12. August, 2023
Inhalt: Und Chinas nächste Marinebasis ist …. +++ Vor dem BRICS-Gipfel … +++ Water cannon incident: Threatening „peace and security“ +++ 1.000.000.000.000 US-Dollar für Belt&Road +++ Belt&Road in Kambodscha: Groß und teuer +++ Ciao China: Giorgia Meloni sucht die Ausfahrt +++ Lesehinweis: Auf der Suche nach Chinas Marinestützpunkten +++ Zitat: NATO’s Expansion
Und Chinas nächste Marinebasis ist …
Uwe Hoering, 4. August 2023
Es gibt gute Gründe zu vermuten, dass die massiven chinesischen Investitionen in Ausbau und Modernisierung von Häfen rund um den Globus nicht nur durch rein wirtschaftliche Motive vorangetrieben werden. Auch andere große Infrastrukturprojekte wie Bahnlinien und Straßen können jenseits von Handel oder lukrativen Geschäften militärisch missbraucht werden. Doch die Beweise, dass Beijing an einem weltumspannenden Netz von Marinestützpunkten basteln würde, sind bislang dürftig. Und dass die beteiligten Akteure derartige Absichten dementieren, ist verständlich. Eine aktuelle Studie über Chinas „Globale Ambitionen“ will nun Fakten präsentieren. Mehr
Das globale Gravitationszentrum verschiebt sich in den Süden
Mit Spannung blickt vor allem die ‚westliche Werte-Welt’ auf das Gipfeltreffen der sogenannten BRICS-Gruppe vom 22. bis 24. August 2023 in Johannesburg. Das Treffen von Brasilien, Russland, Indien, China und Gastgeber Südafrika wird ein Indikator für das Verhalten der Länder des Globalen Südens im Streit zwischen China und den USA sein, wer die neue Weltordnung bestimmen darf.
Bewerber stehen Schlange
Jahrelang dümpelte die 2008 gegründete politische Gruppierung der fünf Schwellenländer als Talkshop ohne wirkliche gemeinsame Inhalte oder Strategie vor sich hin. Doch in der gegenwärtigen Weltlage scheint sie trotz andauernder interner Spannungen wie zwischen Indien und China und wirtschaftlicher und politischer Unterschiede eine erhebliche Anziehungskraft zu besitzen. Jedenfalls gibt es je nach Zählung zwischen 20 und 40 Beitrittswillige, darunter Saudi Arabien, Argentinien, Iran, Kasachstan und Indonesien, selbst NATO-Mitglied Türkei wird als potentieller Kandidat gehandelt. In Nordafrika werden unter anderem Ägypten und Tunesien, in Afrika südlich der Sahara Äthiopien, Simbabwe und Nigeria als Interessenten geführt. Damit würde das Fünfer-Bündnis, das inzwischen zusammen ein höheres Bruttoinlandsprodukt hat als die G7-Länder, um weitere aufstrebende, selbstbewusste ‚Swing States’ und um bedeutsame Energielieferanten und Rohstoffproduzenten erweitert, die die Gewichte zwischen China und den USA verschieben könnten.
Unter anderem hat BRICS mit der New Development Bank, 2015 mit Sitz in Shanghai gegründet, an Attraktivität gewonnen. Sie verspricht, eine Alternative zu westlich dominierten Internationalen Finanzinstitutionen wie der Weltbank und ihrer regionalen Ableger in Asien, Afrika und Lateinamerika zu sein. Mit dem wirtschaftlichen Gewicht der fünf Mitgliedsländer, auch wenn es vor allem auf China zurückgeht, entstehen zudem Blütenträume wie die Idee einer gemeinsamen Währung, um der Dominanz und dem Erpressungspotential des US-Dollar etwas entgegen zu setzen. Dieses Thema wird beim Gipfel ganz oben auf der Tagesordnung stehen, verkündet Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa. Nach Meinung der meisten Experten ist es bis zur Umsetzung ein langer Weg. Doch ein erster Schritt, um die Dollar-Dominanz zu verringern, ist die zunehmende Nutzung nationaler Währungen im Handel untereinander (siehe ‚Entthronung des US-Dollar?‘ in: Newsletter 4/2023).
So wird der Globale Süden zum heftig umworbenen Objekt im geopolitischen Machtpoker. „Dies ist die Stunde des Globalen Südens“, titelte die Financial Times einen Beitrag von Alan Russell von der Boston University. Die westlichen Industrieländer bemühen sich, die sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländer mit halbgaren Kopien von Belt&Road und dem Appell an ‚unsere Werte’ (Außenministerin Baerbock) für sich zu gewinnen. Der Kontrahent China geriert sich ebenfalls als Anwalt der Länder des Globalen Südens, besonders zielführend mit BRI. Zudem hat er bessere Referenzen, da er keine koloniale Herrschaftsvergangenheit hat und von Anfang an an der Seite der nach dem 2. Weltkrieg unabhängig gewordenen Länder stand. Chinas Premierminister Zhou Enlai war einer der Politiker bei der historischen Konferenz im indonesischen Bandung 1955, die mit ihren ‚fünf Prinzipien’ Leitlinien für die Kooperation der postkolonialen Länder und die 1961 gegründete ‚Blockfreien-Bewegung’ in Zeiten des Kalten Kriegs prägte.
Der Elefant im Raum
Dennoch ist China auch der Elefant im Raum, in dem sich die Länder des Globalen Südens neu zu formieren versuchen. Seine Dominanz ist durchaus ein Problem. Und die Konflikte um territoriale Ansprüche im Himalaya oder im Südchinesischen Meer ebenfalls. BRICS-intern hat Indien gegen eine Erweiterung erhebliche Vorbehalte, um Chinas Gewicht durch BRI-Länder nicht weiter zu stärken. Andererseits haben die Länder des Globalen Südens längst ein eigenes geopolitisches Gewicht, mit dem selbst das mächtige China rechnen muss. Vor allem: Bei allen Unterschieden und Konflikten untereinander ist für viele die Unzufriedenheit mit ‚dem Westen’ ein gemeinsamer Nenner.
Diese Unzufriedenheit nährt sich zum einen aus der Vergangenheit – aus Verstößen gegen das Völkerrecht wie im Irak und anderswo, oder aus der Ignoranz während der Corona-Pandemie. Existenziell bedrohlich wird zudem der geopolitische Großkonflikt zwischen China und den USA, mit dem Einsatz von Handel und Finanzsektor als politische und wirtschaftliche Waffen und der Gefahr, auf der schiefen Bahn einer Militarisierung in einen weiteren Krieg zu rutschen, mit dem Ukraine-Krieg als Blaupause für eine Eskalation um Taiwan. Sie wollen in diesem Konflikt eher neutral bleiben, wohl wissend, dass sie ansonsten zwischen den kämpfenden Elefanten zerrieben werden.
Eine Mitgliedschaft in BRICS gemeinsam mit China und Russland, das die hehren Bandung-Prinzipien mit der Annexion der Krim und dem Einmarsch in der Ukraine verletzt hat, wäre natürlich ein Widerspruch dazu. Deshalb wird das Treffen zu einem Indikator über die weitere Kräfteverteilung. Die Beteiligung von Putin am Treffen in Johannesburg, nach jüngsten Meldungen jetzt nur noch virtuell, ist für die westlichen Medien zwar ein Aufreger, für den Globalen Südens ist diese Frage gegenüber dem Bestreben, das eigene Gewicht in der Weltpolitik und der Gestaltung der Weltordnung zu stärken, wohl eher von untergeordneter Bedeutung. Verglichen mit anderen bestehenden Bündnissen wie der G77 mit über 130 Entwicklungsländern oder mit einer erneuerten ‚aktiven Blockfreiheit’ ohne Russland und China hat eine erweiterte BRICS-Kerngruppe durchaus machtpolitische Vorteile. Die ‚westliche Werte-Welt’ dagegen hofft darauf, dass die vielfältigen Unterschiede, Gegensätze und nationalstaatlichen Egoismen eine derartige ‚Dritte Kraft’ verhindern werden.
Water cannon incident threatens „Peace and Safety“
The Philippines has accused China’s coast guard of firing water cannon at its vessels in the disputed South China Sea. According to the coast guard the vessels were carrying supplies for Filipina military personnel stationed at Second Thomas Shoal in the Spratly Islands. After China occupied Mischief Reef in the mid 1990s, the Philippines ran a derelict navy vessel on the nearby shoal to assert Manila’s territorial claims. It was the first time since November 2021 that the Chinese coast guard had used water cannon against such resupply mission to the atoll. The incident quickly turned into a threatening posture: U.S. Secretary of Defence Lloyd Austin reaffirmed to his Philippine counterpart that an attack on a Philippine boat in the South China Sea would be subject to the U.S.-Philippines Mutual Defence Treaty between the two allies. The Treaty of 1951, a few years after der former U.S. colony became independent, stipulates that an armed attack in the Pacific area on one party will be deemed dangerous to the other’s own peace and safety, and would lead to action. Just recently, the U.S secured access to more military bases in the Philippines.
1.000.000.000.000 US-Dollar für Belt&Road
Rechtzeitig zum 10. Jahrestag des 2013 offiziell gestarteten Infrastruktur- und Investitionsprogrammes BRI vermeldet der China Belt and Road Initiative (BRI) Investment Report für das erste Halbjahr 2023 einen wichtigen Meilenstein, zumindest in quantitativer Hinsicht: „Cumulative BRI engagement breached the US$1 trillion mark“. Die Publikation des Green Finance & Development Center an der Fudan-Universität in Shanghai ist eine Art informeller Geschäftsbilanz für BRI 3.0, die ‚small’, ‚beautiful’ und insbesondere ‚green’ zu sein beansprucht. Sie stützt sich auf Zahlen des chinesischen Handelsministerium (für den Zeitraum Januar bis März 2023), auf den China Global Investment Tracker und auf eine eigene Datenerfassung.
Der Bericht für das erste Halbjahr 2023 bestätigt viele Trends und Aussagen, die sich bereits in früheren Berichten abzeichneten, wie die Zunahme privatwirtschaftlicher Beteiligung, die Verlagerung weg von großen Infrastrukturprojekten hin zu Unternehmensinvestitionen und Kapitalbeteiligungen und die steigende Zahl von Vorhaben im den Bereichen ‚grüner’ Technologien und nicht-fossiler Energiequellen. Im Einzelnen:
+ Gegenüber staatlichen Krediten nehmen privatwirtschaftliche Finanzierungen und Investitionen sowohl in absoluten Zahlen als auch anteilig zu, von umgerechnet 35 auf 43.3 Milliarden US-Dollar. Wie im vergangenen Jahr dominieren zunehmend Unternehmen aus dem privatwirtschaftlichen Bereich wie Zhejiang Huayao Cobalt und der weltweit größte Batteriehersteller CATL mit einer Fabrik in Ungarn, während die anteilig sinkenden Infrastrukturinvestionen weiterhin von staatlichen Unternehmen getragen werden.
+ Im Energiebereich sei es das bislang „grünste“ Halbjahr gewesen. Ein wichtiger Faktor für „this green performance“ sei ein Rückgang in Projekten im Erdgas- und Erdölbereich, der angesichts gestiegener Importe aus Russland allerdings durchaus nicht unumstritten ist. Zur ‚grünen Performance‘ wird aber auch die deutlich gestiegene Ausweitung von Investitionen in Lithium- und Kupferbergbau und -verarbeitung zugeschlagen, die „particularily relevant to the green transition“ sind.
+ die regionalen Schwerpunkte verschieben sich weiter auf den Mittleren Osten (mit Saudi Arabien als Wirtschaftspartner und politischem Kumpan beim Versuch, die Region politisch zu stabilisieren), auf Südamerika (wo gerade mit Bolivien ein wichtigstes Abkommen zum Lithium-Abbau abgeschlossen wurde), und auf Afrika südlich der Sahara, wo versucht wird, verlorenen Boden wieder gut zu machen, etwa durch Vorhaben in Namibia, Eritrea und Tansania, vor allem im Infrastruktur- und Ressourcenbereich. In Südostasien sind die bewährten Partner Indonesien, Pakistan (auch wenn hier aufgrund wirtschaftlicher und politischer Probleme ein starker Rückgang verzeichnet wird), und Kambodscha (siehe weiter unten).
Der Bericht ist zum einen nur eine Momentaufnahme, die einen recht kurzen Zeitraum abdeckt. Er bietet darüber hinaus aber auch zahlreiche Schaubilder, die einen Überblick über die Entwicklungen in den vergangenen zehn Jahren vermitteln.
Ähnlich wie bei kommerziellen Unternehmensberichten ist es allerdings nicht ganz einfach herauszufinden, inwieweit diese Daten und damit Trends in die gewünschte Richtung rosarot ausgemalt sind. Eingeräumt wird, dass sie unvollständig sind und regelmäßige Aktualisierung erfordern. Und wie bei Geschäftsberichten üblich, ist der Ausblick für den Rest des Jahres positiv: „Further rebound of Chinese BRI engagement is possible with a strong focus on BRI country partnerships in renewable energy and related technologies“(3). Dieser Berufsoptimismus zielt in diesem Fall allerdings nicht auf die Anteilseigner ab, sondern auf die mediale und politische Öffentlichkeit.
Nedopil, Christoph (July 2023): China Belt and Road Initiative (BRI) Investment Report 2023 H1 – the first ten years, Green Finance&Development Center, FISF Fudan University, Shanghai
Ups and Downs along the Silk Roads
Hinter der aktuellen geopolitischen Konfrontation treten die Entwicklungen entlang der Seidenstraßen, die ein zentraler Bestandteil der chinesischen Außenwirtschaft und internationalen Politik sind, in den Hintergrund. Der Blick darauf hilft gleichzeitig bei der Einschätzung, wo China mit seiner Positionierung als hegemonialer Konkurrent steht. Deshalb gibt es im Newsletter regelmäßig Hinweise auf besonders aufschlussreiche, kontroverse oder gewichtige Vorhaben. Einen guten Überblick über zahlreiche BRI-Projekte gibt die Datenbank ‚People’s Map of Global China’
Belt&Road in Kambodscha: Groß und teuer
In Politikerreden und Berichten wie aktuell dem BRI Investment Report für das erste Halbjahr 2023 wird Belt&Road neuerdings gerne als ‚small is beautiful’ und als Beitrag gegen den Klimawandel verkauft. Doch es gibt sie noch, die Seidenstraßen aus Stahl, Beton und Asphalt. Ein Beispiel dafür sind die Projekte in Kambodscha, einem der wichtigsten BRI-Länder in Südostasien.
In letzter Zeit wurden mehrere Großprojekte mit einem Umfang von bis zu 30 Milliarden US-Dollar vereinbart, so The Diplomat. Allein in ein riesiges Immobilienprojekt an der Südküste, unweit des kambodschanischen Marinestützpunkts Ream, sollen 16 Milliarden fließen. Geplant sind zudem mehrere Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecken, eine Autobahn, die von der China Road and Bridge Construction (CBRC) gebaut werden soll, und drei neue Flughäfen, einer davon für die Hauptstadt Phnom Penh, ein weiterer im Westen des Landes für Siam Reap mit dem weltberühmten Angkor-Tempel. Die Regierung will Kambodscha bis 2030 in die Kategorie der Länder mit ‚höherem mittlerem Einkommen’ hochpushen.
Beim nördlichen Nachbarland Laos, Binnenland und sehr viel ärmer als Kambodscha, trugen ähnliche Prestige-Projekte, darunter die Bahnverbindung zwischen China und Thailand, dazu bei, zum „praktisch bankrotten Anhängsel Chinas“ zu werden, urteilt The Diplomat (siehe auch den Post: ‚Laos auf dem Weg zur Kolonie?‘). Kambodscha, für das China längst der größte Investor, Handelspartner und staatliche Geldgeber geworden ist, steht etwas besser da: Die offizielle Schuldenrate, das Verhältnis von Krediten in Höhe von zehn Milliarden US-Dollar – an denen China einen Anteil von 43 Prozent hat – zum Bruttosozialprodukt ist mit weniger als 40 Prozent noch solide.
Auch die neuen Projekte werden nicht ausschließlich mit staatlichen chinesischen Geldern, sondern teils von Kambodscha selbst finanziert. Zudem fließt sehr viel privates chinesisches Kapital ins Land, vor allem in große Plantagen, die berüchtigt sind für Landkonflikte und Abholzung, in Immobilien, in den Tourismussektor und in Verarbeitungsindustrien wie Textilfabriken. Die Sihanoukville Special Economic Zone, ein Vorzeigeprojekt von Belt&Road, gilt wirtschaftlich als „eine der erfolgreichsten Sonderwirtschaftszonen“ im Land. Allerdings wird verbreitet über schwerwiegende Verletzungen von Arbeitsrechten berichtet.
Vor der Corona-Pandemie hatte sich Kambodscha von einer Plantagen-Kolonie zu einem wichtigen Ziel für den chinesischen Tourismus weiterentwickelt. Insbesondere der Badeort Sihanoukville boomte mit Hotels, Casinos, Wohnblöcken und chinesischen Geschäften, sehr zum Ärger vieler Einheimischer. Die meisten kommerziellen Aktivitäten, so wird berichtet, seien fest in der Hand chinesischer Geschäftsleute und/oder der Triaden, dem chinesischen Gegenstück zur Mafia. Mieten und Preise wurden in die Höhe getrieben. Doch dann dämpften Corona-Pandemie und harte Quarantäne-Maßnahmen die Geschäfte. Allein in Sihanoukville gibt es angeblich über 1.000 Gebäude zumeist chinesischer Bauträger, die nicht fertiggestellt wurden.
Auch die Entscheidung der Europäischen Union vom August 2020, Kambodscha wegen schwerwiegender Verstöße gegen Menschen- und Arbeitsrechte die Beteiligung an der Initiative Everything But Arms (EBA) zu entziehen, beeinträchtigte vorübergehend die Attraktivität des Standorts: Chinesische Unternehmen hatten viele Jahre die Vergünstigungen für Exporte in die Europäische Union genutzt. Die massiven neuen Investitionspläne signalisieren jetzt, dass auch weiterhin auf den Ausbau der kambodschanischen Wirtschaft gesetzt wird, sowohl von der autoritären Regierung, als auch vom chinesischen Staat und privatem Kapital. Kambodscha könnte sich damit zu einem der attraktivsten Standorte für die weitere Verlagerung chinesischer Verarbeitungsindustrien ins Ausland entwickeln.
Mark Bo, Neil Loughlin, Overlapping Agendas on the Belt and Road: The Case of the Sihanoukville Special Economic Zone, Global China Pulse, Volume 1 / Issue 1 / 2022
Linda Calabrese, Olena Borodyna, Rebecca Nadin, Risks along the Belt and Road: Chinese investment and infrastructure development in Cambodia, ODI Research Report, April 2022
Mark Grimsditch, The Cambodia Conundrum: The Belt and Road, private capital and China’s „non-interference“ policy. Panda Paw Dragon Claw, June 25, 2019
Ciao China: Giorgia Meloni sucht die Ausfahrt
Die Ankündigung der italienischen Regierung, sich aus BRI zurückzuziehen, löst Häme auf der einen Seite, Verärgerung auf der anderen aus. Gelegenheit für diesen Schritt, der auf Druck aus Washington zurückgeht, bietet sich, wenn das Abkommen (Memorandum of Understanding), das 2019 unter Premierminister Giuseppe Conte in einem öffentlichkeitswirksamen Coup in Rom mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping unterzeichnet worden war, im kommenden Jahr erneuert werden muss. Vorher will Premierministerin Giorgia Meloni aber im Herbst erst noch zu einen Staatsbesuch nach China, meldet die South China Morning Post.
Häme, denn die in zahllosen Schlagzeilen gefeierte Nachricht sei für die chinesische Seite „eine erhebliche Schmach“, vermutet Yun Sun, Direktorin des China-Programms beim Stimson Center. Die Vereinbarung mit dem ersten und einzigen G7-Mitglied, eher eine Absichtserklärung als eine bindende Verpflichtung, war damals ein wichtiger Prestige-Gewinn. Dann kam Corona mit all ihren globalen Auswirkungen und Belt&Road wurde abgespeckt. Die Erwartungen auf Investitionen von 2,8 Milliarden US-Dollar in Infrastruktur wie Häfen und auf Exportsteigerungen nach China wurden nicht erfüllt. Contes Nachfolger Mario Draghi, Kurzzeit-Premier und in der Wolle gefärbter Europa-Fan, blockte bereits Technologietransfers nach China und eine Übernahme von italienischen Unternehmen ab. Seine Nachfolgerin Giorgia Meloni beschränkte eine chinesische Beteiligung am ’systemrelevanten‘ Reifenhersteller Pirelli und bekräftigte ihre wohlfeile Unterstützung für Taiwan.
Die – wenn auch verhaltene – Verärgerung auf Seiten Beijings ist andererseits verständlich. Denn die Ankündigung ist ein weiteres und symbolträchtiges Signal, dass das europäische Pendel mit ‚de-risking’ und ‚de-coupling’ gegen Beijing ausschlägt und die europäische Eierei zwischen Beijing und Washington, zwischen China als ‚Partner’ und als ‚Rivale’, eine neue Facette bekommt. So verurteilt Italiens Verteidigungsminister die damalige Entscheidung zum Beitritt als einen „improvisierten und grauenhaften Akt“, wünscht sich aber andererseits, dass ein Rückzug nicht die Beziehungen zu Beijing beschädigt – nach dem Motto: „Wasch mir den Pelz, …!“
„The issue today is: how to walk back [from the BRI] without damaging relations [with Beijing]. Because it is true that China is a competitor, but it is also a partner.“
Italiens Verteidigungsminister Guido Crosetto, in The Guardian, July 31, 2023
Die Ankündigung Roms ist nicht der einzige Rückschlag für Belt&Road in Europa: Die Stadt Duisburg, einst stolzer und profitabler Endpunkt der Bahnverbindung zwischen China und Europa, lockert die Beziehungen. Das unterschriftsreife Investitionsabkommen mit der Europäischen Union (Comprehensive Agreement on Investments, CAI) liegt auf Eis, was in Wirtschaftskreisen durchaus bedauert wird. Und die Plattform Chinas mit ost- und südosteuropäischen Ländern (17+1), die verbreitet als Versuch interpretiert wurde, die Europäische Union zu spalten, liegt anscheinend im Koma. Ukrainekrieg und enttäuschte Erwartungen haben auch dieses Bündnis inzwischen entwertet – nur Ungarn und Serbien, die neben Infrastrukturprojekten auch von neuen Industrieanlagen profitieren, halten Beijing offenbar noch die Treue.
Ohne Frage ist die angekündigte Distanzierung der italienischen Regierung ein Rückschlag für Beijing, möglicherweise sogar ein Schlag ins Gesicht – und das ausgerechnet zum 10jährigen Jubiläum der Belt and Road Initiative . Doch die Verärgerung hält sich vermutlich in Grenzen, denn welches globale Gewicht hat Italien schon? Wenn man dem jüngsten BRI Investment Report des Green Finance&Development Center in Shanghai glaubt, ist Belt&Road nach wie vor ein Erfolgsprogramm, während Europas Global Gateway nicht so richtig vom Fleck kommt. Und Italiens rechts-nationalistische Regierung kann jetzt aus ihrem Bekenntnis zu Europa und den USA gegen den ‚Systemrivalen’ China eine Belohnung ableiten.
Lesehinweise
Seit chinesische Konzerne in Südasien, im Indischen Ozan und rund um Afrika Häfen bauen, modernisieren und dafür Nutzungsrechte erwerben, wird gewarnt, dass dadurch nicht nur Chinas Kontrolle über kritische Infrastruktur gefährlich steigen würde. Sie könnten auch militärisch als Marinestützpunkte genutzt werden. Die Armada chinesischer Kriegsschiffe wächst bedrohlich. Dass die beteiligten Regierungen derartige Absichten dementieren, ist verständlich. Und solange keine Kriegsschiffe und Soldaten permanent stationiert sind, ist die Beweislage auch schwierig.
Auf der Suche nach Chinas Marinestützpunkten
Einen Ansatz, die Lücke zwischen Befürchtungen und bruchstückhaften Fakten und Informationen zu schließen, versucht jetzt eine Studie des AidData-Forschungsprojekts am College of William & Mary in Virginia. Anhand einer Reihe von Indizien soll ein Nachweis geführt werden, wo die größte Wahrscheinlichkeit für zukünftige chinesische Marinebasen besteht.
Folgt die rote Fahne dem Handel?
Dafür wurden 78 internationale Häfen in 46 Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen untersucht, die zwischen 2000 und 2021 von chinesischen Unternehmen gebaut oder erweitert wurden. Eine Grundlage dafür ist die Datensammlung China’s Official Seaport Finance Dataset, 2000-2021, die Informationen über 123 Hafenprojekte auswertet, die offiziell von China mit knapp 30 Milliarden US-Dollar finanziert wurden. Angenommen wird, dass China seine nächsten Go-Steine dort setzen wird, wo es bereits durch frühere Investitionen und Handel Einfluss hat, ähnlich wie bei seinem ersten Auslandsstützpunkt in Djibouti, dessen Handelshafen Doraleh bis 2018 zum Teil von China Merchants Holdings betrieben wurde. Ausgewählt wurden die Länder, wo chinesische Unternehmen die größten Investitionen in Häfen und Hafeninfrastruktur getätigt haben. Diese Häfen wurden dann nach Kriterien wie strategischer Lage, Tiefgang für große Schiffe, politische Stabilität des Landes und dessen Tendenz, in der UN-Generalversammlung mit China zu stimmen, gerankt.
Das Ergebnis: „Hambantota is our top candidate for a future base“ (35). Weitere sieben Aspiranten, „where China might establish naval bases in the next two to five years“ (2), sind Häfen in Äquatorial-Guinea, Pakistan, Kamerun, Kambodscha, Mosambik, Vanuatu und Mauretanien, die meisten eh schon auf der Liste der ‚üblichen Verdächtigen’ wie Hambantota, Gwadar und Ream. Doch selbst wenn sie wie der demnächst fertiggestellte Hafen Ream in Kambodscha als Marinestützpunkt gebaut werden, ist noch längst nicht sicher, ob sie damit auch als Standort für Chinas Flotte in Frage kommen würden. Für eine Stationierung sind Infrastruktur wie entsprechende Kaianlagen, die leicht per Satellit erkundet werden können, Versorgungseinrichtungen und Wassertiefe keine ausreichenden Standortfaktoren. Ebenso wenig Kriterien wie ‚politische Stabilität’ oder Abstimmungsverhalten in den Vereinten Nationen, die bekanntlich starken Schwankungen unterliegen.
Stattdessen spielen innen- und (geo)politische Rahmenbedingungen eine viel wichtigere Rolle, eine Ausweitung chinesischer Standorte zu begrenzen. Denn die potentiellen Standortländer müssen bei einer derart grundlegenden geopolitischen Positionierung auch auf ihre Beziehungen zu anderen regionalen Mächten Rücksicht nehmen. Eine chinesische Basis in Hambantota beispielsweise würde Sri Lankas Beziehungen zum großen Nachbarn Indien schwer belasten und gefährden. Eine derartig einseitige und eindeutige Parteinahme für eine Seite im sich zuspitzenden Wettrüsten würde „restrict (the) latitude, freedom of action, and opportunities in terms of trade, aid, and diplomacy“ (3). Eine Zustimmung werden sie also gründlich abwägen. Dementsprechend räumt die Studie ein: „The Chinese control over its maritime assets remains uncertain“. Und sollte sich dennoch in den kommenden Jahren die eine oder andere Prognose der Studie bestätigen, ist China noch weit entfernt vom Netzwerk der französischen, britischen und US-amerikanischen Marinebasen und Militärstützpunkte in der Region.
Methodisch fragwürdig
Der Ausgangspunkt der Studie, die nicht hinterfragte Hypothese, dass China nach weiteren ausländischen Militärstützpunkten strebt, ist eine Behauptung, die in einem militarisierten geopolitischen Diskurs gezielt geschürt und von Medien begierig aufgenommen wird. Die Daten und Kriterien, mit denen die Studie sie zu untermauern sucht, sind allerdings ziemlich eng, willkürlich und fragwürdig. Die bislang einzige faktenfeste Basis in Djibouti am Roten Meer, die offiziell als Standort für chinesische UN-Truppen in Afrika und die Bekämpfung der Piraterie im Roten Meer dient und Seit’ an Seit’ mit französischen und US-amerikanischen Militärbasen koexistiert, taugt schlecht als Muster. Weder Kriterien wie die Hafen-Infrastruktur noch vage Einschätzungen wie ‚politische Stabilität’ oder Abstimmungsverhalten in den Vereinten Nationen sind solide genug, um darauf weitreichende Aussagen aufzubauen. Dennoch sind derartige Studien natürlich Wasser auf die Mühlen derjenigen, die es immer schon zu wissen glaubten, und tragen dazu bei, das Feindbild China weiter zu reproduzieren.
„Western coalitions should not overreact to news or rumors of China establishing a base here or there.“
Die Studie ist sich dieser Schwäche immerhin bewusst, vermeidet sie doch den Eindruck von Gewissheit und spricht vorsichtig nur vom „Top-Kandidaten Hambantota“, von „potentiellen Basen“, von ‚Vermutungen’. Und sie warnt davor, voreilige Schlüsse für eine weitere Drehung der Eskalationsschraube zu ziehen: „Western coalitions should not overreact to news or rumors of China establishing a base here or there. A headlong rush by a Western country or alliance to establish new bases overseas as a means of counterbalancing might provide exactly the justification or cover China needs to site a naval base of its own“ (3).
Abgesehen von methodischen und politischen Einwänden handelt es sich dennoch um eine interessante, anregende Studie mit einer Fülle von Informationen, die angereichert wird durch Kurzporträts der acht dingfest gemachten verdächtigen Hafenprojekte. Einen Beitrag zur Klärung der Frage, ob und welche Häfen Chinas Armada demnächst besetzen könnte, leistet sie allerdings nicht. Selbst bei ihrer Hitliste der acht Kandidaten bleibt sie weitgehend im Bereich der üblichen Spekulationen. Mit dem gleichen Verfahren könnten auch die Bahnstrecken und Fernstraßen zwischen China und Europa als Planung eines Angriffskriegs interpretiert werden.
Gekürzte Fassung des Blog Posts ‚Und Chinas nächste Marinebasis ist ….’
Alex Wooley, Sheng Zhang, Rory Fedorochko, Sarina Patterson, Harboring Global Ambitions: China’s Ports Footprint and Implications for Future Overseas Naval Bases. AidData at William & Mary. July 25, 2023
AidData 2023, Chinese-financed Port Infrastructure. China’s Official Seaport Finance Dataset, 2000-2021. July 25, 2023
Zitat
„NATO’s Expansion Into Asia Is the Mother of Bad Ideas“
Branko Marcetic, in: Jacobin, July 29, 2023