B3W: Seidenstraßen Made in USA

China, Geopolitik und der Globale Süden

Uwe Hoering, Juni 2021

Die Bezeichnung für die jüngst beim G7-Gipfel von US-Präsident Biden vollmundig angekündigte multilaterale Kopie von Chinas Neuen Seidenstraßen ist grauslich: Build Back Better World oder B3W. Aber sie ist auch nicht grauslicher als die offiziellen  Bezeichnungen One Belt, One Road (OBOR) oder Belt & Road Initiative (BRI) für das Original. Von den meisten Medien wurde die „positive Vision“, die das Weiße Haus den Ländern des Globalen Südens eröffnen will [1], freudig-affirmativ aufgegriffen als weiteres Zeichen, dass die „wichtigsten Demokratien“ als kollektiver Akteur zurück sind auf der Weltbühne. Die „Infrastruktur-Partnerschaft“, die sich durch „Werteorientierung, hohe Standards und Transparenz“ auszeichnet, soll den als unsittlich und schädlich betrachteten Angeboten Chinas Konkurrenz machen. Bislang handelt es sich dabei allerdings lediglich um ein blutleeres PR-Produkt – und das wird es vermutlich auch lange bleiben.

Ankündigungs-Diplomatie

Längst wird die Konfrontation auf vielen Feldern eskaliert – Handelskrieg, Sanktionen, Aufrüstung, Corona-Narrativ, …., jetzt also auch bei Pekings Paradepferd für Chinas wirtschaftliche und politische Expansion. Mit einem gewaltigen Infrastruktur- und Investitionsprogramm will B3W, ähnlich wie BRI, zum einen den nach wie vor immensen Bedarf der Länder des Globalen Südens stillen und dazu beitragen, die wirtschaftlichen Rückschläge durch die Corona-Pandemie aufzuholen. Zugleich soll sie die Vorzüge „westlicher Werte“ als Zugpferd von Wachstum und Wohlstand gegenüber dem autoritären Systemrivalen demonstrieren – Transparenz, Werteorientierung, hohe Qualitätsstandards, korruptionsfrei und klimafreundlich, umgesetzt „durch Beratung mit lokalen Bevölkerungen und Berücksichtigung von deren Bedürfnissen als echte Partner“. Vier Bereiche werden besonders hervorgehoben, mit denen gegen Peking gepunktet werden soll: Klimaschutz, Gesundheitssystem, Digitalisierung sowie Gendergleichheit und -gerechtigkeit.

B3W soll die Vorzüge „westlicher Werte“ als Zugpferd von Wachstum und Wohlstand gegenüber dem autoritären Systemrivalen demonstrieren

B3W ist eine Weiterentwicklung des Blue Dot Network aus den Zeiten von Donald Trump: Investoren sollten für „marktorientierte, transparente und finanziell nachhaltige Entwicklungsprojekte“ durch eine Zertifizierung nach westlichen Standards gewonnen werden – eine unverhohlene Spitze gegen chinesische Projekte, die gerne als minderwertig, intransparent und nicht partizipatorisch abgekanzelt werden. Ohne nennenswerte finanzielle Mittelausstattung blieb BDN allerdings ein Publicity-Spielchen. Dieses Mal kündigt die US-Regierung immerhin viel Geld an: B3W „wird in den kommenden Jahren gemeinsam hunderte Milliarden Dollars für Infrastruktur-Investitionen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen mobilisieren“. Wie viel das tatsächlich sein wird, bleibt vorerst ebenso unklar wie die Vergabebedingungen oder konkrete Vorhaben.

Wer soll das bezahlen?

Doch schon beim Geld, bei der Finanzierung, fangen die Probleme an. Während Peking die Milliarden, die es als ‚Werkbank der Welt’ mit der Versorgung der USA und des Westens mit Konsumgütern verdient hat, jetzt durch seine staatlichen Entwicklungsbanken in die BRI-Projekte pumpen kann, will B3W angesichts immenser staatlicher Ausgaben für die eigenen Corona-Rettungsprogramme die Privatwirtschaft und Pensionsfonds anzapfen, angelockt mit staatlichen Entwicklungsgeldern. Solche Public Private Partnerships haben schon in der Vergangenheit selten funktioniert, weil diese Investitionen für die Konzerne viel zu riskant und bestenfalls langfristig ertragreich sind. Zudem hat die US-Regierung bereits Probleme, ihre Pläne für das einheimische Infrastrukturprogramm durch den US-Congress zu bringen: „Angesichts fiskalischer und politischer Beschränkungen wird Washington niemals vergleichbare öffentliche Ressourcen für Infrastrukturprojekte im Ausland aufbringen können wie Peking“, ist Matthew Goodman vom Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington, D.C. überzeugt.

„Während der Westen nach der Finanzkrise 2007/2008 in ein Investitions-Koma fiel, haben Infrastrukturkonzerne aus China den internationalen Markt erobert.“

Eine weitere offene Frage: Wer soll die Projekte umsetzen? Während der Westen nach der Finanzkrise 2007/2008 in ein Investitions-Koma fiel, haben Infrastrukturkonzerne aus China den internationalen Markt erobert. In Afrika sicherten sie sich 60 Prozent aller Aufträge, in Asien, wo es mit Japan starke Konkurrenz gibt, 40 Prozent. Chinas Seidenstraßen-Erfolge liegen nicht nur an westlicher Zurückhaltung, sondern auch an robuster und risikobereiter kapitalistischer Unternehmenspower, die schlüsselfertige Projekte von der Planung über die Finanzierung bis zum Betrieb aus einer Hand liefern kann. Der beliebte Verweis an dieser Stelle auf ihre massive Unterstützung durch staatliche Finanzen und Politik ist scheinheilig angesichts der Billarden an Staatshilfen und protektionistischen Maßnahmen, mit denen westliche Konzerne gerade gerettet wurden und konkurrenzfähig gemacht werden sollen.

Zudem hält sich bei den anvisierten demokratischen Partnern die Bereitschaft in Grenzen, sich für den wirtschafts- und geopolitischen Konkurrenzkampf und die Demonstration von „US-amerikanischer Konkurrenzfähigkeit im Ausland“ einspannen zu lassen. Japan hat 2017 seine eigenen Seidenstraßen-Kopie gemeinsam mit Indien angekündigt, den Asia-Africa Growth Corridor, dessen Beitrag zu Entwicklung, Konnektivität und Zusammenarbeit zwischen den Kontinenten allerdings noch auf sich warten lässt. Auch die Europäische Union hat ehrgeizige Plänen und handfeste Eigeninteressen. Sie bastelt seit einiger Zeit unter anderem an einer EU-Asia Connectivity Strategy – ebenfalls mit eher schleppenden Fortschritten. Es ist fraglich, ob die Resultate besser werden, wenn sich mehrere Lahme zusammen tun, wie es sich Biden wünscht.

Der Drache in der Hand …..

Auch die meisten Länder des Globalen Südens werden dem B3W-Braten vorerst nicht trauen, solange Peking seine Karten weiterhin clever spielt. Denn die Aussicht auf Wohltaten in einer ungewissen Zukunft zu unbekannten Bedingungen ist suspekt, die handfesten Ergebnisse der Neuen Seidenstraßen hingegen allemal greifbarer als mögliche Sorgen über geopolitische Hintergedanken.  BRI ist zudem weitaus mehr als nur ein Infrastrukturprogramm und umfasst auch Handelsabkommen und Kulturprojekte, politische Anerkennung und Aufwertung, auch von korrupten, autoritären Regimen, und kann mit dem ‚Modell China’ unbestreitbare Erfolge vorweisen. Der Drache in der Hand – so könnte man ein deutsches Sprichwort variieren – ist besser als der Adler auf dem Dach.

Der Drache in der Hand ist besser als der Adler auf dem Dach

Dabei hatten ursprünglich einmal die USA die Nase vorn: Vor zehn Jahren verkündete die damalige US-Außenministerin Clinton ein ehrgeiziges Infrastruktur- und Entwicklungsprogramm für Afghanistan und die Region, um durch wirtschaftliche Perspektiven einen Truppenabzug zu flankieren. Die Bezeichnung: Neue Seidenstraßen. Die Umsetzung kam nicht voran und inzwischen haben sich die Chinesen den werbewirksamen Markennamen für ihre Belt & Road Initiative gesichert.

Immerhin: BRI treibt die ‚westliche Wertegemeinschaft’ an, ihre Angebote an die Länder des Globalen Südens zu erhöhen. Sie muss aber über ihre ideellen Werte hinaus schon auch deutlich mehr materielle Werte auf den globalen Pokertisch legen und sich mehr einfallen lassen als PR-gesteuerte Versprechungen und Ankündigungen, um die begründeten Zweifel an der “positiven Vision“ auszuräumen. Als erstes sollte sie sich möglicherweise einen attraktiven Markennamen einfallen lassen. Wie wäre es zum Beispiel mit ‚New Highway to Heaven’, abgekürzt: NH2H?


[1] Sofern nicht anders angegeben, stammen die Zitate aus der Pressemitteilung der US-Regierung vom 12. Juni 2021: Fact Sheet: President Biden and G7 Leaders Launch Build Back Better World (B3W) Partnership.

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