www.beltandroad.blog
Uwe Hoering, Oktober 2020
Das zentralasiatische Kirgistan ist nicht gerade eine bedeutsame Säule der Belt&Road Initiative. Doch die aktuellen politischen Auseinandersetzungen, ausgelöst durch die Proteste gegen die Ergebnisse der Parlamentswahl am 4. Oktober 2020, werfen ein Schlaglicht darauf, wie verwundbar Chinas Prestigeprojekt BRI ist.
Kirgistan ist eine der wenigen parlamentarischen Republiken in der Region, mit einer äußerst aktiven Opposition. Sie hat sich seit dem Ende der Sowjetunion und der Unabhängigkeit vor 30 Jahren immer wieder autoritär-staatlichen Anwandlungen widersetzt, zuletzt vor zehn Jahren, als nach dem Sturz von Präsident Kurmanbek Bakijew unter der Interimspräsidenten Roza Otunbayeva demokratische Reformen durchgesetzt wurden.
Für die Belt&Road Initiative ist Kirgistan bestenfalls ein zweitrangiges Transitland für den Warenverkehr auf Straße, Schiene oder durch Pipelines: Die wichtigsten Strecken zwischen China und Europa laufen drum herum, im Norden die „Eurasische Landbrücke“ durch Kasachstan, Russland und Belarus, im Süden der „Mittlere Korridor“ durch Aserbeidschan und Georgien in die Türkei. Erdöl oder Erdgas wie seine zentralasiatischen Nachbarn Kasachstan oder Turkmenistan hat Kirgisistan nicht. Immerhin gibt es Potential für Wasserkraft, also für erneuerbare Energie. Und einige Bodenschätze.
Investoren aus China wie die staatliche Zijin Mining Group sind denn auch aktiv in Goldbergbau. Es gibt mehrere Straßenbauprojekte mit chinesischen Unternehmen und Krediten, darunter die Fernstraße zwischen der Hauptstadt Bischkek und Naryn nahe der Grenze zu China, wo bei einem Besuch von Präsident Xi Jinping 2019 eine Sonderwirtschaftszone angekündigt wurde. Und Kirgistan ist Mitglied der post-sozialistischen Eurasischen Wirtschaftsunion (EAEU), die von Russland initiiert und dominiert wird, und der eurasischen Sicherheits- und Wirtschaftsallianz Shanghai Cooperation Organisation (SCO). Die wiederum sind Pfeiler für die taktische Allianz zwischen Peking und Moskau, da sie unter anderem die Kooperation entlang der Seidenstraße fördern.
Balance zwischen China und Russland
Bei den gegenwärtigen Auseinandersetzungen geht es anscheinend nicht nur um Wahlfälschungen und Korruption, sondern auch um die geopolitische Ausrichtung des Landes und Bemühungen Moskaus, seine Position in der Konkurrenz mit China zu stärken. Regierungsvertreter und –parteien sind offen für die russischen Wünsche, die Integration im Rahmen der EAEU weiter voranzutreiben. Marat Amakulov, Chef der Partei Birimdik, die dem Staatschef Sooronbaj Jeenbekov nahesteht, wird in der Zeitschrift The Diplomat vom 6. Oktober 2020 zitiert, „30 Jahre nach unserer Unabhängigkeit ist es Zeit, zurückzukehren“. Aber es gibt Widerstand und die Befürchtung, dadurch nationale Souveränität einzubüßen.
Aber auch gegenüber China und dessen wachsenden Einfluss gibt es starke Vorbehalte: Misstrauisch wird die Zuwanderung registriert, die Sonderwirtschaftszone bei Naryn wurde nach Protesten gegen ‚Land grabbing’ ebenso so schnell wieder begraben, wie sie ins Leben gerufen worden war. Angesichts der Milliardenkredite bei chinesischen Staatsbanken gibt es wie in vielen Ländern entlang der Seidenstraßen den Vorwurf von „Schulden-Diplomatie“. Und ähnlich wie in Sri Lanka und Malaysia zeigt sich gegenwärtig einmal mehr, dass demokratische Verhältnisse politische Wendungen bringen können, die den auf Stabilität angewiesenen Infrastruktur- und Investitionsplänen zuwider laufen.
Sorgen könnte Peking noch ein weiterer Aspekt bereiten: Kirgistan ist mehrheitlich muslimisch – und hat eine lange Grenze mit der westchinesischen Provinz Xinjiang. Bereits aus anderen muslimischen Ländern gab es Proteste angesichts des Vorgehens gegen die dortige uighurische Bevölkerung. Bislang haben sich offizielle Vertreter mit Kritik zurückgehalten. Doch wie sich politische Instabilität oder gar eine „weitere Revolution“, wie sie Beobachter für möglich halten, auf die Beziehungen auswirken, ist offen.
Last but not least ist Kirgistan bei weitem nicht der einzige Konfliktherd auf der Eurasischen Landbrücke: Der Krieg um Berg-Karabach beschäftigt das ölreiche Aserbeidschan, die Zukunft in Belarus ist ungewiss. Bislang sind das zwar (noch) keine geopolitisch aufgeheizten Konfliktherde, aber sie zeigen, dass Eurasien nicht so stabil ist, wie es für BRI und ihren Erfolg notwendig wäre.