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Uwe Hoering, März 2021
Vermutlich war die chinesische Regierung selten in einer Position wie gegenwärtig. Nach dem Sturz der gewählten Regierung in Myanmar sitzt sie nämlich zwischen allen Stühlen: Zwischen der Armee (Tatmadaw), der Bewegung für zivilen Ungehorsam CDM, der NLD von Aung San Suu Kyi und ihrer gewählten Regierung, der internationalen Meinung. Deshalb scheint es auch unwahrscheinlich, dass sie die Putschisten ermuntert haben soll. Im Gegenteil: Für den Asienkorrespondenten Timothy McLaughlin ist sie „die größte Verliererin“, für andere ist sie zumindest „nicht glücklich mit dem Coup“.
Chinesische Reflexe
Die ersten Reaktionen aus Peking und in chinesischen Medien waren typisch und wenig überraschend: Die Ausrufung des Ausnahmezustands, die Aussetzung des Parlaments und die Verhaftung führender ziviler Mitglieder der Regierung wurden als „Korrektur der unausgeglichenen Machtstruktur“ und „Regierungswechsel “ heruntergespielt. Immerhin unterstützte China eine Resolution im UN-Sicherheitsrat, aber erst, nachdem das Wort „Putsch“ gestrichen wurde. Wie üblich wurde die Zurückhaltung mit der Doktrin der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten begründet. Soweit, so ‚business as usual’.
Ungemütlich wird es inzwischen, weil dieses Verhalten als Unterstützung des Putsches verstanden wird. Gerüchte machten die Runde, dass Ausrüstung von Huawei und ZTE und chinesische Experten eingeflogen wurden, um die Putschisten beim Aufbau von Überwachungssystemen zu unterstützen.
China steht denn auch zunehmend im Fokus von Protesten. Fabriken chinesischer Eigentümer werden demoliert und angezündet, es wird zum Boykott chinesischer Waren aufgerufen und vor der Botschaft lautstark demonstriert. Besonders beunruhigend für Peking: Drohungen gegen die Pipelines, die die südwestchinesische Provinz Yunnan mit Erdöl und Erdgas versorgen.
Die bisherigen Reaktionen aus China darauf folgen ebenfalls gewohnten Mustern. Falls es dem Militär nicht gelingt, Chinas Interessen, Eigentum und Bürger und insbesondere die Pipelines zu schützen, werden eigene „drastischere Aktionen“ angedroht. Die Medien sollten kontrolliert werden. Und Mutmaßungen werden in Umlauf gesetzt, die USA würden Myanmar nutzen, um Druck auf Peking auszuüben und eine „Farbrevolution“ schüren, das Schreckgespenst für autoritäre Regime von Weißrussland über Moskau bis Peking.
PR-Desaster
Pekings Politik stand schon häufig unter Druck. In Kirgistan, Kasachstan oder Vietnam kam es zu teils heftigen Protesten, in Sri Lanka und Malaysia wurden Regierungen gewählt, die den chinesischen Einfluss begrenzen wollten. Doch die Situation, die durch den Putsch entstanden ist, ist nicht damit nicht vergleichbar.
Da ist die unerwartete Stärke der Protestbewegung des zivilen Ungehorsams und die Entschlossenheit der demokratischen Kräfte. Da ist das diskreditierte, korrupte, nationalistische Militär, dessen Abneigung gegen Chinas Einfluss bekannt ist. Und dessen wachsende Brutalität jeden offenen Versuch, mit ihm zu kooperieren, zu einem PR-Desaster machen und die tiefsitzende Ablehnung in der Bevölkerung gegenüber China verstärken würde. Ein Arrangement mit einem weiteren autoritären, repressiven Regime wäre auch Wasser auf die Mühlen der internationalen Kritik an der chinesischen Regierung, zusätzlich zu Hongkong, Corona, Xinjiang und militärischem Auftrumpfen in Südostasiens Gewässern.
BRI-Baustein Myanmar
Auf dem Spiel stehen zudem erhebliche wirtschaftliche und politische Investitionen. Gerade war es China gelungen, seine enge Allianz und guten Geschäfte mit der bis 2011 andauernden Militärregierung vergessen zu lassen. Zu Aung San Suu Kyi und der Nationalen Liga für Demokratie wurden gute Beziehungen strickt. Belohnt wurde das von der NLD-Regierung unter anderem mit der Unterstützung für Chinas Vorgehen in Tibet, Xinjiang, Taiwan und Hongkong und mit der Aussicht, den Bau des Myitsone-Staudamms, der vor zehn Jahren nach breiten Protesten gestoppt worden war, wieder aufzunehmen.
China ist nach wie vor nicht nur größter Investor, sondern wichtigster Handelspartner und Rüstungslieferant. Myanmar ist zudem ein zentraler Baustein für die Neuen Seidenstraßen, die längst nicht mehr nur Chinas Versorgungsinfrastruktur umfassen wie die Pipelines und den Zugang zum Indischen Ozean. Mit BRI 2.0 wächst die Bedeutung der Nachbarstaaten für Chinas neues Konzept der „doppelten Zirkulation“, der engen Verknüpfung zwischen nationaler und regionaler Entwicklung in allen Wirtschaftsbereichen.
Es besteht also dringender Handlungsbedarf. „Stillhalten gefährdet Pekings ureigene Interessen“, meinen beispielsweise die Myanmar-Aktivistinnen Sarah M. Brooks und Debbie Stothard. Was es vor allem braucht ist Stabilität.
Aktuell sieht es allerdings nach mehr Instabilität aus. Das Militär eskaliert die Repression. Die Fronten verhärten sich, die Konflikte geraten zunehmend außer Kontrolle. Die Gefahr wächst, dass Peking glaubt, wie angekündigt zu „drastischen Aktionen“ greifen zu müssen. Gleichzeitig sind die Einflussmöglichkeiten internationaler Akteure begrenzt.
Internationale Akteure
In der südostasiatischen Regionalorganisation ASEAN, die ähnlich wie Peking das Prinzip der Nichteinmischung in innenpolitische Angelegenheit ihrer Mitgliedsländer hochhält, versuchen Putsch-Kritiker wie Malaysia, Singapur und Indonesien erste, vorsichtige Ansätze, eine gemeinsame Politik auszuarbeiten. Die explosive Entwicklung in Myanmar gilt als ein Test für ASEANs Glaubwürdigkeit und Bedeutung. Doch ein informelles Treffen Anfang März scheiterte daran, sich auf die Forderung nach einer Beendigung des Putsches zu einigen.
Unternehmen aus Japan, Singapur oder Thailand gehen zwar auf Distanz zum Militär und haben angekündigt, sich aus Gemeinschaftsunternehmen mit den militärisch-wirtschaftlichen Holdings MEHL und MEC zurückzuziehen. Internationale Konzerne wie Coca-Cola, Heineken, Metro und H&M unterzeichnen ein Erklärung, in der sie ihre Besorgnis verkünden. Und westliche Regierungen verhängen erste Sanktionen. Doch frühere Militärregierungen haben gezeigt, dass sie eine internationale Isolierung aussitzen, auch auf Kosten der Bevölkerung. Und der japanische Verteidigungsminister erinnert daran, dass damit die Militärs in die Abhängigkeit von China getrieben würden.
Abgesehen davon, ob die Militärs überhaupt in der Lage sein werden, die Stabilität, die für Chinas Interessen notwendig sind, in absehbarer Zeit zu gewährleisten – Peking braucht die Länder der Region in seinem Konflikt mit den USA. Gerade hat es seine Beziehungen zu ASEAN durch das Wirtschaftsabkommen RCEP auf eine verbreiterte wirtschaftliche Grundlage gestellt. Dennoch wird Peking in der Region nicht geliebt. Ein weiterer Imageverlust als Folge einer Kooperation mit den diskreditierten Militärs wäre ein schlechter Deal.
Befreiungsschlag
Angesichts der komplizierten, eskalierenden Situation wird Myanmar zu einem Minenfeld, auf dem Pekings Vorstellung internationaler Beziehungen, die nationale Souveränität und Nichteinmischung höher bewertet als Grundrechte, Freiheit und Rechenschaftspflicht, auf eine harte Probe gestellt wird.
Zwischen den Stühlen zu sitzen kann aber auch günstig sein, wenn man zu den Beteiligten gute Kontakte hat – aus alten Tagen zum Tatmadaw, aus dem vergangenen Jahrzehnt zur NLD. Und Peking hat eine Trumpfkarte, eine mögliche Vermittlerrolle in den bereits Jahrzehnte andauernden Konflikten mit den ethnischen Minderheiten. Die Milizen der Karen, Shan und Kachin haben sich bereits gegen die Putschisten gestellt. Die schlagkräftigsten Organisationen aber warten ähnlich wie Peking noch ab, wie sich die Situation entwickelt. Ein solcher Frieden zwischen diesen „Armeen“, dem Militär und der zivilen NLD-Regierung könnte wesentlich zur Stabilität und zu Pekings Ansehen beitragen.
Der Haken dabei: Um aus seiner verzwickten Lage herauszukommen, müsste Peking wohl über seinen Schatten springen und die Regierung, die aus den Wahlen im November vergangenen Jahres hervorgegangen ist, und damit demokratische Verhältnisse anerkennen. Illusorisch? Wahrscheinlich. „Aber jetzt ist die Zeit für China zu beweisen, dass es ein wirklich guter Nachbar ist,“ zitiert The Atlantic Sandar Min, NLD-Mitglied der in den Untergrund gezwungenen Regierung.