Review: Checkpoints auf den Seidenstraßen

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Uwe Hoering, Dezember 2020

„It is in China’s best interest to pay attention to the stories in this book“.

Die Belt&Road Initiative stellt für zivilgesellschaftliche Entwicklungsorganisationen, für soziale Bewegungen und Umweltschützer eine gewaltige Herausforderung dar. Sie stehen vor der neuen Aufgabe, mit diesem massiven Milliardenprogramm, mit Chinas wachsender Bedeutung und selbstbewusstem Auftreten umzugehen. Tausende große, häufig komplexe Projekte in praktisch allen Wirtschaftsbereichen mit unabsehbaren Auswirkungen werden vorangetrieben. Viele Organisationen und soziale Bewegungen kennen aus langjähriger Erfahrung die Risiken und Nebenwirkungen von Großprojekten und mangelnder Transparenz und Beteiligung für Mensch und Umwelt. Und sind dementsprechend alarmiert.

Auf der anderen Seite stehen die Verlockungen. Der chinesische Staat ködert nationale Regierungen mit Geld und Wachstumsversprechungen. Dazu kommt eine ganz eigene Projektkultur aus Hinterzimmer-Politik, ‚easy money’ und Konzernen, die eine Umsetzung aus einer Hand anbieten, von der Planung über die Finanzierung bis zur Schlüsselübergabe, meist sogar bis zum operativen Geschäft – und das alles nach chinesischem Neusprech ohne „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“. Was für ein Gegensatz zu den Mühen der Entwicklungszusammenarbeit mit westlichen Regierungen und Finanzinstitutionen wie der Weltbank! Zudem versprechen viele Investitionen einen dringend notwendig Entwicklungsschub: Straßen, Bahnen und Stromversorgung, Handel, Industrien und Beschäftigung. Im Angebot sind moderne Technologien von Hochgeschwindigkeitszügen über ‚saubere’ Kohlekraftwerke bis hin zur Digitalisierung. Und angeheizt werden die hohen Erwartungen durch die chinesische Propaganda-Maschinerie, Bedenken und Befürchtungen eingelullt.

Licht und Schatten

Nach sieben Jahren BRI wird inzwischen deutlicher, welche Hoffnungen, welche Befürchtungen berechtigt sind. Einen Beitrag zu einer solchen differenzierten Sichtweise leistet das Buch „Belt and Road Through My Village“, das die Ergebnisse von mehr als einhundert Interviews über die Auswirkungen von sieben BRI-Projekten in fünf Ländern auf die lokalen Bevölkerungen präsentiert. Dazu gehören das Kohlekraftwerk Barisal in Bangladesch, der Kaliwa-Staudamm in den Philippinen, ein 100 MW-Solarpark in Pakistan und Verkehrsverbindungen in Kenia und Indonesien. Die Interviews sollen den Stimmen von Betroffenen Gehör verschaffen, so die Intention, die in den kakophonischen  Auseinandersetzungen um die Meriten und Gefahren von BRI häufig untergehen.

Die erste Erkenntnis: Es gibt sehr unterschiedliche Positionen und Erfahrungen. “Als Bankerin kann ich bestätigen, dass die bessere Stromversorgung unser Wirtschaftswachstum beschleunigt und unsere Arbeitskapazitäten “, freut sich Sharmean Jahan über das neue Kohlekraftwerk in Bangladesch. Dagegen klagt Minara Begum, “das Kraftwerk raubte unseren Kanal und zerstörte unsere Häuser“.

Wie in Bangladesch gibt es überall Nutznießer, die sich über Stromversorgung und neue Straßen freuen, weil sie bessere Einkommensmöglichkeiten oder einfach ein leichteres Leben bedeuten oder versprechen. Das sind nicht nur Banker, sondern können auch junge Menschen sein, die besser zur Schule kommen, Bauern, die ihre Produkte vermarkten können.

Die Kehrseite: Schöne neue Verkehrsverbindungen können auch Vertreibung von Land bedeuten. Gerade Kraftwerke und Staudämme bringen durch schwerwiegende Eingriffe in die Umwelt viele Verlierer, überwiegend marginalisierte Bevölkerungsgruppen wie Fischer und Kleinbauern. Die Projekte spalten deshalb häufig die Bevölkerung nicht nur in Befürworter und Gegner. Sie verstärken auch die Polarisierungen zwischen Stadt und Land, Arm und Reich, Männern und Frauen, Ökologie und Ökonomie.

Die zweite Ergebnis bestätigt, was auch aus anderen Ländern und Projekten hinlänglich bekannt ist: Wie ein roter Faden ziehen sich durch die Interviews die Klagen über Intransparenz und fehlende Beteiligung. Das gilt für alle Ebenen: BRI-Abkommen werden meist auf Regierungsebene verhandelt und vereinbart. Für die Vertragsparteien gibt es viele, überwiegend fragwürdige Gründe, hier nicht allzu viel Öffentlichkeit walten zu lassen. Aber auch vor Ort lassenlokale Verwaltungen und Behörden oft Partizipation und Information vermissen – ein Ausdruck undemokratischer Verhältnisse und ungleicher Machtverteilung. Chinesische Verhandler und Konzerne befinden sich damit in einer komfortablen Position: Entsprechend dem Prinzip der Nichteinmischung, das die Regierung in Peking hochhält, können sie die Verantwortung für solche Missstände auf andere abschieben.

Standards sind nicht international

Die Situationen und Probleme, die im Buch beschrieben werden, erinnern an die Frühzeiten westlicher Entwicklungszusammenarbeit und Investitionsprojekte.Durch harte Kämpfe, Kampagnen, Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit wurde inzwischen ein Mindestmaß an Transparenz und Beteiligung erobert wie frühzeitige Information und Zustimmung (Free Prior Informed Consent), Prüfungen auf soziale und ökologische Auswirkungen und Beschwerdemöglichkeiten, um zumindest schlimmste Auswirkungen zu  begrenzen, die Projektausgestaltung zu beeinflussen und eventuell Entschädigungen zu erhalten.

Bekanntlich sind diese ‚Safeguards and Regulations’ nach wie vor nicht optimal, und sie gelten bislang eher für Vorhaben und Projekte westlicher Entwicklungszusammenarbeit und multilateraler Institutionen – und auch da mit vielen Einschränkungen, Schwachstellen und Schlupflöchern. Zudem ist ihre Umsetzung abhängig von der Situation von Rechtsstaat und Demokratie im jeweiligen Land. Aber sie sind auch eine Voraussetzung für bessere Organisierungs- und Mobilisierungsmöglichkeiten.

Deshalb stellen sich zivilgesellschaftliche Organisationen und NGOs die Frage: Lässt sich das auch gegenüber chinesischen Projekten erreichen? Können die Standards und Verfahrensweisen, Erfahrungen und Vernetzungen, die in den vergangenen Jahren national und international entstanden sind, auch in der Auseinandersetzung mit der Umsetzung von BRI-Projekte zum Tragen kommen? Ist eine konstruktive Kritik, eine Mischung aus Protesten, Widerstand und Zusammenarbeit möglich, die die Chancen wahrt und die Risiken eindämmt? Optimistisch stimmt, dass sowohl chinesische Regierungsinstitutionen als auch Konzerne begonnen haben, Leitlinien und Regularien zu erstellen, wenn auch noch mit begrenzter Reichweite und beschränktem Erfolg.

Auch die Herausgeber des Buches, ein halbes Dutzend südostasiatische NGO, setzen darauf, dass die Regierung in Peking, die sich ja auf  Armutsminderung, Umweltschutz und „People-to-people connectivity“ viel zugute hält, zukünftig bei der Umsetzung von Vorhaben stärker auf Standards, wie sie in Projekten anderer Länder bestehen, achten wird. „Es liegt in Chinas eigenem Interesse, diese Geschichten zur Kenntnis zu nehmen“, hofft Wade Dessart von People of Asia for Climate Solutions (PACS). Dahinter steht die Erwartung, dass die Regierung in Peking auf ihr Image achtet, das durch negative Schlagzeilen beschädigt werden könnte, und Unternehmen zunehmend auch Risiken für Geschäft und Ruf sehen, die durch Widerstand, Proteste und Taktiken wie „Naming and Shaming“ entstehen. „Chinas führende Rolle geht einher mit einer großen Verantwortung und Rechenschaftspflicht für die Ausrichtung und die Ergebnisse von BRI“, so Lidy Nacpil, Koordinatorin von Asian Peoples’ Movement on Debt and Development (APMDD). Und sie setzen auf die erwiesene Lernbereitschaft chinesischer Akteure, flexibel mit neuen Erfahrungen und Hindernissen umzugehen.

Andererseits sollte man sich vielleicht auch nicht zu viele Hoffnungen machen. Warum sollten chinesische Unternehmer einsichtiger, großzügiger, empathischer oder auch nur schlicht rücksichtsvoller sein als ihre Konkurrenten? Schließlich sind auch sie in erster Linie Geschäftsleute. Selbst die Staatsunternehmen agieren als normale kapitalistische Konzerne nach den selben Regeln wie ihre westlichen Counterparts. Auch die chinesische  Regierung verfolgt wirtschaftliche und politische Interessen, die in vielen Fällen wichtiger sein mögen als ein sauberes, grünes Image. Und die nationalen Regierungen, die die Projekte ausgehandelt haben? Wie groß ist ihre Bereitschaft, sich durch Proteste, Widerstand und die besseren Argumente dazu bewegen zu lassen, die mächtigen chinesischen Partner, mit denen sie geklüngelt haben, zumindest ein bisschen enger an die Leine zu legen? Wie gesagt: Gewaltige Herausforderungen für die Zivilgesellschaften.

Website von „Belt and Road Through My Village“, July 2020

Siehe dazu das AEPF Framing Paper: The Belt and Road Initiative (BRI), November 2019

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