China, Geopolitik und der Globale Süden,
Uwe Hoering, 23. Februar 2023
Wird Europa durch den sogenannten ‚Chip-Krieg‘ zur ‚Kriegspartei’ im Konflikt zwischen China und den USA? Die Frage stellt sich angesichts der Forderung der US-Regierung, dass sich europäische und asiatische Verbündete den jüngst unilateral verhängten Exportkontrollen für High-Tech-Chips anschließen sollen. Denn die Restriktionen sind Teil der intensivierten US-Bestrebungen, den Konkurrenten China wirtschaftlich und militärisch zu schwächen. Doch der Vorstoß kann nur gelingen, wenn die anderen Industrieländer bei der Eskalationsspirale mitspielen.
Militärisch-industrieller Wirtschaftskrieg
Die im Oktober 2022 von der Biden-Regierung angekündigten verschärften Exportkontrollen für modernste Halbleiter und Ausrüstung für deren Herstellung sind eine weitere Eskalation im Wirtschaftskrieg der USA gegen China und seine High-Tech-Industrie. Beobachter sprechen von einer „grundlegenden Verschiebung in der Exportkontrollpolitik“, von einem „digitalen Öl-Embargo“, der Ko-Vorsitzende des European Council on Foreign Relations, Carl Bildt, erkennt darin einen weiteren Schritt zu einer umfassenden chinesisch-amerikanischen Entkopplung.
Flankiert wird der Vorstoß durch den Anfang August von der US-Regierung verabschiedeten CHIPS and Sciences Act, ein Förderpaket von 280 Milliarden US-Dollar für die „Schaffung hilfreicher Anreize für die Produktion von Halbleitern“ in den USA. Nur wenige Tage folgte der Inflation Reduction Act, IRA, der 736 Milliarden US-Dollar in Bewegung setzen soll, davon knapp die Hälfte für erneuerbare Energien. Inflationsbekämpfung und Energiewende sind allerdings nur die Schaufenster-Dekoration für eine weitere massive Förderung und Modernisierung der US-Industrie.
„Die Bedeutung von Halbleitern sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke wird dazu genutzt, sicherheitspolitische Bedenken mit wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen zu verkoppeln.“
Bekanntlich geht in der modernen Industrie kaum noch etwas ohne Chips – von Smartphone, Medizinausrüstung und Autos bis hin zu Kampfflugzeugen, Drohnen und sonstiger militärischer Rüstung. Das gilt besonders für Hochleistungs-Chips. Diese Bedeutung von Halbleitern sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke wird dazu genutzt, sicherheitspolitische Bedenken mit wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen zu verkoppeln und auf einen Streich in beiden Bereichen nicht nur den weiteren wirtschaftlichen Aufstieg des Rivalen, sondern auch dessen militärische Aufholversuche auszubremsen.
Und diese Strategie zeigt Wirkung. US-amerikanische High-Tech-Konzerne wie Apple und Dell verkünden, keine Chips Made in China mehr zu verwenden. Wie Hewlett Packard haben sie begonnen, sich zumindest teilweise aus China zurückzuziehen. Umgekehrt überschlagen sich internationale High-Tech-Konzerne wie Micron, Intel, IBM, TSCM und Samsung mittlerweile geradezu mit Ankündigungen, in den USA investieren zu wollen.
Follow the leader
Doch damit ihre Strategie aufgeht, sind die USA auf Verbündete angewiesen. Denn die Wertschöpfungskette bei Halbleitern ist hochgradig globalisiert. Zwar haben die USA eine starke Stellung in Schlüsselbereichen wie Ausrüstung und vor allem Software. Doch die Produktion wäre ohne Zulieferer aus Europa wie dem niederländischen Unternehmen ASML, das ein Marktmonopol für die modernsten Lithografiemaschinen hat, nicht möglich. Die Chip-Fabrikation selbst findet dann nahezu ausschließlich in Japan, Südkorea und vor allem Taiwan mit den größten Chip-Hersteller TSMC statt. China, das im vergangenen Jahr Halbleiter im Wert von 415 Milliarden US-Dollar importierte, ist extrem verletzlich, zumal die eigene Herstellung hinter der Entwicklung um mindestens zwei Generationen hinterher hinkt.
„Der robust vorangetriebene Versuch, Europa in das „Kreuzfeuer“ des Konflikts zwischen den USA und China hineinzuziehen, könnte fatale Folgen haben.“
Um ihrem Feldzug die notwendige Durchschlagskraft zu verleihen, versucht die US-Regierung in Fernost, eine Chip-Allianz mit Japan, Taiwan und Südkorea, die erhebliche Investitionen in China haben, zu schmieden, um China den Zugang zu moderner Chip-Herstellung abzuschneiden. Und auch bei europäischen Regierungen hofft US Handelsministerin Gina Raimondo, dass sie „uns folgen“. Doch der robust vorangetriebene Versuch, sie in das „Kreuzfeuer“ des Konflikts zwischen den USA und China hineinzuziehen, könnte für Europa fatale Folgen haben. Anders als beim Schulterschluss der westlichen Allianz, der bei den Sanktionen gegen Russland funktioniert, stehen in diesem Fall durch den Dreier-Pack von CHIPS Act, IRA und der Forderung, sich den Exportbeschränkungen anzuschließen, eigene politische und wirtschaftliche Interesse auf dem Spiel, in Europa wie in Fernost.
Transatlantischer Handelskrieg
Signale dafür sind die lautstarken Warnungen in Europa vor einem weiteren transatlantischen Handelskrieg durch die US-amerikanischen Initiativen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wird mit der Kritik am „super-aggressiven Vorgehen“ der US-Regierung gegen Europa und europäische Unternehmen zitiert, die EU-Kommission als Interessenvertretung der europäischen Industrie klagt über Wettbewerbsverzerrungen, Unternehmensverbände fordern ebenfalls mehr Unterstützung ein.
Angesichts der massiven Förderung für Chip-Industrie und erneuerbarer Energien könnten die eigenen Pläne für eine größere Unabhängigkeit von China torpediert werden. Die EU brütet unter anderem über einer eigenen, mehrere Milliarden schweren Förderrichtlinie, dem Clean Tech Act, ebenfalls mit massiven Subventionen. Mit 45 Milliarden Euro soll die Chip-Produktion in der Heimat finanziert werden, mit dem Ziel, den europäischen Anteil an der globalen Produktion bis 2030 auf 20 Prozent zu verdoppeln – mit ersten Erfolgen wie dem geplanten Intel-Werk bei Magdeburg. In einem Chip-Aufrüstungswettlauf könnte aber am Ende die europäische Industrie verlieren und Europa von den USA abhängig werden, falls die Biden-Strategie aufgehen sollte. Die Entwicklung im Gas- und Ölsektor seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs lässt grüßen.
„Gegen den Aufruf zur Gefolgschaft regt sich Eigensinn, wenn auch zaghaft.“
Auch gegen den Aufruf zur Gefolgschaft regt sich Eigensinn, wenn auch zaghaft. Der niederländische Wirtschaftsminister Micky Adraansens befürchtet, dass das Land durch die Restriktionen einen wertvollen Exportpartner verlieren würde, und zögert mit der Zusage, sich den US-Forderungen zu beugen, die Außenministerin Liesje Schreinemacher erklärt, dass die Niederlande die US-Restriktionen „nicht kopieren werden“, stattdessen aber „eventuell Maßnahmen auf der Grundlage der eigenen Einschätzungen verhängen“ könnten.
Obwohl die US-Weichenstellungen vorrangig Eigeninteressen dienen und für die Zukunft der europäischen Wirtschaft gravierende Folgen haben könnten, versucht Europa mal wieder den Balance-Akt, statt klarer Kante: Typisch dafür ein Beitrag des European Council on Foreign Affairs, der einerseits dafür plädiert, Europa sollte dringend strategische Exportkontrollen diskutieren, um bei der„new era for global technology trade“ dabei zu sein, andererseits aber auch warnt: „Few in the EU wish to jeopardise transatlantic security and trade relationsships, but they also don’t want to arrest Chinas advancement or accelerate bloc formation“.
Und was macht China?
Bislang fallen die Reaktionen aus China moderat aus. Beijing hat Klage eingereicht bei der Welthandelsorganisation wegen „typischer Praktiken von Handelsprotektionismus “, ein Schritt, bei dem die EU noch abwarten und prüfen will. Und die Regierung versucht gegenzuhalten mit eigener massiver finanzieller Unterstützung für die einheimische Halbleiter-Industrie, die schon in den vergangenen Jahren mit Milliarden gefördert wurde. Und in einem eher symbolischen Akt muss demnächst der Export von Technologie zur Herstellung von Schlüsselkomponenten für Solarpanele genehmigt werden.
Letzteres zeigt, dass China natürlich einige Hebel für Vergeltungsmaßnahmen hätte, die unter anderem Kernbereiche des Grünen Kapitalismus treffen würden. Bei Chips älterer Generationen etwa könnten „aktuell weder Japan, Europa noch die USA ohne Fertigungskapazitäten in China und Taiwan auskommen“, so Julia Hess, Expertin für Technologie und Geopolitik bei der Stiftung Neue Verantwortung. Gleiches gilt für Photovoltaik, Elektromobilität, Windräder und die dafür erforderlichen Rohstoffe. Aber das Land ist eher in einer schwachen Position, um mit ähnlich zerstörerischen Exportwaffen zu kontern. Sie würden vor allem die eigenen Industrien treffen, die gerade versuchen, sich von den internen und weltweiten Auswirkungen der Corona-Pandemie zu erholen.
Ground Zero?
Auch ohne chinesische Gegenmaßnahmen wäre es für Europa jedenfalls ein Schuss ins eigene Knie, sich auf die US-amerikanische Eskalationsstrategie im Chip-‚Krieg’ einzulassen, den Stephen Roach, früherer Vorsitzender von Morgan Stanley Asia, als „Ground Zero“ bezeichnet, militärisch der Ort der maximalen Zerstörung durch eine Bombe. Denn für die Vereinigten Staaten sei Hochtechnologie „the leading edge of geostrategic power and the means for sustained prosperity. For China, it holds the key to the indigenous innovation required of a rising power.“ Sprich: Für beide Seiten geht es dabei ums Ganze. Doch der Vorstoß kann nur gelingen, wenn die anderen Industrieländer bei der Eskalationsspirale mitspielen. Wenn sie das tun sollten, geht es nicht mehr nur um Wettbewerbsverzerrungen oder um einen transatlantischen Handelskrieg. Der Chip-‚Krieg’ könnte die technologischen Voraussetzungen für einen wirklichen Krieg schaffen – mit Ground Zero für Alle.