Etikettenschwindel »Global Gateway«

China, Geopolitik und der Globale Süden

Gastbeitrag von Andreas Bohne, 24.Oktober 2023

Am 25 und 26. Oktober 2023 findet in Brüssel das »Global Gateway Forum 2023« statt. Unter dem austauschbaren Slogan »Stronger Together through Sustainable Investment« treffen sich nach Ankündigungen 20 Staats- und Regierungschefs. Das Treffen findet in einer Phase statt, in der »Global Gateway«, oft übersetzt als »Tor zur Welt«, zwar als Schlagwort der EU-Kommission übermäßig präsent erscheint, dessen Bilanz nach fast zwei Jahren jedoch dürftig ausfällt: wenige Projekte, geringe Transparenz, verfehlter Ansatz.

Im Februar 2022 hatte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, auf dem sechsten EU-Afrika-Gipfel das erste Projekt von »Global Gateway« präsentiert. Es handelte sich um eine Investitionszusage über 1,6 Milliarden Euro zur grünen Energieerzeugung in Marokko. Damit wurden auch die Schwerpunkte der drei Monate zuvor verkündeten Strategie deutlich: der Fokus auf Afrika, infrastrukturelle Vorhaben und Energieprojekte.

»Global Gateway« soll insbesondere die »Investitionslücke« bei großräumiger und globaler Infrastruktur schließen. Dafür sollen bis 2027 bis zu 300 Milliarden Euro, die Hälfte davon für Afrika, für die Bereiche Energie, Transport, Digitales, Gesundheit, Bildung und Forschung mobilisiert werden. Angesichts der immer wieder postulierten Bedeutung der Initiative mag man sich ob der schleppenden Umsetzung verwundert die Augen reiben. So gab es lange Zeit nur farbige Dokumente mit blumigen Worten. Erst im März 2023 wurden 87 Leuchtturmprojekte veröffentlicht. Auch im Spätsommer 2023, mehr als anderthalb Jahre nach dem offiziellen Start, arbeiten immer noch nicht alle Gremien an der Umsetzung, manche sind noch nicht einmal besetzt, wie die »Business Advisory Group«.

»Global Gateway» zeichnet sich außerdem durch geringe Transparenz sowie das Fehlen von Zielvorgaben oder Indikatoren aus. So heißt es in einer Pressemitteilung Mitte Dezember 2022, dass für die Regionen Subsahara-Afrika, Lateinamerika und Asien-Pazifik »40 Projektpipelines von europäischen Finanzinstitutionen« vorliegen würden. Doch die Anbahnung, Auswahl und Basis für die Entscheidung über die Vorhaben sind nicht nachvollziehbar.

Ein globales Gegenprojekt

Mit dieser Strategie verfolgt die EU einen geopolitischen, geoökonomischen und geostrategischen Ansatz, in einer Pressemitteilung vom Dezember 2022 wird unumwunden von einer »Förderung europäischer Interessen« gesprochen. Aus Sicht der EU ist »Global Gateway« ein Angebot, das mit den Interessen der Partnerländer abgestimmt werden soll. Mit den angekündigten strategischen Investitionen in Bereichen wie Digitalisierung, Klima und Energie, Verkehr, Gesundheit, Bildung und Forschung priorisiert die EU jedoch ihre eigenen Interessen und Regeln –die afrikanischen Länder können darauf dann mit eigenen Angeboten reagieren. Dem oftmals angekündigten Wandel, weg von einem »gebergesteuerten Ansatz«, hin zu einem »partnerschaftlichen Verhältnis«, wird auf diese Weise kaum Rechnung getragen.

Offensiv wird »Global Gateway» als Gegenprojekt zur chinesischen »Belt and Road Initiative» (BRI) dargestellt – auch das jetzige »Global Gateway Forum« findet sicherlich nicht zufällig zeitnah zum zehnjährigem Jubiläumsgipfel von BRI statt. Mit dieser »Neuen Seidenstraße« forciert die chinesische Regierung ihre großen Investitionsprojekte in die afrikanische Infrastruktur. Die EU wirbt vor allem damit, dass sich ihre Finanzierungsangebote von anderen Gebern unterscheiden, weil sie das Überschuldungsrisiko für die afrikanischen Länder minimieren – eine rhetorische Abgrenzung zum chinesischen Engagement, dem immer wieder eine intransparente Praxis bis hin zur Verschuldung vieler afrikanischer Staaten vorgeworfen wird. Wie jedoch die eigenen Kreditbedingungen einzelner Projekte im Rahmen von »Global Gateway« aussehen, ist bisher unklar und öffentlich nicht kommuniziert.

Eine Reduzierung von »Global Gateway« auf seine Rolle als Gegenstück zur BRI greift allerdings zu kurz. Denn »Global Gateway« reagiert auch auf die US-amerikanische Initiative »Build Back Better World» (B3W). Diese Konkurrenz wird jedoch selten erwähnt, da es hier nur um einen »wertebasierten Wettbewerb« mit den USA geht, bei “Global Gateway“ dagegen um die Konkurrenz mit dem »systemischen Rivalen« China. Was sie gemeinsam haben, ist die Fokussierung beziehungsweise genauer die weitgehende Reduzierung auf Infrastrukturprojekte und Verkehrskorridore (Link auf GTAI-Seite: Verkehrskorridore in Afrika).

Europäischer «Green New Deal» als Zielstellung

Von den 87 vorgeschlagenen Leuchtturmprojekten befinden sich 43 in Afrika. Wie die Auflistung auf der offiziellen Projektwebsite zeigt, werden Vorhaben in den Bereichen Klima und Energie (19) sowie physischer Infrastruktur (15 Transport, 6 Digital) priorisiert. In beiden Bereiche geht es derzeit um die Anbahnung und Umsetzung von lokalen Plänen, doch mit sichtbarer Ausrichtung auf europäische Interessen – so zum Beispiel der Ausbau und die Modernisierung der Hafenstruktur von Pointe-Noire (Republik Kongo) oder der Ausbau und die Sanierung des Hafens von Banjul (Gambia): Es geht um den Weitertransport von Rohstoffen durch strategische Korridore und ein »ports race«, eine Konkurrenz um logistische und finanzielle Beteiligung an Häfen, die gegenwärtig in vielen afrikanischen Ländern zu beobachten ist.

In einer im September 2022 veröffentlichten Studie haben Forscher*innen für die EU »elf vorrangige strategische Korridore in Afrika» identifiziert, die ganz offen «Korridore für mineralische Ressourcen» genannt werden. Die Minen und Rohstoffe wie unter anderem Bauxit, Gold und Platin, die in diesen Regionen liegen, werden gleich mitgeliefert. Auf dieser Basis wird zur Tat geschritten: Im März 2023 sagte die EU im Rahmen von »Global Gateway« 50 Millionen Euro für den Bergbausektor und Infrastrukturprojekte in der Demokratischen Republik Kongo zu. Auch wenn noch keine Einzelheiten zu den Investitionen vorliegen, wie eine Studie kürzlich betonte, lässt sich die strategische Interessenlage der EU bereits identifizieren.

Durch den Fokus auf Infrastruktur greift «Global Gateway» nicht länger auf die in europäischen Papieren immer wieder propagierte Zielstellung einer Industrialisierung Afrikas zurück. Stattdessen wird afrikanische Infrastruktur in den Dienst des europäischen »Green New Deal« gestellt. Besonders deutlich wird dies bei der Energieerzeugung. Neben dem erwähnten Projekt mit Marokko hat die EU 2022 eine Partnerschaft für Grünen Wasserstoff und kritische Rohstoffe mit Namibia unterzeichnet, die sie »als eine der Schlüsselinitiativen der Global-Gateway-Strategie« bezeichnet. Neben der EU und der niederländischen Regierung ist Deutschland eine der treibenden Kräfte des Projekts. Insbesondere seit das deutsche Konsortium Hyphen den Zuschlag erhielt, befindet es sich in einer beschleunigten Planungs- und Umsetzungsphase. Das Projekt mit einem Investitionsvolumen von 9,4 Milliarden US-Dollar umfasst Produktion, Verarbeitung und Verschiffung – und das in der ökologisch sensiblen Region des Tsau-‖Khaeb-Nationalparks. Zivilgesellschaftliche Organisationen verweisen auf ökologische und wirtschaftliche Risiken und hinterfragen die hochtrabenden Versprechungen neuer Arbeitsplätze. Auch dass die erneuerbare Energie überwiegend nach Europa exportiert werden soll und daher kaum zur klimaneutralen Stromversorgung in den Produktionsländern selbst beitragen wird, bleibt in den offiziellen Verlautbarungen meist unerwähnt.

Finanzierungsfalle «Global Gateway»

Man kann sich des Eindrucks nicht entziehen, dass alle größeren Projekte mit EU-Beteiligung das Etikett »Global Gateway« erhalten, selbst wenn sie bereits vor 2021 geplant wurden. So findet sich die bereits im November 2021 zwischen Südafrika, Frankreich, Deutschland, dem Vereinigten Königreich und den USA vereinbarte »Just Energy Transition Partnership« (JETP) im Projektportfolio. Durch diese Partnerschaft sollen die Emissionen im südafrikanischen Energiesektor reduziert und der Kohleausstieg beschleunigt werden. Dazu zählen auch die mit deutscher Unterstützung durchgeführten Projekte in Tunesien (Verlegung eines Unterseekabels zwischen Italien und Tunesien) oder übergreifende Projekte zu »Daten-Governance in Afrika«. Beide Investitionen finden sich auch unter den Global-Gateway-Leuchtturmprojekten. Man reibt sich verwundert die Augen und fragt: Wo bleibt das Neue?

Mit »Sustainable Investment« wird das Forum in Brüssel überschrieben. Aber was sich hinter diesem Schlagwort verbirgt, scheint fraglich. Und auch »Global Gateway« mit seiner Ausrichtung auf Finanzierungshilfen und Kredite, wie beispielsweise aus Deutschland im Rahmen der JETP mit Südafrika oder anderer Megaprojekte wie etwa zur Wasserstoffproduktion in Namibia, ist finanziell keineswegs risikolos für die »Empfängerländer«. Zu welchen Konditionen die Finanzierungshilfen vergeben und wie die Finanzierungen ausgestaltet werden – dazu liegen gegenwärtig kaum oder nur schwer zugängliche Informationen vor.

Scheitern mit Ansage

Fast zwei Jahre nach der Ankündigung ist »Global Gateway« von seinem Anspruch, eine strukturpolitische Transformation anzustoßen, weit entfernt. Mit ihrer Initiative will die EU vor allem neue Märkte für das europäische Kapital erschließen – wie auch von der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) anerkannt wird. Doch so, wie »Global Gateway« ausgerichtet ist, wird das asymmetrische Verhältnis zwischen Europa und Afrika weiter reproduziert. Kohärente Strategien zur Armutsbekämpfung durch eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung fehlen. Die EU hängt noch immer dem Gedanken an, dass durch Investitionen in Verkehrs- und Infrastrukturprojekte auch Handels- und Wertschöpfungsketten beziehungsweise Produktionsnetzwerke (und somit Arbeitsplätze) geschaffen würden. Und wie schon seit Jahrzehnten konterkariert die EU ihre eigene Politik, wenn sie den jüngsten Abschluss des »Wirtschaftspartnerschaftsabkommens« zwischen der EU und Kenia als Erfolg von »Global Gateway« deklariert und zugleich vollmundig betont, dass dieses auch anderen Staaten der Ostafrikanischen Gemeinschaft offenstehe – obwohl das Abkommen von der kenianischen Zivilgesellschaft aufgrund der erwarteten negativen Auswirkungen scharf kritisiert wird.

»Global Gateway« folgt bestehenden Initiativen wie dem »Compact with Africa«», der während der deutschen G7-Präsidentschaft 2017 installiert wurde – und dessen Wirkungen ebenfalls unklar sind. Seit der Jahrtausendwende fokussierten die europäischen Bestrebungen zunächst fast ausschließlich auf Handelsliberalisierung – Stichwort Wirtschaftspartnerschaftsabkommen –, die mit einer deutlich artikulierten Gegenwehr afrikanischer Regierungen, Zivilgesellschaften und Gewerkschaften einherging. In den jetzigen EU-Initiativen finden sich hingegen kaum noch Anhaltspunkte für Freihandelsverträge. Diese werden inzwischen bilateral vereinbart, wie das oben erwähnte Beispiel Kenia zeigt. Mit »Global Gateway«, so scheint es, will die EU dem Widerstand Wind aus den Segeln nehmen.

Aber «Global Gateway» ist eine Chimäre. Was als neue Flaggschiff-Strategie, als »EU-Konnektivitätsstrategie« und Paradigmenwechsel der EU hochgejubelt wird, führt im Wesentlichen lediglich Ansätze und Projekte der letzten Jahre fort. Die Finanzierung relevanter Infrastrukturprojekte wie Eisenbahnen, Digitalisierung und vor allem Investitionen in erneuerbare Energien ist zweifellos notwendig. Doch ohne eine Flankierung durch weitere Maßnahmen wie Entschuldungsinitiativen oder eine CO2-Steuer auf den Handel mit fossilen Brennstoffen bleiben diese Versuche in der Logik einer neoliberal ausgerichteten Politik gefangen.

Andreas Bohne ist Referatsleiter Afrika bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Gekürzte und aktualisierte Fassung des Textes Etikettenschwindel ‚Global Gateway’, zuerst erschienen auf der Website der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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