Menschenrechts-Dilemma

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Uwe Hoering, Oktober 2020

Unmittelbar nachdem China am 13. Oktober diesen Jahres erneut in den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen gewählt wurde, dessen Mitglieder sich verpflichten, die Menschenrechte zu fördern und zu schützen, verschickte Pekings UN-Vertretung einen triumphierenden Tweet, in dem sie die „starke Unterstützung“ durch die Mitgliedsstaaten begrüßte. Allerdings gab es dieses Mal 41 Stimmen weniger als bei der Abstimmung 2016 und das schlechteste Ergebnis seit der Gründung des Rats 2006. MenschenrechtsaktivistInnen sehen darin ein Zeichen, dass es mit Chinas Ansehen und internationaler Unterstützung bergab geht.
Auch eine jüngst veröffentliche Umfrage des Pew Research Center registriert, dass in westlichen Industrieländern die Ablehnung in der Bevölkerung gegenüber China und besonders gegenüber Präsident Xi Jinping deutlich zugenommen hat – ein Befund, der angesichts der konzertierten Kritik, die durch Trump, Corona und Hongkong mächtig an Fahrt aufgenommen hat, plausibel ist.
Welche der 193 Mitgliedsländer des UN-Menschenrechtsrats China ihre Stimme verweigerten, ist allerdings unklar, da die Abstimmung geheim war, erst recht, welche Gründe sie dafür hatten.

Kleinkrieg um Gefolgschaft

Die jüngst in der Zeitschrift The Diplomat veröffentlichte Analyse eines Kleinkriegs der Kritiker und Unterstützer von Chinas Menschenrechts-Politik, bei dem jede Seite versucht, Truppen hinter sich zu versammeln, gibt möglicherweise Hinweise.
Anfang Oktober hatte der deutsche UN-Botschafter eine Erklärung vorgelegt, in der  China aufgefordert wurde, die Menschenrechte zu respektieren, besonders in Xinjiang und Tibet. Unterschrieben hatten 39 Länder.
Der Vertreter Kubas konterte mit einer Erklärung, unterzeichnet von 45 Ländern. Sie hält sich weitgehend an Pekings Narrativ, dass es „kein universell anwendbares Modell“ von Menschenrechten gebe, beklagt eine „Politisierung von Menschenrechten und Doppelstandards“ und „würdigt die Maßnahmen, die China als Antwort auf Bedrohungen durch Terrorismus und Extremismus im Einklang mit dem Gesetz zum Schutz der Menschenrechte aller ethnischen Gruppen in Xinjiang unternommen hat.“
Zahlenmäßig ist die Truppenstärke also ungefähr ausgeglichen. Die Veränderungen gegenüber einem ähnlichen Fahnenappell im Juli 2019 sind jedoch interessant. Beide Seiten können ihre Gefolgschaft vergrößern:
Die Kritiker haben einen Zugang von 17 Ländern, darunter viele Mitglieder der 17+1 Initiative, dem Gesprächsforum, das China mit ost- und südosteuropäischen Ländern aufgebaut hat. Nicht dabei sind allerdings Regierungen, die China besonders bewundern wie Orbans Ungarn und Tschechien oder die von Zuwendungen im Rahmen der Belt&Road profitieren wie Griechenland und Serbien.
Trotz der Verschärfung des Menschenrechts-Situation konnte auch die Unterstützerliste 18 Neuaufnahmen verzeichnen. Auffällig viele sind aus Afrika, unter anderem Uganda, Tansania, die Zentralafrikanische Republik, Guinea, Madagaskar, Mozambique. Xi Jinping persönlich hat sich in den vergangenen Jahren intensiv um die Beziehungen gekümmert, das afrikanisch-chinesische Kooperationsforum FOCAC wurde mit Entwicklungsmilliarden bedacht (link). Auch Sri Lanka, einer der Hauptnutznießer der maritimen Seidenstraße, ist jetzt dabei, nicht aber Bangladesch, das ebenfalls Milliarden-Kredite erhält.
Dafür sind zehn einstige Unterstützerländer abgesprungen, von denen viele islamische Bevölkerungsmehrheiten oder starke islamische Minderheiten haben wie Algerien, Nigeria, die Philippinen, Katar und Somalia. Auffällig ist, dass sich die zentralasiatischen Länder Kasachstan und Kirgisistan, in denen es Proteste gegen das Vorgehen in Xinjiang gegen die Uiguren und gegen die Inhaftierung und das Verschwinden ethnischer Kasachen und Kirgisen gab, sowie Tadschikistan und Turkmenistan, neutral verhalten – obwohl sie vielfältige, enge wirtschaftliche Bindungen an China haben.
Dagegen stehen Pakistan und viele Länder des Nahen und Mittleren Osten wie Bahrain, Ägypten, Saudi Arabien, Syrien und die Vereinigten Emirate trotz der Repressionen gegen ihre Glaubensbrüder und –schwestern in Xinjiang in Treue fest an der Seite Pekings.

Lassen sich Regierungen kaufen?

Die Frage wurde schon oft gestellt: Lassen sich Regierungen durch ökonomische Versprechungen oder jetzt durch die chinesischen Corona-Hilfen auf einen Deal ein? Mit aller gebotenen Vorsicht: China erhielt sein bestes Ergebnis – 180 von 193 Stimmen – bei der Wahl 2016, zum Höhepunkt der Belt&Road-Euphorie. Auch die – verglichen mit westlichen Industrieländern – großzügige Unterstützung für afrikanische Länder zahlte sich möglicherweise aus, obwohl es gleichzeitig während der Corona-Krise Ärger wegen rassistischer Diskriminierungen gegen die zahlreichen AfrikanerInnen in mehreren chinesischen Städten gab.
In Osteuropa könnte die Stimmabgabe an der Seite der anderen China-kritischen EU-Staaten dagegen Ernüchterung mit Chinas Versprechungen signalisieren. Vor allem aber die Abwesenheit vieler früherer Unterstützer aus Ländern mit islamischen Bevölkerungen sollte Peking zu denken geben. Denn die Regierung setzt angesichts der zunehmenden Konfrontation mit den USA unter anderem auf die Länder des globalen Südens, quasi als natürliche Verbündete.
Sicher sollte nicht allzu viel in einzelne Unterschriftenaktionen hineininterpretiert werden. Denn es ist unklar, wie sie zustande kommen. Das Abstimmungsverhalten hängt zudem von vielen Interessen und Überlegungen ab.
Dennoch könnte es als ein Denkzettel für Peking verstanden werden, dass andere Vorstellungen von Menschenrechten als die eigenen eine gewichtige Rolle spielen – und dass die Möglichkeiten, mit Belt&Road gerade unter den Ländern des globalen Südens aktive Unterstützung zu finden, begrenzter sein könnten, als sich manche in China vorstellen.

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