Newsletter 15/August-September 2022

INHALT:


Posts: USA-China: Freunde verzweifelt gesucht / USA-China: Striving for friends // News: Warnung vor Abhängigkeit von Rohstoffen aus China / Die Züge rollen – trotz Krieg // Countercurrents: Proteste in Kambodscha gegen Digitale Seidenstraße // Lesehinweise: China in den Amerikas / Internationalisierung des chinesischen Ordnungsmodells?

Posts

USA-China: Freunde verzweifelt gesucht

Das Prinzip ‚Winner takes all’ würde in der Konkurrenz zwischen China und den USA nach verbreiteter Meinung vermutlich bedeuten: der Sieger übernimmt die Weltherrschaft, entweder ‚autoritär’ oder ‚frei’. Aber die Situation ist noch längst nicht so weit, und der Kampf zwischen den beiden Kontrahenten tobt munter weiter. Mehr

USA-China: Striving for friends

Applying the principle ‚winner takes all‘ to the competition between China and the USA would probably mean, according to widespread view, that the one of them takes over world hegemony, either ‚authoritarian‘ or ‚free‘. However, the situation is far from that point, and the battle between the two rivals is continuing to rage unabated. More

News

Abhängigkeit von Rohstoffen aus China

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat erst jüngst wieder vor einer wachsenden Abhängigkeit von anderen Staaten bei der Versorgung mit Rohstoffen für Batterien, Halbleiter und Chips gewarnt. Explizit erwähnt sie dabei China, das zehn von 30 Grundmaterialien, die für die Produktion von Lithium-Ionen-Batterien benötigt werden, produziert. Dabei geht es zum einen um Rohstoffe wie Graphit, bei dem China, anders als beispielsweise bei Lithium, nahezu ein Monopol hat. Vor allem aber findet die Veredelung und Verarbeitung in China statt, die häufig sehr energieintensiv ist, was vor allem den Einsatz von Kohle bedeutet. Dazu gehört neben Graphit vor allem Manganerz, beispielsweise aus Südafrika, Lithium aus Bergwerken wie in Australien und Kobalt aus der Demokratischen Republik Kongo, dem Rohstoffgiganten in Zentralafrika. Die Batterieproduktion selbst findet dann vor allem in Japan und Südkorea statt.

Mit dem beschleunigten Ausbau von Produktionsstätten für E-Autos durch die Autoindustrie, die in der ‚grünen Mobilität’ ihre Überlebensstrategie entdeckt hat, und dafür benötigen leistungsstarken Batterien in Europa und den USA verstärkt die auf E-Mobilität ausgerichtete Energiewende allerdings selbst diese Abhängigkeit. Eric Desaulniers, Generaldirektor von Nouveau Monde Graphite, warnt seine Unternehmenskollegen, dass der Ausbau der Produktion von Lithium-Ionen-Batterien viel zu schnell gehe. Denn China kontrolliert längst gemeinsam mit seinen Nachbarn in Asien die Voraussetzungen für ihre Umsetzung. Und diese Abhängigkeit zu verringern dürfte sehr viel schwieriger sein als bei Erdöl und Erdgas.

Die Züge rollen – trotz Krieg

Trotz Ukraine-Krieg steigt die Zahl der Güterzüge zwischen China und Europa, vor allem über Polen. Bislang waren es nach Angaben der China State Railway Group in diesem Jahr über 10.000. Auch die Gütermenge stieg um fünf Prozent. Gegenüber dem Vorjahr hat sich das Wachstum allerdings deutlich verlangsamt. Und nach wie vor findet nur ein Bruchteil des Warentransports zwischen China und Europa auf der Schiene statt. Angesichts wieder sinkender Frachtraten für Containerschiffe verliert er gegenüber dem Seeweg an Konkurrenzfähigkeit.

Countercurrents

Proteste in Kambodscha gegen Digitale Seidenstraße

Drohnen, die Proteste gegen Entlassungen beim chinesischen Hotel- und Casino-Komplex NagaWorld filmen, Kameras, die die Straßen in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh überwachen: Gewerkschafter und Bürgerrechtsaktivisten kritisieren, dass jede ihrer Bewegungen überwacht würde. Die Technologie dafür kommt vor allem aus China im Rahmen der sogenannten Digitalen Seidenstraße, einer Initiative zum Ausbau moderner Kommunikations- und Datensammlung-Infrastruktur in Teilnehmerländern der Belt&Road. Und Datenschutz ist in Kambodscha gelinde gesagt lückenhaft. Auch in anderen Länder, darunter Myanmar, würden verstärkt Technologien wie Gesichtserkennung zum Einsatz kommen, schätzt Steven Feldstein vom Carnegie Endowment for International Peace in Washington, DC. Mit Argumenten wie Kriminalitätsbekämpfung und Covid-19-Kontrolle werden das Internet und Datenzentren ausgebaut. Um sich gegen die Überwachung zu schützen, finden in Kambodscha verstärkt persönliche Treffen statt, Mobiltelefone werden abgeschaltet und Virtuelle Private Netzwerke (VPN) sowie verschlüsselte Chatgruppen genutzt.

Activists in Cambodia fear rising surveillance from China’s Belt and Road Initiative. In: South China Morning Post, 19 September, 2022

Siehe dazu auch den Freedom on the Net 2018 Report: The Rise of Digital Authoritarianism

Lesehinweise

China in the Americas

Chinas Rolle in Mittel- und Südamerika wird in der eurozentristisch-transatlantischen Bauchnabelperspektive kaum wahrgenommen. Dabei spielt die Region für Chinas Expansionsstrategie eine zentrale Rolle. Um nur einige Aspekte herauszugreifen: Es scheint erhebliche Investitionen chinesischer Konzerne in Projekte mit erneuerbaren Energien zu geben. In umgekehrter Richtung hängt Chinas Versorgung mit wesentliche Ressourcen für den angekündigten ‚grünen Kapitalismus’ wie Lithium von Exporten aus der Region ab, ebenso wie die Nahrungsmittelindustrie von Agrarrohstoffen wie Soja. Zudem erfolgt diese chinesisch Expansion in einer Region, die die USA als ihren ureigenen Hinterhof betrachten. Sie beschränken also direkt deren wirtschaftlichen und politischen Einfluss und machen ihr den regional-hegemonialen Anspruch streitig.

Zudem spielt die Region in der Reorganisation des Globalen Südens im Konflikt zwischen China und den USA und deren Appendix, der Europäischen Union, eine Schlüsselrolle. Brasilien ist Mitglied im Länderbündnis BRICS, das zwar durch unterschiedliche Interessen, Strategien und Positionierungen gegenüber China nicht gerade geschlossen wirkt, aber vor die Entscheidung gestellt eher China als den USA zuneigen würde – besonders, wenn der frühere Präsident Lula da Silva die nächsten Präsidentschaftswahlen in Brasilien gewinnen sollte. Gleichzeitig verfangen hier die Narrative immer weniger, China würde andere Länder von sich abhängig machen: Hier kooperieren chinesische politische und wirtschaftliche Akteure mit selbstbewussten Regierungen und Nationalbourgeoisien in Ländern mit starken politischen und zivilgesellschaftlichen Bewegungen, mit (mehr oder minder soliden)  demokratischen Verhältnissen und bürgerlichen Rechten. Viele Länder sind daher anscheinend durchaus in der Lage, nationalstaatliche, teils auch soziale und ökologische Entwicklungsinteressen in der Kooperation mit China durchzusetzen und ein Durchregieren durch einheimische Regierungen oder chinesische Einflussnahme zu bremsen.

Das führt natürlich zu einer weiteren Frage: Wie reagiert Washington darauf? Welche Rolle spielt das für politische Einflussnahme der USA auf die politischen Entwicklungen in den Ländern und welche Versuche werden unternommen, ihre hegemoniale Position zu verteidigen? Eine solche Gegenstrategie politischer Einflussnahme, Entwicklungsversprechungen und Kooperationsprogrammen wird bislang bestenfalls in Ansätzen sichtbar. Deren Analyse würde auch einen spannenden Blick auf den hegemonialen Charakter der USA in einer Region werfen, die dem eurozentrischen Blick weitgehend entzogen ist.

Einen Beitrag, diese eurozentrisch-transatlantische Informationslücke zu schließen, leisten drei Studien zum wirtschaftlichen und politischen Einfluss Chinas in Lateinamerika und der Karibik und die Auswirkungen auf die Beziehungen der Region mit Europa und den USA des China Knowledge Network (CNK) am Centre for Latin American Research and Documentation (CEDLA) der Universität von Amsterdam. Einige bemerkenswerte Einschätzungen:

Die Wirtschaftsbeziehungen vieler Länder der Regionen basieren mehr oder minder stark auf dem Export von fossilen Energie und Mineralien wie Lithium und Erdöl sowie von Agrarprodukten. Chinesische Unternehmen sind seit Längerem mit Investitionen und Joint Ventures in diesen Bereichen sehr präsent. Damit bedeutet nicht nur eine starke wirtschaftliche Abhängigkeit von Chinas eigener Entwicklung, die momentan in einigen Turbulenzen zu stecken scheint. Sie haben neben erheblichen Vorteilen auch einen großen Beitrag zum Extraktivismus geleistet, mit all seinen negativen Folgen.

Interessant sind aber Bestrebungen, neue wirtschaftliche Kooperationsmöglichkeiten zu erschließen. Dazu gehört eine wachsende Bedeutung chinesischer Investitionen und Technologie in den Ausbau von erneuerbaren Energien. Diese Tendenzen zeugen zugleich davon, dass Regierungen in der Lage sind, ihre eigenen Entwicklungsinteressen in der Kooperation mit China umzusetzen, zumal China selbst verstärkt am Export entsprechender Technologien interessiert ist. Trotz verbreiteter Kritik an Auswirkungen wie dem Beitrag zur Korruption durch intransparente Verträge und ökologische und soziale Verwerfungen scheint denn auch wenig grundsätzliche Besorgnis über einen übermächtigen, dominanten Einfluss Chinas zu bestehen. Gleichzeitig hält Beijing sich anscheinend mit militärischem oder sicherheitspolitischem Engagement zurück, um den Zorn der USA über die Präsens im ihrem bisherigen Hinterhof nicht allzu sehr zu reizen. Diese Einschätzungen würden unterstreichen, dass sich China im Ausland sehr viel anpassungsfähiger an lokale Situationen und Interessen verhält, als es manche Darstellungen über Dominanzverhalten glauben machen wollen.

Siehe dazu auch: Uwe Hoering, Im Hinterhof der USA. In: iz3w August 2019: 

Internationalisierung des chinesischen Ordnungsmodell?

Der Aufstieg Chinas fand in mehreren Phasen einer staatlich initiierten Integration in die globalisierte Weltwirtschaft statt, darunter die 2013 verkündete Belt and Road Initiative (BRI). Diese Expansion wird als Ausdruck staatlicher Allmacht und als Umsetzung eines imperialen Machtstrebens betrachtet. Damit werde zugleich Chinas erfolgreiches Entwicklungs- und Ordnungsmodell auf internationales Terrain übertragen. Doch die Bedingungen für die Umsetzung der BRI unterscheiden sich wesentlich von den Möglichkeiten des chinesischen Staates auf nationaler Ebene. Eine Analyse dieser Umsetzung und der Erfahrungen damit erlaubt Rückschlüsse auf die Internationalisierung des chinesischen Ordnungsmodells.

Uwe Hoering, Internationalisierung des chinesischen Ordnungsmodells? Geopolitische Konflikte und die Belt and Road Initiative. In PROKLA 208, Zeitschrift für Kritische Sozialwissenschaft, 52(208), 409–427. Schwerpunktthema: Staatskapitalismus.

Zitat des Monats

“Most Indo-Pacific countries are not going to sacrifice their trade and economic interests for superpower geopolitics”.

Mohammadbagher Forough, Fellow at GIGA Hamburg

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