China, Geopolitik und der Globale Süden
Uwe Hoering, 12. November 2021
Chinas offizielle Stellen melden steigende Zahlen im Außenhandel, trotz anhaltender Corona-Pandemie. Dabei zeichnet sich eine weitere Verschiebung hin zu den Belt&Road-Ländern ab, ein Trend, der dem Narrativ der im Sommer verkündeten ‚Dual Circulation Strategy‘ in die Hände spielt. Dieses „neue Entwicklungsmodell“ zielt zum einen darauf ab, die Binnenwirtschaft weiter zu stärken, die ‚externe Zirkulation’ bezeichnet die weitere Integration in die wirtschaftliche Globalisierung durch Außenhandel und Auslandsinvestitionen.
Im Frühjahr 2020 verkündete die chinesische Regierung die Dual Circulation Strategy. Sie zielt zum einen darauf ab, die Binnenwirtschaft und damit die „Resilienz gegen externe Schocks“ zu stärken. Zur Förderung der ‚internen Zirkulation’ gehören unter anderem Nachfragestimulierung und die technologische Modernisierung. Die ‚externe Zirkulation’ bezeichnet die weitere Integration in die wirtschaftliche Globalisierung durch Ex- und Importe sowie Investitionen, wobei der Belt&Road ein besonderer Stellenwert zukommt. Hochrangig aufgehängt durch Xi Jinpings Ansage, die ‚doppelte Zirkulation’ werde „nach und nach ein neues Entwicklungsmodell werden“, zitiert in der South China Morning Post vom 19. November 2021, nimmt das Konzept eine zentrale Rolle im 14. Fünfjahresplan 2021-2025 ein. Details allerdings schälen sich erst langsam heraus.
Wachsender Außenhandel …
Während die ‚innere Circulation’ gegenwärtig durch massive Regulierungseingriffe, die Turbulenzen um Immobilienkonzerne wie Evergrande oder die Versorgungsprobleme im Energiesektor gebremst wird, werden für Außenhandel und ausländische Investitionen teils erhebliche Zuwachsraten vermeldet. Und das trotz Handelskonflikten mit Australien und den USA und Bestrebungen, globale Produktions- und Lieferketten zu entflechten (‚De-coupling’):
Nach Angaben der Obersten Zollbehörde, ausgewertet von der South China Morning Post (7. November 2021), stiegen Chinas Exporte im Oktober 2021 gegenüber dem Vorjahr um 27.1 Prozent auf 300 Milliarden US-Dollar, nur geringfügig weniger als im Vormonat. Die Einfuhren wuchsen um 20.6 Prozent auf 215,7 Milliarden, der Außenhandelsüberschuss damit auf über 84 Milliarden.
Auch der bilaterale Handel mit den Kontrahenten USA und Australien wuchs, wenn auch geringer, ebenso mit Europa, woran das Abflauen der Corona-Pandemie einen erheblichen Anteil hat. Deutsche Lieferungen nach China, vor allem Kapitalgüter und Fahrzeuge, stiegen in den ersten sieben Monaten dieses Jahres um annähernd ein Drittel auf 70 Milliarden US-Dollar.
…. besonders mit BRI-Ländern
Auch im Handel mit Belt&Road-Ländern wurde ein deutlicher Aufwärtstrend verzeichnet, wie die regierungsnahe Global Times vermeldete, ebenfalls unter Berufung auf die Zollbehörde: Chinas Exporte seien in den ersten sieben Monaten 2021 gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf 551 Milliarden US-Dollar und damit um 25 Prozent gestiegen, ebenso wie die Importe. Einen erheblichen Anteil an den Einfuhren haben Erdöl und Erdgas, Mineralien und Metalle, beispielsweise aus Zentralasien, Russland und Afrika.
Besondere Aufmerksamkeit gilt den unmittelbaren südlichen Nachbarn: Der Wert der Waren, die die Länder der südostasiatischen Gemeinschaft ASEAN bezogen, stieg demnach um 23.6 Prozent. Umgekehrt seien ihre Exporte nach China um 37 Prozent auf 216 Milliarden US-Dollar gestiegen. Dabei handelte es sich vor allem um Verarbeitungsprodukte wie Elektrogeräte, Plastikerzeugnisse und Fahrzeuge. Die zahlreichen bilateralen Handelsverträge (FTAs) und vor allem der Abschluss des regionalen Wirtschaftsabkommens RCEP, das Anfang 2022 in Kraft treten kann, wecken Hoffnung auf Mehr.
Auch in Europa würde sich die Attraktivität einer Kooperation im Rahmen von BRI in positiven Handelszahlen deutlich zeigen, glaubt die Beratungsfirma Dezan Shira & Associates, die potentielle Investoren für China und Belt&Road-Projekte unter anderem mit einem regelmäßigen Silk Road Briefing versorgt. Als einen Beleg dafür sieht sie den Anstieg der italienischen Exporte nach China um 63 Prozent auf 18 Milliarden US-Dollar in den ersten sieben Monaten 2021. Italien ist das bislang einzige westeuropäische Land, das sich der Initiative angeschlossen hat. Ebenso würden für zahlreiche osteuropäische Länder, die von Peking wirtschaftlich und politisch gezielt umworben werden, hohe Wachstumsraten im Handel mit China verzeichnet.
Investitionen aus Belt&Road-Ländern
Die Beratungsfirma Dezan Shira & Associates sieht auch eine wachsende Bedeutung von Investitionen aus Belt&Road-Ländern in China: Demnach stieg im ersten Quartal 2021 deren Anteil an den ausländischen Direktinvestitionen um 58,2 Prozent, von Unternehmen aus ASEAN-Ländern um 60 Prozent. Ursache dafür seien unter anderem die mehr als 100 bilateralen Investitionsabkommen (BITs), die China in den letzten Jahren abgeschlossen hat.
Direktinvestitionen aus der EU stiegen dagegen in diesem Zeitraum nur um sieben Prozent, wenn auch von einer weitaus höheren Ausgangsbasis, doch könnten sich darin möglicherweise erste Zeichen einer „politisch motivierten Abkopplung“ zeigen.
Zahlen, Zahlen, Zahlen
Die Frage steht durchaus im Raum, inwieweit bei diesen Zahlen Wunschvorstellungen oder Verzerrung der Statistiken eine Rolle spielen. Ihre Aussagekraft ist durchaus begrenzt und eventuell interessengeleitet.
Zum einen handelt es sich nur um Momentaufnahmen auf einer niedrigeren Ausgangsbasis während Corona. Sie mögen auch bewusst geschönt sein. Und das Beratungsunternehmen Dezan Shira & Associates neigt berufsbedingt zu übersteigertem Optimismus: „Die Bedingungen für ausländische Direktinvestitionen in China sind gegenwärtig so gut wie nie zuvor“.
Dennoch sind sie aufschlussreich: Sie zeigen einen Trend, dass die Süd-Süd-Kooperation und insbesondere die Integration in Asien immer intensiver wird. China würde damit den Lohn für den Ausbau der Infrastruktur, der weiter vorangetrieben werden soll, und das intensive Werben durch Belt&Road einstreichen können.
Parallel dazu gibt es Anzeichen, dass diese Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen auf Kosten der westlichen Industrieländer geht und das ‚De-coupling’ von beiden Seiten vorantrieben wird.
Und die Zahlen spielen dem Narrativ der Dual Circulation Strategy in die Hände und konkretisieren es: Sie zeichnen das Bild einer erfolgreichen zweigleisigen Entwicklungsstrategie, bei der sich die einheimischen und ausländischen Märkte der beteiligten Länder gegenseitig beflügeln – eine sogenannte Win-win-Situation.