Kohleausstieg ‚par ordre de mufti‘

China, Geopolitik und der Globale Süden

Uwe Hoering, Oktober 2021

Präsident Xi Jinpings Ankündigung bei der UN-Generalversammlung im September, dass China zukünftig im Ausland keine neuen Kohlekraftwerke mehr bauen wird, hat der internationalen Klimagemeinde neue Hoffnungen auf einen beschleunigten Abbau der CO2-Emissionen weltweit gegeben, ähnlich wie die Fata Morgana einer Oase den dürstenden Wanderern in der Sahara. Für eine echte Energiewende in der Ländern des Globalen Südens ist das allerdings nur ein – wenn auch wichtiges – Puzzleteil.

Wieder einmal ist Xi Jinping mit einem einzigen Satz ein Publicity-Coup gelungen: China „wird keine neuen Kohlekraftwerke im Ausland mehr bauen”. Damit haben mit China, Japan und Südkorea alle großen öffentlich-staatlichen Finanziers ihren Ausstieg aus der Energieerzeugung mit dem Klimakiller Kohle im Ausland versprochen. Gleichzeitig begegnet Beijing dem Vorwurf, zuhause auf ökologischen Saubermann zu machen, weltweit aber dreckige Energie und Umweltzerstörung zu fördern, und unterstreicht den Anspruch auf eine „grüne“ Belt & Road.

Die Ankündigung bringt China nicht nur Punkte als Klimaschützer, sie liegt auch im aktuellen Trend im Kohlesektor und zieht öffentlichkeitswirksam und pragmatisch die Konsequenz aus sinkender Attraktivität der Kohle für viele Länder und Investoren. Bangladesch beispielsweise hat seine hochfliegenden Pläne, Kohle statt Erdgas zu nutzen, bereits vorher zurückgefahren und will auf erneuerbare Energien  setzen. Das geschieht allerdings in den seltensten Fällen aus ökologischen Motiven, sondern aufgrund hoher Kosten, drohender Überkapazitäten, finanzieller Risiken, massiver Proteste und drohender Verschuldung. Schon länger zeichnet sich zudem ab, dass der Preisvorteil von Kohle gegenüber erneuerbaren Energien sinkt. Dementsprechend ist in den vergangenen Jahren die Liste der geplanten Kohlekraftwerke immer kürzer geworden.

Kurze Ansage, langfristige Wirkung

Für viele Länder des Globalen Südens bringt die Entscheidung allerdings erhebliche Probleme mit sich, wie Tom Baxter im Blog Panda Paw Dragon Claw schreibt. Durch die Entscheidung könnten allein in Süd- und Südostasien zwischen 44 und 70 Projekten in schätzungsweise 20 Ländern ein abruptes Ende drohen. Noch schwieriger wäre die Finanzierung für Länder in Afrika.

Umgehend wurde gemeldet, dass für mehrere geplante Projekte Verhandlungen abgebrochen, Entscheidungen aufgeschoben worden seien. Die staatliche Entwicklungsbank Bank of China folgte umgehend der Stimme ihres Herrn und erklärte, zukünftig nicht nur keine Kohlekraft mehr zu fördern, sondern auch keinen Kohlebergbau.

Während die chinesische Regierung mit einem einzigen Satz, mit einer Verordnung des Präsidenten ‚par ordre de mufti’ ohne Beteiligung der Betroffenen eine energiepolitische Zäsur herbeiführen kann, ist die Schaffung von Alternativen weitaus schwieriger. Die Finanzmittel, die durch einen Kohleausstieg eingespart würden, werden nicht automatisch in den Ausbau anderer Energiequellen fließen, auch wenn Xi Jinping ebenfalls angekündigt hat, dass die Förderung erneuerbarer Energie gesteigert werden soll. Und die betroffenen Länder müssten nach der Kehrtwende in Beijing erst einmal ihre Energiepolitik und –strategie an die veränderten Bedingungen anpassen.

Zwar bieten sich potente, überwiegend private chinesische Wind- und Solarunternehmen an, um die Energielücke, die in vielen Ländern die wirtschaftliche Entwicklung bremst und Lebensbedingungen beeinträchtigt, zu verringern. Chinas staatsnahe Konzerne, die Atomkraftwerke in Pakistan und in Großbritannien oder Großstaudämme mit unausweichlich verheerenden Auswirkungen für Mensch und Umwelt errichten möchten, stehen ebenfalls bereit, frei werdende Gelder abzugreifen. Auch Erdgas wird als “Übergangs-Brennstoff” gepuscht, ist aber nicht nur für das Klima höchst problematisch, sondern macht viele Länder abhängig von Importen.

Einstieg in den Ausstieg

Die weithin bejubelte Ankündigung ist zudem bestenfalls ein Einstieg in den Kohleausstieg. Typisch für chinesischen Politikstil wurde zunächst einmal ein Stein ins Wasser geworfen, Umsetzungsdetails müssen noch zwischen den unterschiedlichen mächtigen staatlichen und privaten Akteuren des Energiesektors diskutiert und ausgehandelt werden. “Gelten auch Finanzierung, Planung und Export von Ausrüstung als “Bauen”, fragt Baxter beispielsweise, und folglich ebenfalls als ausgeschlossen?

Unwahrscheinlich auch, dass sich jene Kohlekonzerne, Finanziers und Regierungen, für die Kohlekraft eine lukrative Pfründe ist, durch einen einzigen Satz von Xi Jinping so schnell die Geschäfte verderben lassen und vermutlich bereits dabei sind, nach Lücken, Hintertüren und neuen Konzepten zu suchen. Zudem stellen staatlich-öffentliche Gelder nur einen kleinen Teil  der Finanzierung im internationalen Kohlegeschäft dar, verglichen mit japanischen und westlichen institutionellen Investoren und kommerziellen Banken.

Bislang ist Xi Jinpings Ankündigung nur ein PR-Coup, der für viele Länder – wenn er denn konsequent umgesetzt wird – die Energiekrise verlängern würde oder sie in die Arme kommerzieller Investoren treibt.

Schreibe einen Kommentar