis zu zehn nuklearen Sprengköpfen bestückt werden können, heizen die Befürchtungen an. Nicht nur in Europa, sondern auch in Asien steigen die Rüstungsausgaben steil an: Im vergangenen Jahr haben die Staaten in Asien umgerechnet insgesamt 510 Milliarden US-Dollar für Militär, Waffen und Verteidigung ausgegeben, wie The Military Balance, die Online-Datenbank des International Institute for Strategic Studies (IISS), vermeldet.

„Assessing the potential military threat from China is an art, not a science“.

William D. Hartung, Quincy Institute for Responsible Statecraft, January 17, 2024

Schwergewicht in Asien ist natürlich China, das den weitaus größten offiziellen Rüstungshaushalt vermeldet. Der Militärhaushalt der USA ist mit rund 900 Milliarden US-Dollar mehr als vier Mal so hoch, dazu kommen regionale Verbündete wie Australien, Südkorea und Neuseeland und Europäer wie das Vereinigte Königreich und Frankreich, die ihre militärische Präsenz ausbauen. Bei anderen asiatischen Ländern ist die Entwicklung durchaus unterschiedlich: Prozentual am stärksten rüsten Myanmar, Vietnam und Taiwan auf, Indien, Philippinen, Indonesien und Indien gaben hingegen sogar weniger für Rüstung aus.

Diese Zahlen geben allerdings wenig Ausschluss darüber, ob es sich um offensive oder defensive Aufrüstung handelt oder berücksichtigen Unterschiede in der Anzahl oder dem Entwicklungsstand militärischen Geräts wie Flugzeugträger, Nuklearwaffen und Landstreckenbomber, so William D. Hartung vom Quincy Institute for Responsible Statecraft, der der Auffassung ist, dass „Washington is exaggerating China’s military budgets“.

Der Rüstungswettlauf ist nicht nur zwischen China und den USA asymmetrisch: Auch viele Länder haben gar nicht die Möglichkeiten, ihre Ausgaben hochzufahren, es sei denn auf Kosten anderer Bereiche oder einer wachsenden Verschuldung durch Rüstungsimporte. Für die USA hingegen ist das Wettrüsten ein gutes Geschäft: Die Exporte ihrer Rüstungsindustrie in mindestens 16 Länder jedenfalls betrugen zwischen 2017 und 2022 das Zehnfache der chinesischen Waffentransfers, die zudem nahezu ausschließlich nach Pakistan gingen (siehe LE MONDE diplomatique, Januar 2024).

Informationen über das Engagement von Nichtregierungsorganisationen aus China im Ausland sind dürftig. Das Civil Society Information Centre (CDB), eine zweisprachige Plattform mit Berichten und Forschungsergebnissen, die auch den chinesischen NGO-Sektor unterstützen soll, listet gerade einmal 46 laufende Vorhaben auf. Vorwiegend sind sie in politisch weniger sensiblen Bereichen wie Katastrophenhilfe, Bildung und Gesundheit, Umwelt und Landwirtschaft unterwegs. Als Beitrag zur Pflege der „völkerverbindenden Beziehungen“ (‚People-to-people connectivity’) bilden sie eine wichtige Säule von Belt&Road. Eine im Sommer 2022 erstmals veröffentlichte und jetzt aktualisierte Studie wertet Interviews mit 18 chinesischen NGOs und Sekundärquellen aus:

The internationalisation of Chinese non-governmental Organisations (NGOs) is an emerging phenomenon. As new international development actors, how independent are Chinese NGOs from the Chinese state? finds that the internationalisation of Chinese NGOs is variegated rather than solely state-led. The state is not closely involved in much of the internationalisation processes of a majority of Chinese NGOs. However, all Chinese NGOs with overseas operations avoid overstepping a political boundary that is tacitly understood by both NGOs and the state. To explain the duality of both uniformity and diversity among Chinese NGOs, this study develops an embeddedness framework that disaggregates state influences into a primary layer of systemic regulatory guidance that affects all Chinese NGOs, and a secondary layer of influence over NGOs’ operations (initiation, financing, and implementation), within which the varying levels of governmental influence upon different NGOs lie.“

Ying Wang, Embeddedness Beyond Borders: Examining the Autonomy of Chinese NGOs in Their Global Endeavours. In: GIGA Journal of Current Chinese Affairs, Volume 52, Issue 1, April 2023, pp 3-24

Siehe auch: Ying Wang, Going Global: The International Endeavours of Chinese NGOs. The People’s Map of Global China, Global China Pulse, June 1, 2021.

Siehe auch Anja Ketels, NGOs in China’s Foreign Policy. Processes, Strategies, and Objectives Behind the “Going Global” of Chinese NGOs. 2023.

Ups and Downs along Belt and Road

Hinter der aktuellen geopolitischen Konfrontation treten die Entwicklungen entlang der Seidenstraßen, die ein zentraler Bestandteil der chinesischen Außenwirtschaft und internationalen Politik sind, in den Hintergrund. Der Blick darauf hilft gleichzeitig bei der Einschätzung, wo China mit seiner Positionierung als hegemonialer Konkurrent steht. Deshalb gibt es im Newsletter regelmäßig Hinweise auf besonders aufschlussreiche, kontroverse oder gewichtige Vorhaben. Einen guten Überblick über zahlreiche BRI-Projekte gibt die Datenbank ‚People’s Map of Global China’.

Chinesische Investoren im Ausland geraten zunehmend unter Druck von zivilgesellschaftlichen Organisationen und sozialen Bewegungen. Diese nutzen dazu unter anderem ihren Zugang zu UN-Organisationen, heißt es in einem Bericht über Chinas Diplomatie in Afrika, Lateinamerika und der Karibik.

Ein Beispiel aus Lateinamerica dafür ist eine Koalition nichtstaatlicher Organisationen, das Collective on Chinese Financing and Investment, Human Rights and the Environment (CICDHA). Im Februar 2023 legte es dem UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights einen Bericht vor, der Feldstudien über die Verstöße großer chinesischer Unternehmen in Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Ecuador, Mexiko, Peru und Venezuela gegen Arbeits-, Umwelt- und Menschenrechtsstandards zusammenfasste. Darin werden unter anderem die Auseinandersetzungen um die Kupfermine Las Bambas in Peru angeführt, die von dem chinesischen Unternehmen MMG betrieben wird, die bisher größte ausländische Investition in dem Land. Das Muqui-Netzwerk, eine Koalition aus über 30 Nichtregierungsorganisationen (NRO), die sich für Umwelt und soziale Gerechtigkeit einsetzen, dokumentierte Zwangsumsiedlungen von Gemeinden in der Nähe der Mine und behauptete außerdem, dass MMG „die Umweltverträglichkeitsstudie geändert“ und es versäumt habe, vor dem Projekt öffentliche Konsultationen durchzuführen.

Angesichts der möglichen Imageschäden hat China bereits in der Peer Review-Sitzung des Human Rights Council Mitte März 2019 solche Verstöße eingeräumt und versprochen, einen Beschwerdemechanismus für Umweltrisiken einzurichten. 2021 verkündete Präsident Xi Jinping angesichts wachsender öffentlicher Beschwerden über Umweltschäden, Korruption und andere Probleme durch Belt&Road Richtlinien für den Umgang mit Umweltrisiken.

In Afrika haben sich neben Medienrecherchen und politischer Lobbyarbeit „strategische Klageverfahren“ vor Gerichten (‚Strategic litigation’) bewährt. Juristen haben an brisanten Fällen unter anderem in der Demokratischen Republik Kongo, Ghana, Guinea, Kenia, Mosambik, Senegal, Sierra Leone, Südafrika, Tansania und Uganda gearbeitet. In Guinea haben Nichtregierungsorganisationen, die die Bauxitindustrie beobachten, mit dem Center for Legal Assistance to Pollution Victims (CLAPV) kooperiert, Chinas erster ‚Klinik für Umweltrecht‘ mit großer Erfahrung mit chinesischen Rechtsverfahren. Sie hat mehrere afrikanische Organisationen geschult, wie sie chinesische Rechtsmittel anwenden können, um die Einhaltung der Vorschriften durch chinesische Unternehmen, die in ihren Ländern tätig sind, durchzusetzen.

Der wachsende Druck stützt sich auf das kontinuierliche Wachstum unabhängiger China-Wissensnetzwerke, die in den letzten Jahren in Lateinamerika und der Karibik, Afrika und Asien entstanden sind. heißt es in dem Bericht. Das älteste dieser Netzwerke, das Chinese in Africa and Africans in China Research Network, kann sich einer aktiven Mitgliedschaft von 1.200 afrikanisch-chinesischen Experten rühmen, die Forschung betreiben, sich austauschen und Erfahrungen teilen. Im Jahr 2023 gründeten afrikanische, lateinamerikanische und karibische Wissenschaftler, Akademiker und Akteure aus der Praxis das Africa-Americas Forum on China, eine erste regionenübergreifende Plattform, die Chinas Engagement in Afrika und in der CELAC-Region analysiert und gegenüberstellt, eigene Konferenzen organisiert und Erfahrungen und bewährte Vorgehensweisen weitergibt.

Organisationen aus Afrika, Latinamerika und der Karibik wollen ihre Zusammenarbeit untereinander intensivieren, um im Vorfeld des nächsten Treffens des Forums für Chinesisch-Afrikanische Zusammenarbeit (FOCAC) im Herbst diesen Jahres beziehungsweise des Treffens im Sommer zwischen China und CELAC, dem Verband von 33 lateinamerikanischen und karibischen Ländern, den Druck auf die beteiligten Regierungen zu verstärken, bei den Verhandlungen mit der chinesischen Seite verstärkt die Prioritäten der Menschen zu berücksichtigen.

Paul Nantulya and Leland Lazarus, Lessons from China’s Forum Diplomacy in Africa, Latin America, and the Caribbean. Africa Center for Strategic Studies, January 22, 2024.

Lesehinweise

Während die chinesische Diaspora nicht zuletzt aus Furcht davor, dass sie als ‚Fünfte Kolonne’ Beijings fungieren könnte, viel Aufmerksamkeit erhält, taucht die chinesische Arbeitsmigration meist nur in Einzelfällen in den Medien auf. Mit der globalen wirtschaftlichen Expansion staatlicher und privater chinesischer Unternehmen stieg auch die Zahl der – vor allem männlichen – Beschäftigten im Ausland. Nach Angaben des chinesischen Handelsministeriums gab es 2021 annähernd 600.000 chinesische Arbeitnehmer im Ausland, weniger als vor der COVID-19-Pandemie. Allerdings schließen die offiziellen Statistiken chinesische Arbeitnehmer aus, die kein gültiges Arbeitsvisum besitzen, was nach Stichproben von China Labor Watch drei Viertel aller Beschäftigten sein könnten. Somit sind möglicherweise Millionen von Chinesen im Ausland beschäftigt. Und häufig sind das Länder, in denen Arbeitsrechte und Gewerkschaften unter Druck stehen.

Anfangs arbeiteten sie überwiegend in den zahlreichen Infrastrukturprojekten von Belt&Road, häufig zum Ärger einheimischer Bevölkerungen, die selbst auf die Arbeitsplätze hofften. Je stärker chinesische Unternehmen ihre ausländischen Direktinvestitionen ausweiten, sind sie inzwischen auch in Fabriken, im Bergbau oder Dienstleistungssektor beschäftigt. Waren die Arbeitgeber zuvor überwiegend staatliche Unternehmen und deren Subunternehmen, so sind es jetzt zunehmend privatwirtschaftliche Konzerne. Mit der Diversifizierung von Produktionsstandorten ins Ausland, vorangetrieben gleichermaßen durch den wachsenden Lohnkostendruck im Inland als auch durch geoökonomische Bestrebungen, die Abhängigkeit von westlichen Abnehmerländer zu verringern, wird auch die Zahl der Beschäftigten aus China zunehmen.

Labour in the world of geopolitics

Je mehr sich chinesische Investitionen vom Infrastrukturbereich in Industrien, Bergbau und Dienstleistungen verschieben, desto häufiger bekommen es Gewerkschaften mit chinesischem Kapital zu tun. Eine umfassende Unternehmensstudie beispielsweise zeigt, dass in Äthiopien Arbeitskonflikte in Betrieben mit chinesischen Eigentümern besonders häufig sind. In Afrika insgesamt ist in Regionen mit überdurchschnittlich vielen chinesischen Unternehmen auch die Zahl von Konflikten und Arbeitskämpfen höher. Mit der geopolitischen Konfrontation geraten sie zunehmend in die Schlagzeilen, wie die Klage der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di über „Tarifbruch“ durch den Logistikkonzern COSCO im Hamburger Hafen illustriert. Damit können Arbeitsbedingungen und Arbeitskämpfe zu Risiken für das Image der chinesischen Unternehmen und der internationalen Politik der Regierung in Beijing werden.

Die Beispiele zeigen auch, dass hier ein Thema für die internationale Gewerkschaftsbewegung entsteht, das bislang kaum explizit aufgegriffen oder gründlich analysiert wird. China Labor Watch beklagt insbesondere „the relative lack of interest in investigating these issues on the part of global civil society.“ Die Situation der Arbeiterklasse innerhalb Chinas wird bereits durch eine Reihe von Plattformen und Informationsdiensten verfolgt, soweit das noch möglich ist: Gongchao, China Labour Watch, Forum Arbeitswelten, China Labour Bulletin, Business & Human Rights Resource Center. Internationale Kooperationen mit Gewerkschaften im Ausland und internationalen Verbänden sind meist nur in den engen Grenzen der parteipolitisch kontrollierten Gewerkschaftsorganisationen möglich. Doch die Lage derjenigen, die außerhalb Chinas die Straßen und Bahnstrecken bauen oder in den chinesischen Unternehmen arbeiten, ist kaum bekannt, geschweige denn systematisch erfasst.

Eine der wenigen Ausnahmen ist eine Publikation vom November 2022 von China Labour Watch zu ‚The Belt and Road Initiative and its Chinese Workers‘. Demnach unterliegen die Arbeiter von der Anwerbung über die Vertragsbedingungen, häufig mit Subunternehmen, bis hin zum Leben und zur Bewegungsfreiheit vor Ort einer strikten Kontrolle. Berichtet wird von Zwangsarbeit, Menschenhandel und moderner Sklaverei und unzureichendem institutionellen Schutz durch chinesische Behörden. Zudem fallen sie häufig durch das Raster internationaler Regulierungen, beispielsweise im Rahmen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Ergänzt wird die Studie um Länderberichte zur Situation in Serbien, Algerien, Singapur, Indonesien, wo jüngst von mehreren tödlichen Arbeitsunfällen und Zusammenstößen mit einheimischen Arbeitern berichtet wurden, der DR Congo und Kambodscha, das seit langem berüchtigt ist für ausbeuterische Arbeitsbedingungen in der Bau- und Glücksspielindustrie von Sihanoukville.

„Transnational connections and cooperation should deepen in order to pressure all BRI projects to increase transparency and accountability, and to sanction persons, companies, and organizations involved in trafficking and forced labor globally.“

China Labor Watch, November 2022

Einen Überblick bietet auch der Artikel ‚Trapped in No Man’s Land: Chinese Migrant Workers Along the Belt and Road Initiative‚. Zudem gibt es weitere Berichte, beispielsweise zu chinesischen Arbeitern in Infrastrukturprojekten in Afrika. Ein besonders schwerwiegender Bereich von Ausbeutung und Menschenhandel ist die Internet-Kriminalität in Südostasien mit Millionen Beschäftigten, die von chinesischen Syndikaten dominiert wird. In Myanmar beispielsweise, wo die Syndikate oft mit Militärkreisen oder ethnischen bewaffneten Organisationen gemeinsame Sachen machen, hat sie ein derartiges Ausmaß angenommen, dass sich die chinesische Regierung veranlasst sah, die Militärjunta unter Druck zu setzen, dagegen vorzugehen.

Ausgehend von der Feststellung, dass „in these times of global realignment, organised labour globally will be most likely be confronted with increasing demands to take geopolitical positions“, macht eine kleine Artikelserie der Global Labour Column den Versuch, das in der China Labor Watch-Studie von 2022 beklagte geringe Interesse von Teilen der Zivilgesellschaft, diese Themen aufzugreifen, etwas auszugleichen. Als Beitrag zu einer Debatte „about the tasks and possibilities of international collaboration in trade union solidarity“ werden zum einen Schlaglichter auf interne Themen wie die Situation in Hong Kong, Arbeitskämpfe in der Volksrepublik, die Unterdrückung der uighurischen Bevölkerung in Xingjiang und die nationale und internationale Rolle des Gewerkschaftsverbandes ACFTU geworfen. In den Blick genommen wird aber auch die Lage der Arbeiter und Arbeiterinnen entlang von Belt&Road, in der internationalen Bauindustrie, in der chinesische Unternehmen dominieren, und dem Transportsektor, sowie die Gewerkschaftssituation in chinesischen multinationalen Unternehmen am Beispiel der Building and Woodworkers International (BWI).

Leider war diese Artikelserie auf zwei Monate (Dezember/Januar), begrenzt. Wünschenswert wäre aber, dass die internationale Gewerkschaftsbewegung nicht nur weiterhin und verstärkt die Situation chinesischer Kolleginnen und Kolleginnen beobachtet, sondern auch intensiver an Formen praktischer Solidarisierung und an ihrer Positionierung in den geopolitischen Auseinandersetzungen arbeitet.

Siehe dazu auch: Global China’s Dark Side. In: Global China Pulse, Volume 2, Issue 1, 2023. Download pdf:

Wie in den vergangenen Jahren vermeldet der jüngste China BRI Investment Report in seinen ‚Key findings’ auch für das zehnte Lebensjahr von Belt&Road überwiegend gute Nachrichten. Sie werden untermauert mit eindrucksvollem Zahlenwerk und Schaubildern, die überwiegend auf den Daten des Handelsministeriums (MOFCOM) basieren, die im November für den Zeitraum von Januar bis Oktober 2023 veröffentlicht wurden. Diese Erfolgsmeldungen lenken ein Stück weit davon ab, dass Belt&Road als eins der Elemente von Chinas globaler wirtschaftlicher Expansion und politischer Gewichtszunahme an Bedeutung verliert, aber weiterhin als modifizierter Teil eines neuen Stadiums geoökonomischer Konkurrenz im kapitalistischen Weltsystem fungiert. Um diese Entwicklung differenzierter zu interpretieren, muss man allerdings auf andere Quellen zugreifen.

Zum einen hat die Regierung in Beijing zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um finanzielle und politische Risiken, die von Belt&Road ausgehen, zu verringern. Dazu gehören massive Ausgabenkürzungen, Schritte, um Schuldnerländer zu entlasten und die Zahl fehlgeschlagener Projekte zu verringern, mit sogenannten Public Private Partnerships die Finanzierungsbasis zu verbreitern und die Risiken zu streuen, sowie öffentlicher Kritik entgegenzuwirken. Doch die Verschiebungen im globalen Auftreten des chinesischen Staatskapitalismus reichen sehr viel weiter als solche internen Modifikationen an Belt&Road. Nachdem China unter anderem durch Belt&Road die Grundlagen dafür gelegt hat, greift es jetzt verstärkt auch in primären und sekundären Wirtschaftsbereichen die westliche Vormachtstellung an, ebenso wie im Finanzbereich, wo es versucht, eigene Finanzinstitutionen und den Renminbi als Handelswährung zu etablieren.

„Dramatische Verschiebungen“ würden sich inzwischen beispielsweise bei den Investitionen in Lateinamerika und der Karibik zeigen, meint Margaret Myers, Direktorin des Asien- und Lateinamerika-Programms beim Inter-American Dialogue: Zwar sinkt die Zahl der angekündigten Vorhaben, unter denen sich kaum noch große Infrastrukturprojekte befinden. Dafür verschieben sich chinesische Direktinvestitionen in eine Reihe von Wirtschaftssektoren, die als „Neue Infrastruktur“ bezeichnet werden. Das umfasst Wirtschaftsbereiche wie beispielsweise Telekommunikation, Finanzdienstleistungen und Energiewende, die wiederum für Chinas eigene wirtschaftliche Wachstumsstrategie zentrale Bedeutung haben.

Der Fokus verschiebt sich zudem zunehmend auf Länder des Globalen Südens, weil sich sowohl westliche Industrieländer als auch China bemühen, ihre gegenseitigen wirtschaftlichen Beziehungen als Absicherung gegen wirkliche oder unterstellte Sicherheitsrisiken umzubauen. Die Länder des Globalen Südens werden als Rohstofflieferanten, Exportmärkte und Investitionsstandorte und damit als Ziele für Kapital und Technologie aus China immer wichtiger. Damit treten chinesische Unternehmen aber auch in direkte Konkurrenz mit dortigen einheimischen Unternehmen und könnten dadurch deren Entwicklung beeinträchtigen. Was diese wachsende Dominanz chinesischen Kapitals für die Bestrebungen dieser Ländern nach einer eigenständigen, tragfähigen Industrialisierung bedeutet, als deren Partner sich Beijing gerne geriert, wäre weitere Recherchen wert.

Wie schon bei der ersten Phase von Belt&Road wirft diese Entwicklung zudem die Frage nach dem Verhältnis der auf geoökonomische Expansion gebürsteten staatskapitalistischen Wirtschaft Chinas und geopolitischem Kalkül auf, nach „enhancing national power through economic statecraft“. So verkündet Felix Chang vom Foreign Policy Research Institute, „the BRI’s ever-shifting aims suggest that the initiative’s ultimate goal may have become more political than economic“, die Autoren einer Merics-Studie glauben zu wissen, dass durch „aligning economic actors with China’s strategic goals“ die Unterordnung der globalen Expansion unter den Primat der Politik und eine expansionistische, gar imperiale Politik weiter voranschreiten.

Damit wird ein Vorwurf aufgegriffen, der schon die erste Phase von Belt&Road begleitete, obwohl sie zumindest in den ersten Jahren ganz überwiegend von wirtschaftlichen Interessen und Zwängen geprägt wurde. Auch jetzt ist es fraglich, ob chinesische Konzerne im Ausland sich wesentlich anders verhalten als ihre westlichen Konkurrenten, wenn es um Investitionen in Infrastruktur, Versorgung mit Rohstoffen, Ausweitung von Handel und Unternehmensbeteiligungen geht. Das schließt nicht aus, dass ihre Entscheidungen indirekt durch die geopolitische Konfrontation und die damit einhergehenden Versuche von ‚De-Risking‘ und ‚Decoupling‘ geprägt werden und damit auch Auswirkungen auf den geopolitischen Machtkampf haben. Denn selbstredend ist die wirtschaftliche Stärke in der globalen Konkurrenz ein wesentlicher Faktor für die hegemonialen Kräfteverhältnisse. Und es versteht sich von selbst, dass Beijing das fördert und politisch nutzt, nur eben wirkungsvoller als die Staaten des geopolitischen Westens.

Christoph Nedopil Wang, China Belt and Road Initiative (BRI) Investment Report 2023, Griffith Asia Institute and Green Finance and Development Center, February 2024

Felix F. Chang, China’s Belt and Road Initiative: Politics over Economics. Foreign Policy Research Institute, Asia Program, September 2023

Kjeld van Wieringen, Tim Zajontz, From Loan-Financed to Privatised Infrastructure? Tracing China’s Turn Towards Public-Private Partnerships in Africa. Journal of Current Chinese Affairs 2023, Vol 52(3), 434-463

Stewart Paterson, China’s BRI 2.0: The road to national rejuvenation? Hinrich Foundation, January 2024

Stewart Paterson, China’s BRI: Enhancing national power  through economic statecraft. Hinrich Foundation, Februar 2024

Max J. Zenglein, The world’s factory strikes back. Hinrich Foundation / Merics, February 2024. Download pdf

Margaret Myers, Ángel Melguizo, and Yifang Wang, “New Infrastructure”: Emerging Trends in Chinese Foreign Direct Investment in Latin America and the Caribbean, January 19, 2024

Max J. Zenglein and Jacob Gunter, The party knows best: Aligning economic actors with China’s strategic goals. Merics, October 2023. Chapter 6: China contends for the central position in the global economy

Parks, B. C., et al, Belt and Road Reboot: Beijing’s Bid to De-Risk Its Global Infrastructure Initiative. AidData at William & Mary. November 2023 (report, pdf)

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Zitat: Konkurrenz und Krieg

„China’s economic competitiveness can only be forcefully reduced in a rapidly escalating trade war, including massive tariffs or in the event of military conflict breaking out.“

Max J. Zenglein, Chief Economist, Merics

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