Newsletter 22/Juli 2023

28. Juli 2023

Inhalt: Deutsche China-Strategie: „Wasch mir den Pelz, …“ +++ Wird Indonesien Chinas Ruhrgebiet? +++ BRI 10 years after: Geringe Feierlaune +++ Mapping global infrastructure +++ Chinesischer Grüngürtel in Zentralasien (und anderswo) +++ Lithium: Claims abstecken in Lateinamerika +++ China’s overseas economic and trade cooperation zones +++ A Guide to Chinese Commercial Banks +++ Zitat: Im Netz der „Einflussoperationen“

Deutsche China-Strategie: „Wasch mir den Pelz, …“

Uwe Hoering, 16. Juli 2023

Der Entwurf der deutschen China-Strategie, der am 13. Juli vorgestellt wurde, laviert zwischen der Forderung, den Gegner Matt zu setzen, und dem Wunsch, die Vorteile einer Kooperation weiter zu nutzen – was Beides auf jeden Fall teuer wird. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat umgehend gefordert, dass der ‚Standort Deutschland’ wieder attraktiver gemacht werden müsse. Und die für den Balanceakt zwischen ‚Risikominderung‘ und ‚Entkopplung‘ umworbenen Partner im Globalen Südens sind überwiegend skeptisch. Zum Beitrag

Wird Indonesien Chinas ‚Ruhrgebiet?’

Uwe Hoering, 20. Juli 2023

Vor drei Jahren stoppte die Regierung Indonesiens die Ausfuhr von unverarbeitetem Nickelerz, das unter anderem für die Herstellung von Batterien für Elektro-Fahrzeuge verwendet wird. Dadurch sollen Investoren gezwungen werden, in die Weiterverarbeitung in Indonesien zu investieren und so die Wirtschaft und die Staatseinnahmen, den Transfer von Technologien und von Qualifikationen anzuschieben. Diese Politik zielt zudem darauf ab, Indonesien zu einem zentralen Akteur bei der Umsetzung der Elektromobilität zu machen. Die bisherigen Importeure, darunter China und die EU, reagieren auf diesen Vorstoß allerdings ganz unterschiedlich. Zum Beitrag

BRI 10 years after: Geringe Feierlaune

Uwe Hoering, 27. Juli 2023

Ganz kommt die chinesische Regierung wohl nicht darum herum, den 10. Jahrestag des Kick Offs der Belt&Road Initiative durch Staats- und Parteichef Xi Jinping 2013 in Kasachstan und Indonesien zu würdigen. Lange blieb es unklar, wie diese Würdigung ausfallen würde, jetzt mehren sich die Anzeichen, dass es vielleicht ein 3. Belt&Road Forum for International Cooperation im Herbst geben könnte. Doch falls das trotz des inzwischen knappen zeitlichen Vorlaufs stattfinden würde, wird es wohl schwierig, den Auftrieb von Delegationen wie bei den ersten beiden Treffen zu toppen. Denn die Zeiten für Belt&Road haben sich geändert. Zum Beitrag

Mapping Global Infrastructure

Der Überblick über Belt&Road und andere große regionale und teils konkurrierende Infrastrukturprogramme wie den Master Plan on Asean Connectivity 2025 in Südostasien ist aufgrund unsicherer Datenlage und sich ändernder Pläne nicht ganz einfach. Unter dem irreführenden Titel „How China is looking beyond borders“ legte die South China Morning Post eine Sammlung von Landkarten der bestehenden und geplanten Infrastrukturnetze der Neuen Seidenstraßen, von Transportnetzen in Europa und regionalen Planungen anderer Akteure wie Iran und Indien vor, ergänzt um weitere Schaubilder über die Schuldenbelastung für einzelne Länder und über die öffentliche Meinung zu Belt&Road.

Diese anschauliche, knappe Darstellung benötigt allerdings einen zweifachen Warnhinweis: Erstens gilt die in Hongkong erscheinende Tageszeitung spätestens seit der Niederschlagung der Demokratiebewegung als Sprachrohr für Beijings ‚soft policy’, vermeidet also sensible kritische Themen und malt Chinas Auslandsengagement gerne in rosa Farben. Zum zweiten datiert die Übersicht vom April 2019. Es handelt sich also um einen wohlwollenden historischen Snapshot.

Einen ähnlichen Überblick wie die Infomaps der South China Morning Post hat Reconnecting Asia des Center for Strategic & International Studies (CSIS) mit „Competing visions“ aufbereitet, darunter die Netze in den ASEAN-Ländern, in Europa, Indien, Iran, Russland und der Türkei. Die Datierung ist allerdings nicht ganz klar.

Ups and Downs along the Silk Roads

Chinesischer Grüngürtel in Zentralasien (und anderswo)

„Enttäuscht“ soll sich Minister Robert Habeck nach dem G20-Energiegipfel am 22. Juli im indischen Goa darüber gezeigt haben, dass eine Erklärung zum beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien keinen Konsens fand. Als „destruktive“ Bremser auf der Fahrt in eine grüne Zukunft machte ntv.de die ‚üblichen Verdächtigen’ aus: China, Saudi-Arabien und Russland. Doch die Realität sieht differenzierter aus: Zumindest Chinas Beschleunigungsprogramm für ‚grüne Energie’ kommt anscheinend voran.

Längst dominieren chinesische Konzerne den Markt für grüne Energietechnologien. Nach Angaben von Business&Technology hat China bislang 546 Milliarden US-Dollar in Solar- und Windenergie, Elektrofahrzeuge und Batterien investiert, annähernd viermal mehr als die Vereinigten Staaten. Und die Industrie expandiert weltweit, begünstigt durch ihre Wettbewerbsvorteile und durch die Energiekrise.

Neben zahlreichen Ländern in Afrika und Lateinamerika, wo chinesische Unternehmen reihenweise Abkommen über den Ausbau von Windparks und Solaranlagen abschließen, ist Zentralasien eine Schwerpunktregion. Beim China Central Asia Summit Mitte Mai, der als geopolitischer Coup Beijings gedeutet wurde, spielte der Ausbau erneuerbarer Energien eine zentrale Rolle. Während Länder wie Kasachstan und Usbekistan ihre Gasexporte, unter anderem nach China, drosseln, setzen sie stattdessen auf Sonne und Wind, und wollen dafür auch die eigene Produktion von Windrädern ausbauen. Und sie setzen auf den Stromexport nach China, das wiederholt erklärt hat, aus fossilen Energien, besonders aus Kohle, schrittweise auszusteigen. Ergo: Bilaterale Maßnahmen, selbst wenn dabei harte wirtschaftliche und politische Interessen im Spiel sind, sind allemal besser als schöne, aber hohle Gipfel-Abkommen.

Flankiert werden die chinesischen Investitionen und Lieferungen durch die Global Energy Interconnection-Strategie von 2015, die den Ausbau und die Modernisierung der grenzüberschreitenden Stromnetze vorantreiben soll. So balancieren Chinas Nachbarländer zwischen Bestrebungen, die eigene wirtschaftliche Entwicklung voranzubringen, und einer drohenden verstärkten Abhängigkeit. Ein Übergang von fossilen zu grünen Energien in Zentralasien kaschiert zudem einen tieferliegenden geopolitischen Konflikt zwischen Russland und China: Der Ausbau der grünen Energiewirtschaft könnte Russlands Einfluss als wichtiger Energielieferant in der Region weiter schmälern.

Yunis Sharifli, Eclipsing Russia: China’s green energy expansion into Central Asia, Business&Technology, July 18, 2023

Kirsten Westphal, Maria Pastukhova and Jacopo Maria Pepe, Geopolitics of Electricity: Grids, Space and Political Power. SWP Research paper 6, March 2022. (doi:10.18449/2022RP06)

Lithium: Claims abstecken in Lateinamerika

Der Konkurrenzkampf der industrialisierten Ländern um den Zugang zu Ressourcen, die für einen neuerlichen Wirtschaftsschub durch erneuerbare Energien und Elektromobilität notwendig sind, beherrscht längst die Schlagzeilen. Bei Lithium, das vor allem im Dreiländereck von Bolivien, Argentinien und Chile gewonnen wird, aber auch in China, Australien und den USA abgebaut wird, hat China jetzt anscheinend einen Coup gelandet: Wie The Diplomat berichtet, wollen chinesische Konzerne wie CATL und CMOC (CBC) mit der staatlichen bolivianischen Gesellschaft Yacimientos de Litio Bolivianos (YLB) gemeinsam neue Lagerstätten von Lithium erkunden. In einem Dreierpakt mit Russland wurde ein Abkommen unterzeichnet, zwei Verarbeitungsbetriebe für Lithium beim Uyuni-Salzsee zu errichten, wo CBC bereits Betriebe hat. Anfang November 2019 war ein deutsch-bolivianisches Gemeinschaftsprojekt zur Förderung und Verarbeitung von Lithium in Bolivien zwischen ACI Systems GmbH und YLB überraschend geplatzt.

Anscheinend sind die USA so besorgt über Chinas wachsenden Einfluss in Bolivien, das nicht nur über große Lagerstätten von Lithium, sondern auch von Zink, Kobalt, Silber und Gold verfügt, dass sie im April die Kommandeurin des Southern Command der US-Armee, Laura Richardson, nach Bolivien schickten, um „to express her interest and concerns regarding the country’s relationship with China and Russia.“, so The Diplomat.

Joseph Bouchard, China Begins Lithium Extraction, Increases Mining Investment in Bolivia. In: The Diplomat, July 12, 2023

Lesehinweise

China’s overseas economic and trade cooperation zones

Belt&Road wird verbreitet als Eroberung der Welt durch Infrastruktur verstanden, sprich: durch Bahnstrecken, Autobahnen und Pipelines. Aus dem Blick gerät, dass damit auch die Grundstrukturen und für eine Diversifizierung nationaler Industrien und damit für Arbeitsplätze einheimische Versorgung geschaffen werden, von denen sich westliche Entwicklungskonzepte längst verabschiedet haben. Ohne Frage geht diese Entwicklung auch mit gravierenden Problemen einher, insbesondere was Umweltschutz und Arbeits- und Gewerkschaftsrechte betrifft. Aber sie können auch die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern, indem sie eine Industrialisierung und die Entstehung einer Arbeiterklasse vorantreiben. Häufig sind es die Beschäftigten in diesen Unternehmen, die die Proteste gegen chinesische Investoren tragen, wie beispielsweise in Indonesien. Geopolitisch können sie die Verhandlungsposition der Länder des Globalen Südens stärken, indem sie die Abhängigkeit von wenigen Exportprodukten und Abnehmerländern verringern.

Die Studie von Maria Adele Carrai, veröffentlicht von der Hinrich Foundation, versucht, Auswirkungen dieser Entwicklung am Beispiel der Wirtschaftszonen zu erfassen, deren Entstehung die chinesische Außenwirtschaftspolitik in letzter Zeit verstärkt vorantreibt und die für Chinas eigene Industrialisierungserfolge ein wesentliches Instrument waren und sind: Die Weltbank schätzt, dass „in recent years, it is estimated that they have accounted for 22% of national GDP, 46% of FDI, 60% of exports, and generated in excess of 30 million jobs“. Die Frage ist, ob sie in Belt&Road-Ländern ähnliche Erfolge haben können.

Carrai analysiert einige der inzwischen 20 Wirtschaftszonen, die von Chinas Handelsministerium direkt gefördert werden, hinsichtlich Status, Perspektiven und Auswirkungen auf die jeweiligen Länder. „Under the Belt and Road Initiative, China has developed overseas economic and trade cooperation zones (COCZs) with the stated aim of promoting economic growth and international collaboration. They have become an integral part of China’s Go Global policy, initiated in 1999, and more recently of the country’s Belt and Road Initiative (BRI).“ Sie würden die Bemühungen Chinas spiegeln, „to secure advantageous trading conditions for its businesses abroad, create a safer environment for its economic development, and cultivate its soft power.“  Ähnlich wie bei bisherigen Sonderwirtschaftszonen, die bereits seit vielen Jahren von internationalen Entwicklungsorganisationen wie der Weltbank empfohlen werden, sei allerdings „the actual performance of these zones still under debate—specifically their impact on the host countries’ investments, trade, sustainability, and integration in the global supply chain.“ Zudem würden „concerns over labor rights violations, environmental degradation, loan dependence, land acquisitions, and transparency obscure the positive influence COCZs have on local employment and revenue generation.“

Maria Adele Carrai, China’s overseas economic and trade cooperation zones. Published by Hinrich Foundation, June 6, 2023

Who is Who?
Chinese Commercial Banks: An NGO Guide

Anders als Chinas Entwicklungsbanken wie die Central Bank of China oder die Exim Bank, die in staatlichen Programmen beispielsweise im Rahmen von Belt&Road involviert sind, stehen chinesische Geschäftsbanken weniger im Fokus der Öffentlichkeit. Dabei spielen sie eine wichtige Rolle – und sie spüren die wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Risiken stärker als die staatlich gestützten Finanzinstitute. Einen Überblick legte jetzt die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald vor:

„Chinese commercial banks are becoming an increasingly prominent source of funding for companies and projects in and outside China. Like their international peers, the Chinese commercial banks provide large sums to companies and projects that carry clear or potential environmental and social risks. For example, Chinese banks provided USD 749 billion in loans and underwriting services to the global coal industry from January 2019 to November 2021. This figure makes China the largest source of funding for the coal industry in the world.“

„Civil society organisations around the world are becoming more aware of the role Chinese banks play in financing companies and projects that can cause human and environmental harm. This report was produced to help interested communities and civil society organisations to better understand the commercial banking sector in China, including how major Chinese commercial banks operate and how they are regulated. The report also provides some entry points for organisations seeking engagement with the Chinese commercial banks. To this end, we provide an overview of recent and future developments in China’s policies on climate and energy, as well as the evolving sustainability requirements for the commercial banking sector.“

Beibei Yin, Who is Who No3 – Chinese Commercial Banks: An NGO Guide, herausgegeben von urgewald, January 2023

Zitat:
Im Netz der „Einflussoperationen“

„Deutsche Medien sehen vielerorts chinesische „Einflussoperationen“ am Werk. Viele fürchten eine Unterwanderung unserer Demokratie durch die Volksrepublik; die Chancen einer konstruktiven Zusammenarbeit treten zunehmend in den Hintergrund, ihre Fürsprecher werden diffamiert.“

Michael Schumann, Vorsitzender der China-Brücke und Vorstandschef des Bundesverbandes für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA). China.Table, Standpunkt, 15. Juni 2023

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