China, Geopolitik und der Globale Süden
Uwe Hoering, August 2021
„Wer baute das siebentorige Theben?“ lässt Bertold Brecht einen lesenden Arbeiter fragen, „in den Büchern stehen die Namen von Königen.“ Bei den Seidenstraßen werden immerhin chinesische Arbeiter erwähnt, allerdings zumeist mit dem Zusatz, sie würden Einheimischen die Arbeitsplätze streitig machen. Arbeitsbedingungen und Gewerkschaftsrechte spielen in der Debatte über chinesische Projekte und Unternehmen dagegen kaum eine Rolle. Doch hier gibt es Risiken, die das Projekt BRI gefährden können.
Es ist keine neue Erkenntnis, dass Chinas globales Engagement kräftigen wirtschaftlichen und politischen Gegenwind erfährt. Wirkung zeigen auch die verbreiteten Proteste gegen Umweltschäden durch Infrastrukturvorhaben, Bergbau und schmutzige Industrien. Ein Beispiel ist das Aus für ein Kohlekraftwerk in Lamu, Kenia. Mit unterschiedlichsten Mitteln versuchen staatliche chinesische Stellen, solche Risiken für den Erfolg von Belt & Road und das nationale Ansehen für Xi Jinpings Vorzeigeprojekt zu kontern. Dazu gehören unter anderem mehr oder minder freiwillige Richtlinien und Regulierungen für Unternehmen, die im Ausland tätig sind.
Anders als Proteste gegen Umweltschäden, gegen die Vertreibung lokaler Bevölkerungen oder gegen Menschenrechtsverletzungen werden Arbeitskonflikte in der internationalen Debatte nahezu völlig ausgeblendet, erscheinen bestenfalls als Lokalnachrichten. Doch Beobachter stellen einen deutlichen Anstieg in Regionen mit hohen chinesischen Investitionen fest, von Bangladesh über Kirgistan und Tadschikistan, Zimbabwe oder Namibia bis nach Lateinamerika. Besonders häufig sind sie im Bergbau und in Infrastrukturprojekten, berüchtigt für prekäre Arbeitsbedingungen. Aber auch in Fabriken wehren sich Beschäftigte zunehmend gegen das chinesische Management – ein Warnsignal für eine Regierung, die sich als sozialistisch oder gar kommunistisch versteht.
Stille Migration
Mit Chinas wirtschaftlichem Wachstum und der ‚Going global’-Strategie ist die Zahl von Unternehmen im Ausland sprunghaft gestiegen. Damit erwuchs ihnen auch ein neuer, formidabler Gegner, eine Klasse von Arbeitern, die lernt, ihre zentrale Rolle beim Bau des ‚siebentorigen Theben’ zu nutzen.
Seit der Mitte des vergangenen Jahrzehnts waren zu jedem Zeitpunkt rund eine Million chinesische Arbeiter im Ausland. Dazu kommt eine unbekannte Anzahl illegaler ArbeitsmigrantInnen, von denen viele durch Arbeitsvermittler geknebelt werden oder die auf eigene Faust unterwegs sind. Ähnlich wie Chinas einheimisches Wirtschaftswunder fußt auch die chinesische Globalisierung auf einer migrantischen Arbeiterklasse, flexibel, größtenteils rechtlos und ausgebeutet. Dazu kommen zahllose einheimische Arbeitskräfte in Unternehmen und Projekten, die chinesische Eigentümer haben.
Damit tragen chinesische Unternehmen in vielen Ländern dazu bei, dass die Zahl von Arbeitern und Arbeiterinnen wächst. Sie schuften in Bergwerken und beim Bau von Bahnstrecken in schwierigstem Terrain, in Billiglohnsektoren wie der Textil- oder Schuhindustrie, in die chinesische Unternehmen die Produktion für westliche Industrieländer auslagern. Wie in westlichen kapitalistischen Unternehmen gibt es hier Lohndrückerei und gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen, Einschränkung gewerkschaftlicher Rechte und Willkür des Managements. Auch hier geht es vor allem um’s Geschäft, um Marktanteile, um Profit.
Zwar werden Arbeitsplätze geschaffen, doch das Image chinesischer Unternehmen ist besonders schlecht. Sie würden Löhne zurückhalten, gewerkschaftliche Aktivitäten unterdrücken und Subunternehmen für die Beschäftigten in BRI-Projekten nutzen. Anders als in westlichen Industrieländern gibt es kaum chinesische Verbraucherinitiativen oder zivilgesellschaftliche Organisationen, die zumindest auf die schlimmsten Auswüchse aufmerksam machen würden.
Schwierige Organisierung
Die Beschäftigten sind häufig bestenfalls locker organisiert, einheimische Gewerkschaften sind schwach, besonders in Afrika. Durch staatliche Maßnahmen, mit denen Investoren gelockt werden sollen, werden ihre Handlungsspielräume stark eingeschränkt. Häufig siedeln sich chinesische Unternehmen in Sonderwirtschaftszonen an, die wie in Äthiopien von ihnen selbst aufgebaut und kontrolliert werden, und in denen Gewerkschafts- und Arbeitsrechte beschnitten sind. Bei Protesten handelt es sich denn auch meist um isolierte, spontane Aktionen.
In vielen Fällen wissen Beschäftigte dennoch, sich zu wehren, wenn auch eher „subversiv“, wie Miriam Driessen beobachtet hat. Durch eine ‚Abstimmung mit den Füßen’ spielen sie chinesische Unternehmen gegeneinander aus, sie unterlaufen geforderte Arbeitsroutinen und fordern damit die Autorität des Managements heraus, mit Klagen vor Gerichten und wilden Streiks fordern sie Verbesserungen der Arbeitsbedingungen.
So können Proteste und Widerstand durchaus zu einem echten Problem für einzelne Unternehmen, aber auch für Pekings Seidenstraßen-Strategie insgesamt werden. Besonders wirkungsvoll werden sie, wenn sie sich mit Protesten von Umweltschützern, Menschenrechtsorganisationen oder mit der Unzufriedenheit in der Bevölkerung über chinesischen Einfluss und Arroganz verbinden.
Die Regierung in Peking befindet sich damit in einem Dilemma. Niedrige Löhne und störungsfreie Produktionsabläufe spielen für erfolgreiche Projekte eine zentrale Rolle. Aber auch Chinas Reputation steht auf dem Spiel, und das umso mehr, als sich Peking als Anwalt einer gerechteren Süd-Süd-Kooperation präsentiert. In diesem grundlegenden Konflikt zwischen staatlich verordneten Expansionsbestrebungen und Anforderungen an Corporate Social and Environmental Responsibility reagieren Regierung und staatliche und private Unternehmen ähnlich wie ihre westlichen Counterparts – halbherzig.
Halbherzige Bemühungen
Chinas Behörden sind durchaus bemüht, staatsabhängige Unternehmen durch Richtlinien und Regulierungen auf die Einhaltung von Standards für Nachhaltigkeit einzuschwören – wenn auch mit begrenztem Erfolg. Zudem sieht beispielsweise das australische Lowy Institute Anzeichen, dass Unternehmen sich an die lokalen Gegebenheiten anpassen: „China and Chinese firms are listening to local requests, and adjusting their activitities accordingly“. Insbesondere Global Players wie Huawei oder staatliche Unternehmen mit einem sichtbaren öffentlichen Profil und damit anfällig für Reputationsrisiken bemühen sich, in einem Kampf um Fachkräfte Beschäftigte durch gute Arbeitsbedingungen zu halten. Weitaus schlechter scheint dagegen die Situation bei Unternehmen in arbeits- und lohnintensiven Branchen wie der Textilindustrie zu sein, die vermutlich die Mehrheit der Beschäftigten haben.
Allerdings hat Chinas Regierung bislang die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu Zwangsarbeit, Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nicht unterzeichnet, obwohl sie ILO-Mitglied ist. Selbst diese abgeschwächte und eingeschränkte Form von Schutz- und Anspruchsrechten wäre für die Beschäftigten in den Ländern der Neuen Seidenstraßen wichtig. Die Verweigerung mag an Pekings Misstrauen gegenüber internationalen Regelwerken liegen, vor allem, wenn sie auch für die chinesischen Arbeiter und Arbeiterinnen gelten würden. Dennoch: Für einen Staat, der sich als sozialistisch versteht, ist das ein Armutszeugnis.
Siehe auch: The Chinese Worker Goes Abroad. Made in China Journal, Sept-Dec 2020