China, Geopolitik und der Globale Süden
Uwe Hoering, 11. Januar 2022
Die Geschehnisse in Kasachstan dieser Tage sind ziemlich undurchschaubar: Unzufriedenheit in der Bevölkerung und/oder Auftakt zu einer ‚Farbrevolution’ und/oder „ausländische Terroristen“ und/oder interner Putsch und/oder ….? Eines allerdings wird deutlich: Nach Myanmar, Kirgistan und anderen Ländern zeigen sie einmal mehr, wie vulnerabel China ist. Und die fossile Wirtschaft spielt dabei eine Schlüsselrolle: Erdöl und Erdgas bleiben auch weiterhin explosiv.
Die zentrale Bedeutung Kasachstans für China zeigt sich allein schon daran, dass Präsident Xi Jinping im Herbst 2013 die Belt and Road-Initiative in Kasachstans Hauptstadt, die damals Astana hieß, ankündigte. Das flächenmäßig neuntgrößte Land der Welt mit seiner mehrheitlich muslimischen Bevölkerung liegt zentral zwischen Russland, weiteren islamischen Ländern im Süden und China, mit dem es eine lange gemeinsame Grenze mit der Provinz Xinjiang hat. Es verfügt über erhebliche Rohstoffvorkommen – und es hat sich nach dem Zerfall der Sowjetunion eine gewisse Unabhängigkeit von Moskau erarbeitet. Gründe genug für Beijing, es zu einem seiner wichtigsten Energielieferanten zu machen und auch über Bahnverbindungen nach Europa und die West-East Gas Pipeline hinaus Milliarden zu investieren.
Weitere Bausteine in Chinas Bestrebungen, seine Abhängigkeit in der Energieversorgung von heimischer Kohle zu verringern, sind die 2019 in Betrieb genommene Gasleitung Power of Siberia mit Russland und die Erdöl- und Erdgas-Pipelines durch Myanmar zum Indischen Ozean, deren strategische Bedeutung durch die Turbulenzen in Kasachstan weiter wächst. Auch Australien und die USA, mit denen Beijing in wirtschaftlichen und politischen Fragen im Clinch liegt, gehören inzwischen zu den wichtigen Lieferanten. Im vergangenen Jahr unterzeichnete China ein langfristiges Abkommen über die Lieferung von Flüssiggas (LNG) aus den USA als Teil des Deals zum Ausgleich der Handelsbilanz.
Und Beijing ist unermüdlich auf der Suche nach weiteren Quellen: Ein sibirisches Gegenstück zur Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 ist Power of Siberia 2, ebenfalls von Gazprom, um 50 Milliarden Kubikmeter Erdgas im Jahr nach Nordchina zu pumpen –allerdings wohl frühestens 2030. Und Zufälle gibt’s: Zeitnah zu den Turbulenzen in Kasachstan besucht eine Delegation des Kooperationsrats der erdölreichen Golfstaaten Beijing, um neue Kunden zu gewinnen. Aber auch mit dem Erzfeind der Besucher aus den Golfstaaten, mit Teheran, hat Beijing ein langfristiges Abkommen über wirtschaftliche und sicherheitspolitische Zusammenarbeit vereinbart, das auch die Lieferung von – logo! – Öl und Gas vorsieht.
Auftritt der Kanone
Mit der Mobilmachung von CSTO, der Organisation für Kollektive Sicherheit, setzen die Autokraten in Moskau und Kasachstan mal wieder auf die brachiale Lösung. Russland bekommt damit im selbstbewussten Nachbarland wieder einen großen Stiefel in die Tür. Militärische Präsenz ist zumindest kurzfristig betrachtet weitaus wirksamer, um Einfluss zu nehmen, als beispielsweise Förderprogramme für Russisch, mit denen Moskau ebenfalls versucht, in dem Land mit einer starken russisch-christlichen Minderheit zu punkten.
Auch Beijing unterstützt mit einer von der staatlichen Nachrichten-Agentur Xinhua verbreiteten Erklärung von Xi Jinping explizit die Position von Präsident Kassym-Jomart Tokayev, die von China initiierte ‚Sicherheitskooperation’, die Shanghai Cooperation Organisation (SCO), bietet angesichts der ‚ausländischen Einmischung’ ebenfalls einen Einsatz an. Denn Stabilität wünscht sich Beijing ebenfalls, nicht nur wegen der Energieversorgung. Ob bei diesem Angebot nun die Furcht vor den „drei Übeln“ in der Region – Terrorismus, religiösem Fundamentalismus und Separatismus – oder vor ‚Farbrevolutionen’ überwiegt oder berechtigt ist, sei hier mal dahingestellt – jedenfalls ist sie wirkmächtig und handlungsleitend. Aber die chinesische Regierung überlässt aufgrund der bislang bestehenden Arbeitsteilung, nach der China die ‚Bank’ ist, die wirtschaftliche Projekte finanziert, Moskau die ‚Kanone’, die für geschäftsförderliche Stabilität sorgen soll, dem Partner den Vortritt – zumindest so lange, wie die russische Bär zeigt, dass er die Stabilität gewährleisten kann.
Dieses fein austarierte Konstrukt von Interessen und Einflusssphären droht durch die Proteste, die anscheinend ihren Ausgang Anfang Januar mit Streiks in der Erdölindustrie nahmen, destabilisiert zu werden. Die Entwicklungen werden in Nachbarländern wie Kirgistan, das Erfahrungen mit dem Sturz von Regierungen hat, aufmerksam beobachtet. Viele dort verstehen die Intervention der CSTO-Truppen auch als Warnung, dass ihnen bei Aufmüpfigkeit Ähnliches drohen könnte. Es zeigt sich: Stabile autoritäre Regime gibt es nur um den Preis einer Repressionsspirale, an der sich eventuell auch China – nolens volens – beteiligen muss.
See also: Tony Louthan, A ‚Bright Path‘ Forward or a Grim Dead End? The Political Impact of the Belt and Road Initiative in Kazakhstan. Foreign Policy Research Institute / Asia Program, January 2022
See also: Saodat Olimova and Muzaffar Olimov, Security Policy in the Context of the “New Silk Road”: The Case of Tajikistan. Rosa Luxemburg Foundation, Dossier ‚The New Silk Roads‚, October 2021