China, Geopolitik und der Globale Süden
Uwe Hoering, 14. Dezember 2021
Mit der ‚Dual Circulation Strategy’ (DCS) hat die Regierung in Beijing mal wieder einen Stein ins Wasser geworfen, um zu testen, welche Kreise die Ankündigung zieht. Allerdings ist es nach einigen wegen kritischen Artikeln in der internationalen Diskussion überraschend still geblieben. Dabei könnten die Überlegungen weitreichende Auswirkungen auf die weitere Globalisierung und Chinas führende Rolle darin haben.
Im Mai 2020 verkündete Präsident Xi Jinping höchstpersönlich ein „neues Entwicklungsmodell“, die ‚Duale Kreislauf-Strategie’ (South China Morning Post, November 11, 2020). Die Bedeutung wurde zusätzlich dadurch unterstrichen, dass ihr im 14. Fünfjahresplan (2021-2025) ein eigenes Kapitel gewidmet ist.
Was ist DCS?
Der ‚duale Kreislauf’ bedeutet eine Integration und engere Koordination der nationalen und globalen Wirtschaftspolitik – eine globalisierte Version des ‚Walking on two legs’, mit dem unter Mao Zedong die gleichzeitige Entwicklung von Landwirtschaft und Schwerindustrie bezeichnet wurde.
Der ‚innere Kreislauf’ soll die Binnennachfrage ausweiten und die Entwicklung von Technologie und Modernisierung beschleunigen. Dadurch soll die starke Abhängigkeit von den USA und anderen ‚feindlichen Kräften’ im Außenhandel und bei Technologie und Knowhow verringert werden.
Dabei geht es keineswegs um Autarkie oder Self-reliance, also um weitgehende Selbständigkeit oder gar Eigenständigkeit und eine konsequente Abkopplung (‚Decoupling’), denn die zweite, die ‚externe Zirkulation’ betrifft eine eher intensivierte Verzahnung mit den globalen Märkten. Einen besonderen Stellenwert nimmt dabei Belt&Road ein, die bereits als ‚Spatial Fix’ (Harvey) für binnenwirtschaftliche Probleme der chinesischen Ökonomie wie Akkumulationskrise, Überkapazitäten in Schlüsselbereichen der Wirtschaft und sinkenden Profitraten angelegt war: Die Ausweitung von Absatzmärkten und Investitionsmöglichkeiten, die Verlagerung lohnintensiver oder umweltschädlicher Industrien in Billiglohnländer entlang Belt&Road und die Sicherung der Versorgung mit Rohstoffen, vor allem im Energie- und Agrarsektor – eine durch China geprägte Globalisierung, wenn man so will.
Exit ‚Werkbank der Welt’
Die DCS ist damit eine weitere Antwort auf wachsende wirtschaftliche und finanzielle Risiken und damit für die politische Stabilität. Sie bedeutet die endgültige Abkehr von der bisherigen exportorientierten Wachstumsstrategie. Damit profitierte China zwar als ‚Werbank der Welt’, geriet aber auch wie andere Schwellenländer durch steigende Löhne, den Verlust von Exportmärkten und weiterer Wachstumsdynamik in die ‚Middle income trap’.
Die neue Strategie stützt zudem die industrielle Modernisierungsstrategie ‚Made in China 2025’, in der Sektoren wie Künstliche Intelligenz, Luft- und Raumfahrt, ‚grüne’ Technologien und Medizintechnik vorrangig ausgebaut werden sollen, und die sogenannte Digitale Seidenstraße, die die logistische Infrastruktur für die Außenwirtschaft verbessert.
Eine derartige stärkere Gestaltung der Außenwirtschaft nach den eigenen Interessen stellt damit eine eigene Variante eines wirtschaftlichen Nationalismus dar – allerdings nicht so protektionistisch wie die Wirtschaftspolitik der USA, sondern eher expansiv. Sie bedeutet eine selektivere Ausweitung von Auslandsinvestitionen und weniger Importe vor allem aus Industrieländern. Ultimative Ziele bleiben ein wenn auch ‚normalisiertes’ Wirtschaftswachstum und Profitsteigerung, um den versprochenen ‚Gemeinsamen Wohlstand‘ und damit die innenpolitische Legitimation und Stabilität zu sichern.
Widersprüche
Ein spektakulärer Schritt, um die Binnenmarktnachfrage anzukurbeln, ist die Aufforderung an einheimische Konzerne zu verstärkter Wohltätigkeit. Eine derartige Umverteilung von Profiten ist allerdings nur eine kurzfristige Maßnahme, um Kaufkraft zu steigern und das hohe Maß an Ungleichheit zu verringern, das durchaus soziales Konfliktpotential beinhaltet.
Grundlegendere Maßnahmen zur Umverteilung von Einkommen und Reichtum vom privaten Sektor wie höhere Löhne, den Ausbau sozialer Sicherung und die Einbeziehung von Bevölkerungsgruppen wie der ländlichen Bevölkerung oder den ArbeitsmigrantInnen, die bislang vom wirtschaftlichen Wohlstand noch weitgehend ausgeschlossenen sind, sind weitaus schwieriger umzusetzen. Zudem dürfen sie nicht die Dynamik der chinesischen Wirtschaft gefährden.
Außenwirtschaftlich werden eine Reihe von Belt&Road-Länder mit diesem ‚Entwicklungsmodell’ als Rohstofflieferanten festgeschrieben. Das gilt nicht nur für fossile Energieträger wie Erdöl und Erdgas, sondern vor allem auch für strategische Rohstoffe für die Modernisierung der Industrie, bei denen China vielfach auf Importe angewiesen ist. Chinesische Konzerne scheinen auf diese Situation mit einer Einkaufstour bei Energie- und Bergbauunternehmen zu reagieren. Noch geringer sind die Aussichten, sich bei Agrarprodukten, die eine zentrale Bedeutung für Chinas Ernährungssicherheit haben, von ausländischer Landwirtschaft unabhängiger zu machen.
Perspektiven
Optimisten können in der Dualen Kreislauf-Strategie durchaus neue Chancen zumindest für einige B&R-Länder sehen: Einen Industrialisierungsschub durch weiteren Infrastrukturausbau, Verlagerungsinvestitionen und verbesserten Marktzugang nach China für Verarbeitungsprodukte und wichtige Rohstoffe und damit eine Perspektive, an Chinas weiterem Wohlstand zu partizipieren.
Pessimistisch betrachtet zeichnet sich hier aber auch ein geradezu imperiales Szenario ab: Die Sicherung der Binnenwirtschaft, eine Steigerung des Konsums und die Stärkung gegenüber der Konkurrenz USA wird durch wachsende Ausbeutung von Natur und Menschen in anderen Ländern erreicht. Dieses ‚neue Entwicklungsmodell’ für China wird zudem immer abhängiger von der innenpolitischen Stabilität in den Belt&Road-Ländern und damit von Interventionen durch Beijing, sei es politisch durch die Stärkung genehmer Regierungen, sei es durch Sicherheitskräfte gegen Angriffe auf chinesische Investitionen und Staatsbürger. Der ‚Duale Kreislauf’ könnte so zum Strudel werden.