Myanmar: Chinesische Zwickmühlen

China, Geopolitik und der Globale Süden

Uwe Hoering, 25. Januar 2022

Ein Jahr nach dem Putsch in Myanmar wächst die Brutalität des Militärregimes, aber auch der bewaffnete Widerstand. Und auch die zivilen Proteste dauern nach wie vor an. Für Beijing wird die Situation immer ungemütlicher: Kommentare und Einschätzungen zum Jahrestag zeigen, dass der Gordische Knoten eher noch verworrener geworden ist.

Nach wie vor laviert die chinesische Regierung. Sie hat eine eindeutige Verurteilung des Putsches und die Anerkennung der Regierung der Nationalen Einheit (NUG), die im Untergrund arbeitet, vermieden. Gleichzeitig hält sie ihre Beziehungen zur Nationalen Liga für Demokratie von Aung San Suu Kyi, die sie in den vergangenen zehn Jahren sorgfältig gepflegt hat, aufrecht. Unter anderem wurde die NLD von der Kommunistischen Partei Chinas zu einem Treffen asiatischer Parteien eingeladen. Beijings nächster Zug wird davon abhängen, welche Seite bessere Aussichten auf Stabilität verspricht. Aber eine Positionierung wird auch durch widerstreitende wirtschaftliche und regional-politische Interessen erschwert.

Wirtschaftliche Verstrickungen

Neben der innenpolitischen befindet sich Beijing in einer wirtschaftlichen Zwickmühle. In Myanmar stehen erhebliche wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel:

  • Die strategische Bedeutung des Tiefseehafens Kyaukphuy am Indischen Ozean und der Pipelines, die Südwestchina mit Erdöl und Erdgas versorgen, ist angesichts der Machtkämpfe in Kasachstan eher noch gestiegen.
  • Chinesische Unternehmen, darunter viele staatlich kontrollierte Konzerne, sind die größten Akteure im Bergbausektor und arbeiten teils eng mit Unternehmen des Militärs zusammen.
  • Mehr als die Hälfte der Textilfabriken haben chinesische Besitzer. Textilien machen 30 Prozent der Exporte Myanmars aus, 60 Prozent davon gehen nach Europa.
  • Die chinesische Community, die nicht sonderlich beliebt ist, kontrolliert erhebliche Teile der legalen und illegalen Wirtschaft.

Die intensivierten Kämpfe der Tatmadaw, der myanmarischen Armee, mit bewaffneten Organisationen mehrerer Volksgruppen und die Repression gegen die Zivilbevölkerung gefährden die chinesischen Milliarden-Investitionen und den bilateralen Handel. Als wichtigste wirtschaftliche Stütze des Regimes steht Beijing international in der Kritik. Das bislang nicht aufgeklärte Abfackeln von Textilfabriken kurz nach dem Putsch und Drohungen gegen die Pipelines sind Warnsignale, auf die die chinesische Seite mit Forderungen nach besserem Schutz und Sicherheit durch das Regime antwortet. Doch während sich Unternehmen aus anderen asiatischen Ländern bereits aus Myanmar zurückgezogen haben, ihren Rückzug angekündigt haben wie die Energiekonzerne Total und Chevron oder eine abwartende Haltung einnehmen, spielt Beijing auch hier auf Zeit. 

Werben um Beijing

In einigen Bereichen zeigen sich vorsichtige Absetzbewegungen. Grenzübergänge mit Myanmar wurden im Sommer geschlossen, begründet mit der Corona-Pandemie. Die Exportverluste für Myanmar gehen in die Millionen. In der Textilindustrie zeichnen sich Verlagerungen in Nachbarländer ab. Dagegen läuft der Betrieb im Bergbau vorerst normal weiter, wie lokale Beobachter berichten. Ein Rückzug chinesischer Investoren aus dem Bergbau, den Menschenrechtsgruppen fordern, würde den militärisch-industriellen Komplex schwer treffen: Publish What You Pay Australia, ein globales Netzwerk, das sich für Transparenz im extraktiven Sektor einsetzt, schätzt, dass im vergangenen Finanzjahr allein von chinesischen Bergbau-Unternehmen 725 Millionen US-Dollar in die Taschen der Militärs flossen. Ein Rückzug wäre aber auch für China ein herber Schnitt.

Die Junta umwirbt China mit der Zusage, umstrittene Projekte wie das 2,5 Milliarden US-Dollar teure Gaskraftwerk Mee Lin Gyiang umzusetzen, um eine riesige Industriezone mit Strom zu versorgen. Angekündigt wurde auch der weitere Ausbau des Hafens Kyaukphyu und einer angrenzenden Sonderwirtschaftszone. Als weiteres finanzielles Leckerli bietet sie an, die chinesische Währung Renminbi als offizielles Zahlungsmittel im Handel mit China zu akzeptieren. Und sie hat die Kontrolle über die Umsetzung des China Myanmar Economic Corridor und damit über wirtschaftliche Projekte von Belt&Road übernommen. Als ‚Zeichen einer weitgehend normalen Zusammenarbeit’ wird auch ein im August abgeschlossenes Abkommen über 6.1 Millionen US-Dollar für Entwicklungsprojekte betrachtet.

Hoffen auf ASEAN

Eine dritte Zwickmühle tut sich in den Beziehungen zur südostasiatischen Regionalorganisation ASEAN auf: Offiziell unterstützt die chinesische Regierung die 5-Punkte-Übereinkunft, die die Grundlage für Gespräche der Allianz mit der Junta ist und die unter anderem eine sofortige Beendigung der Gewalt und einen Dialog unter Vermittlung eines ASEAN-Vertreters fordert. ASEAN ist nicht nur für ihr geopolitisches Standing wichtig, sondern wurde mit dem Wirtschaftsabkommen RCEP auch zu einer wichtigen Drehscheibe der großräumigen ökonomischen Integration unter chinesischer Kontrolle.

Ein Befreiungsschlag wäre es für Beijing, wenn ASEAN eine pragmatische, Gesicht wahrende Lösung für den Umgang mit ihrem Mitglied Myanmar finden würde. Doch die Allianz ist momentan tief gespalten: Einige Regierungen wie Singapur, Malaysia und Philippinen beharren darauf, dass Kontakte mit Myanmar nicht auf politischer Ebene, sondern nur auf Verwaltungsebene stattfinden, solange die Militärs den 5-Punkte-Konsens nicht akzeptieren.

Mit dem derzeitigen ASEAN-Vorsitzenden, dem kambodschanischen Premierminister Hun Sen, hat Beijing allerdings in einer Schlüsselstellung für den Umgang mit der Junta einen engen Verbündeten. Er gilt gemeinhin als Beijings Statthalter in ASEAN und hat sich schon mehrfach bei Konflikten auf Beijings Seite positioniert. In der ersten Januarwoche reiste er zu einem Treffen mit dem Putsch-Chef, General Min Aung Hlaing, nach Naypyidaw, der Hauptstadt Myanmars. Beobachter sprechen von ‚Cowboy-Diplomatie’ und sehen darin eine unilaterale Anerkennung der Militärjunta. Dagegen erklärte Hun Sen scheinheilig, Myanmar sei schließlich „ein Familienmitglied“. Ein für Mitte Januar angesetztes Außenministertreffen, zu dem er den Minister der Junta eingeladen hatte, musste er allerdings nach Absagen von Regierungsvertretern anderer ASEAN-Ländern verschieben.

Nachdenken über Plan B?

Beijing wäre wie kaum ein anderer Akteur in einer Position, um Bewegung in die starren Fronten zu bringen. Die Militärs sind es allerdings auch gewohnt, Probleme auszusitzen. Wenig optimistisch erklärte der Kenner der Region, Bertil Lindner, dass historisch betrachtet weder eine Isolierung noch Beziehungen wirksam waren, um die politischen Vorstellungen des Militärs von Myanmar zu verschieben.

Angeblich wird anscheinend in Denkfabriken in China inzwischen mehr oder minder laut über einen Plan B nachgedacht: Die South China Morning Post vom 11. Dezember 2021 berichtet über „vermehrte Äußerungen“, Interventionen zum Schutz von Chinas ‚nationalen Interessen’ in ‚Betracht zu ziehen. Welche der unterschiedlichen chinesischen Interessen angesichts der komplizierten Gemengelage letztendlich dann ausschlaggebend sein werden, ist momentan allerdings noch nicht absehbar, ebenso wenig wie die möglichen Formen einer derartigen Intervention.

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