China wird grün – aber wie?

China, Geopolitik und der Globale Süden

Uwe Hoering, Juni 2021

Könnte China ein grünes Vorzeigemodell sein? Die Stimmen, die China als Vorbild für die Lösung ökologischer Krisen, allen voran der Klimakrise, hochhalten, mehren sich. Gründe dafür sind der rasante Ausbau von Wind- und Solarenergie (mit der Kehrseite von Mega-Staudämmen und Atomkraftwerken), die Umsetzung eines umfassenden Umweltmanagements durch Institutionen, Gesetze und Kampagnen (wenn auch mit teils drastischen Eingriffen in den Alltag) und der erstaunliche Wandel zum Hoffnungsträger auf dem Klimagipfel in Paris 2015. Zudem hat die Regierung Xi Jinping mit dem Konzept der ‚ökologischen Zivilisation’ nicht weniger als den Anspruch formuliert, Ideengeber und Vorreiter für den Umgang mit den „gemeinsamen globalen Bedrohungen“, gar für eine neue Ära zu sein. Zugleich ist Pekings „autoritäre Umweltpolitik“ Wasser auf die Mühlen all jener, die glauben, dass der Staatsautoritarismus besser geeignet sei als demokratische Verhältnisse, um die Probleme in den Griff zu bekommen.

Die Stimmen, die China als Vorbild für die Lösung ökologischer Krisen, allen voran der Klimakrise, hochhalten, mehren sich.

Um „die Behauptung zu dekonstruieren und zu hinterfragen, dass China grün geworden ist“, analysieren Yifei Li, Assistenzprofessor für Umweltstudien an der NYU Shanghai, und Judith Shapiro, Vorsitzende des Global Environmental Politics Program an der American University in Washington D.C, erstens die Umweltordnungspolitik innerhalb Chinas, „die sich dramatisch verändert hat“, zweitens die internationalen Implikationen des Aufstiegs zur Weltsupermacht und des Versuchs, ein Entwicklungsmodell zu exportieren, das sowohl grün als auch staatlich gesteuert ist, und drittens Chinas Rolle als Schlüsselakteur bei der Suche nach Lösungen im globalen Handel, bei der Biodiversität und beim Klima.

Ein anschauliches Beispiel für Chinas staatlich gelenkte Ökologiepolitik ist die Belt and Road Initiative (Kapitel 3), die mittlerweile ebenfalls zunehmend als „grün“ inszeniert wird. Das gewohnte Win-Win-Framing dieses wirtschaftlichen und politischen Infrastruktur- und Investitionsprogramms wird ergänzt durch eine „grüne Entwicklungsidee“, die Vermarktung von umweltfreundlicher Soft-Power wie Trainingsprogramme in Umweltbereich und -politik sowie die Nutzung von Big Data im Umweltmanagement. Li und Shapiro identifizieren die Digitalisierung als das Herzstück dessen, was China unter einem kohlenstoffarmen, sauberen und grünen Wachstum für die Länder entlang der BRI versteht. Die quasi offizielle Anerkennung der BRI durch UN-Organisationen wie UN Environment und ihre Verknüpfung mit den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung verleiht China eine Aura internationaler Legitimität.

Doch der Eindruck einer erfolgreichen und nachhaltigen Ökologiepolitik täuscht: eindrucksvollen Fortschritten in einigen Bereichen würden unzählige Fehlschläge und Leerstellen gegenüberstehen. Die Chancen für eine grüne Entwicklung, die beispielsweise durch den Ausbau sauberer Techniken eröffnet werden, stehen in einem fundamentalen Widerspruch zu dem Bedarf Chinas nach innerstaatlicher und globaler Rohstoffbeschaffung wie Mineralien, fossilen Brennstoffen und Getreide und der Externalisierung von Umweltbelastungen. Die chinesischen Entscheidungsträger scheinen offenkundig wenig sensibilisiert für die ökologischen Auswirkungen von Infrastrukturentwicklung und Handel, die beispielsweise durch den Export von Kohlekraftwerken oder den Bau von Dämmen am Mekong verursacht werden, stellen Li und Shapiro fest. Der Aufbau einer Digitalen Seidenstraße (DSR) bietet gleichzeitig Möglichkeiten zu Zensur und Überwachung.

„Der chinesische Staat nutzt den Eindruck, umweltfreundlich zu werden, um seine Macht über den geographischen Raum und über das Individuum zu festigen“.

Yifei Li und Judith Shapiro, China Goes Green

Infolgedessen wird die Umweltpolitik zu einem Instrument für die Konsolidierung und Zentralisierung staatlicher Macht, um die Autorität und Machtfülle des Staates als einzig legitimem Sachwalter der Umwelt zu stärken. „Der chinesische Staat nutzt den Eindruck, umweltfreundlich zu werden, um seine Macht über den geographischen Raum und über das Individuum zu festigen“ (188). Da der Autoritarismus als das eigentliche Ziel und der Umweltschutz lediglich als ein Mittel betrachtet werden, so Li und Shapiro, sollte Pekings Strategie nicht als „autoritäre Umweltpolitik“, sondern als „Umweltautoritarismus“ bezeichnet werden.

Dennoch bestehe auch eine gewisse Hoffnung: Weil die übertriebenen Versprechungen und unerfüllten Ankündigungen des Staates zu seiner größten politischen Belastung geworden sind, eröffnen sich strukturelle Möglichkeiten für nicht-staatliche gesellschaftliche Kräfte, den chinesischen Staat zur Verantwortung zu ziehen (198). Chinesische Belt and Road-Investoren könnten durch die Zusammenarbeit zwischen lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen in den BRI-Ländern und Aktivisten innerhalb Chinas, die von den negativen Auswirkungen der Aktivitäten ihres Landes in anderen Ländern erfahren, zu mehr Engagement veranlasst werden.

Das abschließende Kapitel erörtert dann die Frage, ob die Erde eine „grüne Autokratie“ braucht. Während eine radikal neue Form des Regierens notwendig ist, sei das chinesische techno-politische Beispiel ungeeignet, um geeignete nachhaltige Lösungen zu finden. Ohne eine Wiedereröffnung und Wiederbelebung von Konsultationsmechanismen seien auch „politische Effektivität und Legitimität des autoritären Staates“ gefährdet (205). So bereichert diese sino-amerikanische Bestandsaufnahme nicht nur das Verständnis, auf welche Weise China grün wird. Sie trägt auch zu den Debatten in anderen Ländern über Auswege aus den Krisen bei: Wie viel technologische ‚Fixes‘, wie viel Top-down-Governance und wie viel demokratische Steuerung sind notwendig?

Yifei Li, Judith Shapiro, Coercive Environmentalism for a Troubled Planet. Polity Press 2020.

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