Taiwan: Der Druck im Kessel steigt

China, Geopolitik und der Globale Süden

Uwe Hoering, 14. August 2022

Nachdem Nancy Pelosi und die PLA, die Volksbefreiungsarmee der Volksrepublik China, ihre wechselseitigen provokativen Auftritte beendet haben, könnten jetzt ja wieder Ruhe einkehren und Entspannung. Beide Seiten haben ihren Punkt gemacht. Doch noch sieht es danach nicht aus. Der Show-off war bei Weitem nicht das einzige Event in der gegenwärtigen Eskalationspirale, wenn auch bislang eines der spektakulärsten. In den vergangenen Wochen häuften sich die Nadelstiche der China-Falken in Washington und die mehr oder minder ungeschickten oder überzogenen Reaktionen aus Beijing.

Die Reflexe funktionieren

Anfang Mai 2022 strich das US-Außenministerium von seiner Website die explizite Aussage, dass Taiwan als ein Teil Chinas betrachtet wird und eine Unabhängigkeit nicht unterstützt würde. Drei Wochen später verkündete US-Präsident Jo Biden die Bereitschaft, Taiwan bei einem Angriff auch militärisch beizustehen. Routiniert verneinten Regierungssprecher in Washington eine grundsätzliche Änderung der politischen Grundhaltung. Doch die Reflexe funktionierten: Angefixt durch die Provokationen tappte Beijing in die Falle und lieferte mit seinen militärischen Muskelspielen genau die Bilder, die seine Aggressivität zu bestätigen scheinen. Gleichzeitig wächst mit der Ankündigung, den Informationsaustausch zwischen der PLA und dem US-Militär einzustellen, die Gefahr, dass ein ‚Zwischenfall’ zur heißen militärischen Konfrontation führt.

Zwar ist die offizielle Lesart nach wie vor, die USA würden lediglich die Verteidigungsfähigkeit Taiwans stärken. Seit der Annäherung in den 1970er Jahren teilt Washington den Anspruchs Beijings, die einzig legitime Vertretung Chinas zu sein, mit Taiwan als Teil des ‚einen China’. Darüber hinaus blieb die Ansage, was wäre, wenn es zu einer Konfrontation kommen sollte, bewusst vage – ein Stillhalteabkommen, mit dem alle Beteiligten mehrere Jahrzehnte gut leben konnten. Es ist völlig offen, ob die USA im Ernstfall Taiwan tatsächlich verteidigen würden oder könnten, wovon längst nicht alle Beobachter überzeugt sind.

Zweifelhafte Zuwendung

Was ebenfalls gerne ausgeblendet wird, ähnlich wie die Rolle der NATO-Osterweitung bei der Eskalation mit Russland: Das Verhältnis begann sich bereits vor mehr als einem Jahrzehnt unter der Obama-Regierung mit der ‚Hinwendung zu Asien’ (‚Pivot to Asia’) zu ändern, eine harmlos klingende Bezeichnung, die aber eine unverhohlene Drohung enthielt: Die USA wollten nicht hinnehmen, dass der bis dato Juniorpartner in der kapitalistischen Weltordnung Anspruch erhebt auf mehr Platz in der Global Governance und ihren Anspruch als hegemoniale Macht herausfordert. Die wirtschaftliche Konkurrenz wurde sehr schnell in ein Narrativ einer drohenden militärischen Aggression des David gegen den Goliath umgemünzt, flankiert durch den Trumpschen Handelskrieg. Es folgte eine Aufrüstungsspirale, eine bewährte Strategie, die dem eigenen militärisch-industriellen Komplex nützt und den Rivalen zwingt, seinerseits mehr Ressourcen in die Rüstung zu stecken. Und Taiwan ist dafür der ideale Ansatzpunkt.

„Niemand möge später sagen, man habe den Schuss nicht gehört.“

Seit Juni liegt zudem der Entwurf für eine Neufassung eines ‚Taiwan Policy Act‘ beim US-Kongress. Sein Sprengsatz: Eine Aufwertung Taiwans als besonders wichtiger Partner außerhalb der NATO, mit dem es eine engere ‚Sicherheits-Zusammenarbeit’ geben soll. In Beijing wird dieser Schritt als ein weiterer Versuch verstanden, von der Ein-China-Politik abzurücken. So verschärft sich denn auch dort die Tonlage: Chinesische Analysten bezeichnen den Vorstoß als „gleichdeutend mit einer Anerkennung von Taiwans Souveränität “, was für Beijing die ultimative Rote Linie wäre, und als den Beginn einer „militärischen Allianz“.  Im Gegenzug zeigte das chinesische Taiwan Affairs Office mit einer neuen Erklärung mit dem Titel ‚The Taiwan Issue and China’s Reunification in the New Era“ seinerseits klare Kante. Zwar wurde dort Beijings Wunsch nach einer friedlichen Vereinigung wiederholt, gleichzeitig aber auch die Bereitschaft zu Gewalt als „the last resort taken under compelling circumstances“ unterstrichen, um auf „Provokationen separatistischer Elemente“, beispielsweise eine Unabhängigkeitserklärung, zu reagieren, oder falls „externe Kräfte Rote Linien überschreiten“. Niemand möge später sagen, man habe den Schuss nicht gehört.

Scheibchenweise verschieben die USA ihre bisherige Taiwan-Politik. Indem sie von einem eindeutigen Bekenntnis zur Ein-China-Politik abrücken und immer expliziter einen militärischen Beistand für Taiwan in Aussicht stellen, gehen sie auf Konfrontationskurs. Das ruft umgehend schärfere Reaktionen hervor. Bleibt zu hoffen, dass Beijing nicht der gleichen brutalen Fehleinschätzung erliegt wie das Regime in Moskau, und Taiwan tatsächlich angreift.

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